Da schmieden zwei. Die Frau hat von der rostigen Esse auf Rädern, deren Ventilator rauscht, das glühende Eisen genommen, hält und wendet es mit der Zange, der Mann schlägt drauf, nach ihren Anweisungen. Er streckt sich hoch wie ein Bogen und lässt den langstieligen schweren Hammer heruntersausen. Der Schlag durchfährt als Klang den Raum, tönt über den Hof. Andere Schmiedinnen und Schlosser wechseln sie ab. Diese improvisierte Schmiede scheint der fleißigste Ort.
Aber es gibt viele Stellen, an denen gearbeitet wird, weit über den Hof verteilt, hinter Ställen und Scheunen. Die jungen Leute in der dunklen Zimmermanns- und hellen Maurerkluft messen, sägen, schleifen, mauern. 80 Freireisende Gesellinnen und Gesellen sind zu diesem Somme
esem Sommerlager nach Mecklenburg zum "Hof Ulenkrug" gekommen. Sie wollen etwas Nützliches hinterlassen und ihre handwerklichen Kenntnisse einbringen. Dieser große Hof bietet dafür viele Gelegenheiten. Darum haben sie ihn gewählt.Auf dem "Ulenkrug" leben und arbeiten rund zwölf Leute mit ihren Kindern. Vorgelagert sind vier große, hohe Ställe und Scheunen, vor hundert Jahren aus Findlingen und Backsteinen errichtet. Es fehlt im alten Bauernhaus an Zimmern. Bauwägen als Ausweichquartiere verstecken sich im Gebüsch. Bei Regen versinkt der Hof im Matsch.Der "Ulenkrug" gehört zu einer Reihe von Kooperativen aus Frankreich, der Schweiz und Österreich, die unter dem Namen "longo mai" bekannt sind. Ihr Ziel ist weniger ein zivilisationskritisches Aussteigen aus der urbanen Gesellschaft, als eine solidarische Lebensform. In diesem Sinne mischen sie sich auch politisch ein: Sie machen sich kundig über die Landwirtschaftsprobleme ihrer jeweiligen Regionen, sie kümmern sich um Flüchtlinge und um Deserteure, sie knüpfen mit an einem europaweiten Netz der oppositionellen Kultur.Die Wandergesellen wollen in diesem Sommerlager hier den Rohbau für ein Fachwerkhaus errichten, neue Tore tischlern und in die Scheunen einsetzen, einen Laden für die longo-mai-Produkte ausbauen, Teile des Hofs pflastern.C. N., Künstler aus England, der einige Jahre schon in Köln und Berlin lebt, reagiert schroff: "Wandergesellen - sind das die in diesen ausladenden Klamotten? Habe sie einige Male gesehen, das ist sehr deutsch, sie haben sich verkleidet, sie gucken selbstherrlich vor sich hin, sie führen ihre Tracht vor als wären sie Kleiderpuppen dafür, sie haben eine geheime Loyalität mit irgendeinem Bund, sehr deutsch, faschistisch, ich meine nicht nazihaft, nein, nein, aber sie ordnen sich einer Disziplin unter, einer übergeordneten Form, das ist das Gegenteil von Freiheit, von Loslösung, von Individualität."Im ledergebundenen Wanderbuch von Maike heißt es: "Die fremde Keramikerin Maike H. befindet sich für mindestens zwei Jahr' und einen Tag auf traditioneller Handwerkerwanderschaft. Deren Sinn liegt im Erlernen regionaler Arbeitstechniken, im Kennen lernen von Neuem und Fremdem, Land und Leuten, und nicht zuletzt ihrer selbst." - Als sie losging, lag Schnee in der Lüneburger Heide, die sie mit ihrer "Altgesellin" und anderen durchlaufen hat. Es war wunderschön, sagt sie. Während ihrer Wanderschaft wird sie dorthin nicht zurückkehren."Auf jeden Fall finde ich es Klasse, dass wieder eine fitte Frau mehr auf der Straße ist", hat ihr eine Wandergesellin, die sie auf dem ersten Stück begleitet hat, ins Buch geschrieben. Viele Jahre lang gab es keine wandernde Töpferin, jetzt sind es fünf."Eigentlich habe ich es schon immer gewollt - auf Wanderschaft gehen!" bekennt sie. Woher sie das hat, weiß sie nicht. "Es ist nicht nur, um etwas von der Welt zu sehen! Es ist gut, in dem Land zu arbeiten." Sie hatte sich vorgestellt, nach der Lehre im Ausland eine Arbeit zu suchen, einige Monate zu bleiben und sich weiterreichen zu lassen: "Auf die klassische Methode." Es hat nichts geklappt. Dann bot sich unerwartet eine feste Stelle in einer Hamburger Töpferei an. Sie schien da hängen zu bleiben. "Bis ich einen reisenden Zimmerer kennen gelernt habe. Da kam mir der Gedanke, dass das mit der Kluft eine Möglichkeit ist. Man muss nicht allein sein, man wird am Anfang abgeholt von einem Altgesellen oder einer Altgesellin, man hat diese Kluft an, das bietet einem schon viel Schutz. Man hat viel schneller Kontakt zu Menschen auf der Straße, man wird angesprochen, das hilft sehr."Ihre Arbeitskluft ist hell, wie für Maurer, Steinmetze, für alle Steinberufe. An der Weste leuchten die großen Perlmuttknöpfe. Die Kluft trägt sie immer, wenn sie sich nach draußen begibt. Das ist eine der Regeln, die sie einhält. Auch dass sie traditionell vorspricht und um Arbeit bittet. Den Spruch aber darf sie jetzt nicht sagen, ihn Unbefugten nicht verraten. Auch das ist eine der Regeln. Arbeit fand sie in Wuppertal, in Nürnberg. Wenn sie nichts fand, ging sie zum Bürgermeister des Orts und bekam ein Wegegeld. Nach einigen Monaten schloss sie sich dann einer so genannten Losgehtippelei an, bei der ein Vergolder "abgeholt und auf den Weg gebracht" wurde. Da hat sie mit drei Tischlern verabredet, nach England zu gehen.In England wurde das Wandern schwierig. Sie mussten jedes mal ihre ganze Geschichte erklären. "In Edinburgh ist es in ein zweistündiges Gespräch ausgeartet. Das schafft man nicht immer. Die haben uns dann Tee und Kekse und ein Wegegeld gegeben." Endlich sind sie in eine Landkommune geraten, für die sie eine Hütte gebaut haben, gegen Kost, Logis und etwas Geld. Dort leben 30 Leute in mehreren Kleingruppen und unterhalten einen Seminarbetrieb. Einer der vier Deutschen ist nach seiner Wanderzeit zu dieser Kommune zurückgekehrt und eine Weile geblieben.Auf einer der Hebriden-Inseln hätte Maike Arbeit als Töpferin gefunden, aber dort fürchtete sie die Einsamkeit. Ein schottischer Töpfer vermittelte sie für zwei Monate in die Republik Irland. So bewegen sich die Wandergesellen im Fluss der Begegnungen, der Zufälle, der Wünsche und lernen es, offen zu sein.Maike selbst meint, sie sei in diesen Monaten "klarer geworden in dem, was ich will, und ich kann schneller benennen und aussprechen, was ich brauche zum Glücklichsein, in jeder Lebenslage, in dem Rahmen, was möglich ist. Ich glaube, das lernen viele auf der Tippelei."Bruderschaften und frei reisende GesellenJunge Handwerker wanderten in Europa seit dem Mittelalter, sie waren unterwegs auf den Landstraßen mit Händlern, Gauklern, Sinti und Roma, Soldaten, Bettlern und mussten viele Schlagbäume passieren. Gesellen wurden oft als angebliche Aufrührer zurückgewiesen. Sie schufen ihre Bruderschaften. Alles fahrende Volk aber verständigte sich untereinander in einer Geheimsprache, dem Rotwelsch.Mit der Industrialisierung schien das Ende dieser Existenzform als Wandergeselle gekommen zu sein. Die einen verdingten sich in Fabriken, andere wurden zu Landstreichern. Ab 1846 entstanden die Institutionen der katholischen Kolpingbrüder gegen die Verelendung. Andere Gesellen beteiligten sich an der Gründung der ersten Gewerkschaften.Und doch ist die Wanderschaft der jungen Handwerker nie völlig zum Erliegen gekommen. 1890 gründete sich der erste "Schacht", der neben fünf weiteren bis heute existiert. Dieser erste Schacht, dessen Zeichen die schwarze Krawatte ("Ehrbarkeit") ist, nennt sich "Rechtschaffene fremde Gesellen". 1910 gründete sich mit rotem Schlips der "Fremde Freiheitsschacht", dessen Mitglieder gewerkschaftlich organisiert sind. Sie und die "Rolandsbrüder" (seit 1891), die "Freien Vogtländer Deutschlands" (seit 1926) verfügen über eigene Anlaufstellen und Quartiere. 1979 entstand "Axt", zu denen auch Frauen gehören, ebenso wie zum "Freien Begegnungsschacht" (seit 1986). Ähnliche Bruderschaften gibt es in Frankreich, Belgien, der Schweiz, in Skandinavien. Die meisten sind in der europäischen Dachorganisation "Conféderation Compagnonnages Européens Gesellenzünfte" (C.C.E.G.) verbunden, die Beraterstatus im Europa-Rat besitzt. Die frühere Feindseligkeit ist offenbar einem gelassenen Nebeneinander gewichen. Und es wandern immer mehr Handwerkerinnen und Handwerker, zur Zeit sind vermutlich 500 bis 600 von ihnen unterwegs, darunter sind 10-15 Prozent Frauen. Sie kommen aus 30-35 verschiedenen Handwerksberufen.Freireisende Gesellen und Gesellinnen, die "Wilden", die ohne Schacht auf Walz gehen, halten sich ebenfalls an viele traditionelle Regeln, die sie sich gegenseitig beibringen. Einmal im Jahr treffen sie sich bei ihrem Sommerlager, um miteinander zu sprechen und gemeinsam etwas Sinnvolles zu bauen in selbstbestimmter Arbeit.Eine junge Frau, die gekommen ist, um am Samstagabend einen Film vorzuführen, teilt mit, in Wismar sei ein Obdachloser erschlagen worden. Ganz knapp spricht sie, die Stimme vor Empörung gedrosselt. Fünf Männer um die zwanzig seien verhaftet. Am folgenden Tag werde eine Protestdemo stattfinden, kündigt sie an. Tatsächlich füllt sich mittags ein Kleinbus mit etlichen Wandergesellen. Sie machen sich auf den Zweistundenweg in die Hafenstadt an der Ostsee. Unter ihnen ist der ehemalige Wandergeselle und Zimmermann Alfred.Seine Mutter war nach der Pogromnacht 1938 von Nazis aus der eigenen Verwandtschaft in die Psychiatrie gebracht worden, weil sie die Zerstörungen der jüdischen Läden verurteilte. Dort starb sie 1944. Oder sie wurde umgebracht, wovon ihr Sohn Alfred zeitlebens überzeugt ist. Dass in Wismar höchstens 300 Leuten durch die gleichgültige Stadt liefen, sich auch noch anpöbeln lassen mussten von einer "Glatze", entsetzte ihn.Seine Spannung löst sich erst am nächsten Tag bei der Arbeit wieder. Alfred klettert auf das Gerippe des Schleppdachs, das er und zwei Gesellen seit zehn Tagen an der Rückwand einer Scheune bauen. Mit seinen 70 Jahren lässt er sich nicht lumpen, balanciert oben in 12 Metern Höhe. Doch seine rigide Arbeitsmoral hindert ihn, Verständnis für Paolo aufzubringen, der zwischendurch auch etwas von den anderen Baustellen sehen will, von denen manchmal das Lachen herübertönt. So kriegen sie zu guter Letzt noch Krach.Paolo ist ein Gastarbeiterkind aus Stuttgart. Er hat neun Geschwister, ein Italiener, der jetzt italienisch lernt, denn ihn "interessiert das Land", wie er sagt, das seine Eltern einst auf Arbeitsuche verließen. Nun zieht er als Wandergeselle durch Deutschland.Kalles Hut sitzt besonders ausladend auf den Locken, seine Stimme dröhnt durch den Raum. Er schickt den jüngsten Gesellen Bier zu holen und erklärt: "Den haben wir heute nacht genagelt! Glaubst du's nicht? Stimmt aber, mit Nagel und Brett!" Dann sehe ich das blutverkrustete Ohrläppchen des Novizen. Und es stellt sich heraus, dass sich von den anwesenden Wandergesellen niemand dem martialischen Ritual entzogen hat, auch nicht die Mädchen. Es würde nicht wehtun, behaupten sie. Der Nagel ist zugespitzt, alle schauen zu, brüllen bei den Schlägen mit, der Kopf ist längst vom Alkohol vernebelt.Im Grunde wird drei Tage lang Abschied gefeiert, von der Familie, von den Freunden, von dem behüteten oder - je nach Wahrnehmung - dem eingeengten Leben. Dann geht es zu Fuß los. Über das Ortsschild müssen der neue Wandergeselle und auch die Gesellin klettern, dann sich noch einmal dem Alkohol stellen, nämlich die Hälfte einer Flasche Schnaps austrinken, die am Ortsschild vergraben wird. Sie bleibt da bis zur Rückkehr. Das letzte Fest findet unterwegs statt, wenn die daheim Bleibenden umkehren. Von da an kommen die neuen Orte, neuen Menschen. Nur der Altgeselle, der den neuen "auf den Weg bringt", bleibt ihm eine Weile erhalten als Lehrmeister für alle Regeln, die nun zu beachten sind.Zünftiges Begleiten eines Freundes, der an eine andere Arbeitsstelle ziehen muss, ist für Kalle Ehrensache. Für die gemeinsame Wegstrecke haben sie zu fünft 13 Mark bei sich. Und ihre Schlafsäcke. Die Keramikerin Katharina schließt sich an, aus Neugierde. Sie arbeitet mit Kalle seit Tagen an einer Scheunenecke, die neu gemauert werden muss. Dabei haben sie sich schätzen gelernt. Katharina ist beharrlich bei der Arbeit. Sie lässt sich nicht bang machen, auch nicht von ihm, der schon lange unterwegs und mit allen Wassern gewaschen ist.Mit den 13 Mark werden sie durchkommen, versichert er. Der Novize traut Kalle inzwischen alles zu. Er stammt aus der unaufregenden Stadt Mörfelden, ein Arztsohn, wie Kalle herausgekitzelt hat. Ein Sorgenkind vielleicht einmal. Ins Internat gesteckt. Schule geschmissen. Aber die Lehre gemacht. "Was ich schon alles erlebt habe. Wenn ihr wüsstet!" sagt er taumelnd im Rausch. "Und jetzt das noch! Das war immer mein Traum."So ziehen sie los, per Autostopp nach Rostock, sie werden in den Kneipen vorsprechen und auch vorsingen, sie werden von manchen Wirten und Gästen eingeladen werden und sie dafür gut unterhalten. Vielleicht wird es grob, vielleicht wird es geistreich, je nach Begegnung. Wandergesellen wissen nie, was auf sie zukommt, und sie geraten in Milieus, die ihnen wohl kaum je offengestanden hätten: sei es Luxus, seien es die Niederungen des Lebens. Zum Schluss werden sie ihre Schlafsäcke in einem Studentenkeller ausrollen, den haben sie bei einer vorangegangenen Tour entdeckt. Wann werden sie zurückkommen? Morgen, eher wohl übermorgen. Was sie hier auf der Baustelle angefangen haben, aber bauen sie zu Ende. Keine Sorge.Jeden Morgen zieht ein Grüppchen mit Gitarre, Flöte und Quetsche durch die feuchten Wiesen zu den großen und kleinen Zelten und weckt die Schläfer mit Liedern, die aus ihrem selbst zusammengestellten Wandergesellenliederbuch stammen und oft schnell umgedichtet sind. Im Kuhstall erwartet sie Kaffee, Tee, Kräutertee, Buttermilch, selbstgebackenes Brot. Dieser Kuhstall ist das Zentrum: Hier können über 100 Leute gemeinsam essen, hier wird abends diskutiert, Kino gemacht, getanzt. Immer läuft Musik, Folklore, Jazz, eigene Musik. Sie ist wichtig, es gibt da eine Kompetenz und Sicherheit der Wahl. Das Mittagessen und Abendessen wird von jeweils vier Leuten bereitet. Vegetarisch und nichtvegetarisch. Ein befreundeter junger Koch leitet die Grüppchen an. Berge von Salat werden gegessen. Nachmittags balanciert der Koch Kuchenbleche heran, immer wieder werden die Süßigkeiten als Überraschung begrüßt.Anfangs wird einem schwindlig von ihren Ritualen, Sprüchen und Regeln, ihren breiten Hüten und Klamotten. Der Verdacht lässt sich nicht abweisen, dass ein altmodisches Spiel abläuft, mit dem eine autoritäre Struktur verdeckt wird. Aber sie - zumindest gilt es für diese Freireisenden - überzeugen mit ihrer Fähigkeit zur Selbstorganisation ohne Hierarchie. Sie haben ihre Wahl getroffen - herumziehen, einander helfen, Erfahrungen fachlicher Art sammeln und Erfahrungen mit Menschen machen - , darum können sie ihre Leistung selbst definieren. Sie erleben die Gesellschaft aus einer ungewöhnlichen Perspektive, das geht nicht spurlos an ihnen vorbei. Die überlieferten Rituale helfen ihnen als ein Rahmen. Was mit ihnen allmählich geschieht, ist Emanzipation, und die führt weg von rechten Gesinnungen, von der Lust, in einer Horde aufzugehen.Jeden Abend stellen sich Neue vor, die von irgendwoher das Sommerlager endlich erreicht haben. "Ich bin Sandra aus Cottbus, Tischlerin, seit einem Jahr unterwegs." Und als Echo kommt von den vollbesetzten Tischen eine Stimme: "Tag, Sandra, erinnerst du dich? Wir kennen uns von Eisenach her!""Ich bin Jens aus Stuttgart, Schreiner, will auf die Walz und schauen, ob hier jemand ist, der mich auf den Weg bringt." "Hast du schon deine Wohnung aufgegeben?" ruft jemand. "Ja, ich habe alles aufgelöst, ich bin jetzt eigentlich bereit."
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