'SCHEINEHEN' Das Grundgesetz schützt das Recht auf Ehe - doch nur für Angehörige aus EU-Staaten. Ansonsten definiert die Ausländerbehörde, was eine Ehe ist und was nicht
Das Leben hier ist illegal. Ich habe keine Identität in der Hand, ich habe keinen Ausweis". Herr Halit Kadir* aus Frankfurt am Main ist in die Mühlen der staatlichen Behörden geraten. Das Ordnungsamt hat seinen Pass eingezogen - das Führen einer "Scheinehe" wird ihm vorgeworfen. Nur mit Mühe kann er noch sein kleines Lebensmittelgeschäft in Frankfurt-Bockenheim weiterbetreiben. Doch nicht nur geschäftlich sind seine Möglichkeiten nun stark eingeschränkt. "Denken Sie einen Moment mal, Sie würden in meinem Körper leben, was ich machen kann ohne Pass. Ich kann keine betriebliche Erweiterung machen, keine Auslandsreise machen, deshalb kann ich nicht einmal meine Mutter besuchen". Die Frankfurter Ausländerbehörde traktiert ihn sei
seit Monaten mit dubiosen Ermittlungsmethoden. Der 51-jährige macht gewöhnlich einen gelassenen Eindruck. Wenn das Gespräch aber auf seine Probleme mit der Ausländerbehörde kommt, wirkt er sichtlich angespannt.Vor rund 30 Jahren kam Halit Kadir nach Deutschland. Seither lebt er, nur unterbrochen vom Militärdienst in der Türkei, in Frankfurt am Main. Hier hat er studiert, für ein Elektrounternehmen gearbeitet, sich schließlich selbstständig gemacht. Alle seine Freunde und fast alle seine Verwandten leben in Deutschland. In die Türkei zog es ihn seither zweimal zum Urlaub am Meer, seine Geburtsstadt kennt er fast nur aus Erzählungen von Verwandten. Seit Jahren ist er mit einer deutschen Frau verheiratet - Probleme gab es nie. Bis vor ungefähr zwei Jahren wieder einmal die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung anstand. Das behördliche Prozedere war Herrn Kadir nicht unbekannt. Noch vor sieben Uhr in der Frühe fand er sich auf der Frankfurter Ausländerbehörde ein, zog seine Wartenummer und konnte mit dieser günstigen Position noch am gleichen Vormittag seinen Antrag stellen.Nach einer Bearbeitungszeit von einigen Wochen würde man über seinen Antrag entscheiden, hieß es. Zehn Tage später klingelt frühmorgens das Telefon, ein Mann, der sich als Mitarbeiter des Ordnungsamtes vorstellt, fragt seine Stieftochter nach Kadirs Ehefrau. Diese ist verreist. Im Ermittlungsprotokoll liest Antragsteller Kadir dies später als Indiz für das Führen einer "Scheinehe". Beim Vermieter wird recherchiert, eine Nachbarin befragt, ob ihr Kadir bekannt sei. Die verneint, will nicht über Nachbarn ausgefragt werden. Daraus schließt die Behörde, dass Kadir nicht im Haus wohnt. Zu allem Überfluss unterhält er neben dem ehelichen Wohnsitz noch seine alte Studentenbude. Protokollvermerk: Zweitwohnsitz. Verdacht auf Scheinehe.Das Ausländerrecht kehrt die Beweislast zuungunsten der Antragsteller umMit derartigen "Beweisketten" wird in vielen deutschen Großstädten gegen binationale Ehepaare ermittelt. Oft reichen schon zwei verschiedene Meldeadressen, ein größerer Altersunterschied oder gar das höhere Alter des weiblichen Ehepartners - umgekehrt wird gern "Katalogehe" angenommen - für den Anfangsverdacht. Zumeist setzt die Ausländerbehörde ihre Ermittler in Bewegung, wenn kurz vor Ablauf einer befristeten Aufenthaltsgenehmigung oder eines Asylverfahrens geheiratet wird. Ein häufiger Vorgang, so Kadirs Frankfurter Rechtsanwalt, da sich viele Pärchen erst dann Gedanken über ihre Papiere machen würden. In seiner Kanzlei häufen sich Fälle von Klienten, denen aufgrund wachsweicher Indizien das Führen einer "Scheinehe" vorgeworfen wird und eine "Ausreiseaufforderung in Verbindung mit einer Abschiebeandrohung" ins Haus flattert. In diesen Fällen gilt das Ausländerrecht, das die Beweislast de facto umkehrt. Nicht der Ankläger, sondern der Beschuldigte hat nun zu beweisen, dass er eine "richtige" Ehe führt. Und die Zeit arbeitet gegen die Antragsteller.Halit Kadir hat das erstinstanzliche, schriftliche Verfahren verloren. Seine Gerichts- und Anwaltskosten belaufen sich auf mehrere tausend Mark. Dennoch geht er in Berufung: "Das ist mein Recht". Im Unterschied zu den Verfahren vor dem Verwaltungsgericht halten die ausländerbehördlichen Ermittlungen vor den Strafgerichten oft nicht stand. Manche Richter finden hier sogar sehr deutliche Worte. So gab etwa das Amtsgericht Berlin-Tiergarten in einem Urteil vom 20.1.1987 gegen einen Beschuldigten zu Protokoll: "Diesen Strafprozess hätte es nie geben dürfen (...) Er ist diskriminierend. (...) Der Prozess verstößt auch gegen die Menschenwürde. (...) Die Wohnung des Angeklagten ist durchsucht worden, es ist im Bett nachgesehen worden, in der Schmutzwäsche ist gestochert worden, im Haus sind Nachbarn zur Wiedergabe von Klatsch und Tratsch aufgefordert worden. Das sind keine Ermittlungen, sondern Schnüffeleien, die auch nur anzuhören schon eine Zumutung ist."Dem nichtdeutschen Ehepartner nutzt eine solche Beurteilung in der Regel nichts mehr, denn er wurde längst abgeschoben. Paare mit deutschen Pässen können heiraten, ohne getestet und über die Motive ausgeforscht zu werden. Menschen ohne deutschen Pass hingegen heiraten Deutsche meist nur wegen des Aufenthaltstitels, so der staatliche Generalverdacht.Es kann daher auch nicht verwundern, dass sich Ehepartner, die aus einem Land außerhalb der EU kommen, einem zermürbenden Hindernislauf ausgesetzt sehen. In Verwaltungsvorschriften zum Personenstandsgesetz wird dies mit "wichtigen Zielen staatlichen Handelns" wie dem übergeordneten staatlichen Interesse an der "Beendigung des Aufenthalts von Ausländern, die sich rechtswidrig im Bundesgebiet aufhalten" begründet.Eine "Versorgungsehe" zwischen Deutschen ist demnach zwar auch "rechtsmissbräuchlich", dient aber eben nur persönlichen Vorteilen. Waren schon bisher Eheschließungen mit Partnern von außerhalb der EU mit langwierigen bürokratischen Prozeduren verbunden - die Beibringung eines sogenannten Ehefähigkeitszeugnisses, Kerndokument der Heiratsbürokratie, braucht in vielen Staaten Monate - so ist seit Juli 1998 jeder Standesbeamte verpflichtet, bei einer offenkundigen Scheinehe aktiv zu ermitteln.Schon bei ersten Terminen auf dem Standesamt soll das Paar in Augenschein genommen werden. "Keine Blickkontakte" zwischen den Verlobten können laut bayerischen Verwaltungsvorschriften einen Anfangsverdacht auf eine geplante Scheinehe nähren. Sodann sollen die Partner auch einzeln befragt werden. "Kenntnisse über denkwürdige Ereignisse aus dem Lebenslauf des anderen Verlobten (Schulabschluss, Vertreibung, Verfolgung, Folter, Flucht, Bürgerkriegserlebnisse)" sind dann beispielsweise von staatlichem Interesse. "Feststeht, dass bei Ehen, die nur zum Schein - insbesondere zur Umgehung ausländerrechtlicher Vorschriften eingegangen werden sollen - das Grundrecht der Eheschließungsfreiheit missbraucht wird. Mit solchen Scheinehen wird die Ehe als Grundwert verhöhnt", weiß der christsoziale bayerische Innenminister Beckstein die "umwälzende Neuerung des Eheschließungsrechts" zu kommentieren.Ist die Hürde Standesamt dennoch genommen, fangen die Probleme häufig erst an. Finden die Ehepartner etwa nicht gleich eine gemeinsame Wohnung wird rasch unterstellt: Scheinehe. Wer im Raster der Ausländerbehörden hängen bleibt, muss sich dann mitunter erneut inquisitorischen Fragestellungen unterziehen: "Welche Farbe haben Ihre Fliesen im Bad?". "Wo haben Sie Ihre Ehepartnerin kennen gelernt?"; "Welches Shampoo benutzt Ihr Partner?" Manchmal fallen die städtischen Mitarbeiter unangemeldet mit der Tür ins Haus, andere bedienen sich subtilerer Untersuchungsmethoden: Die arglose Ehefrau unterhält sich mit dem netten städtischen Mitarbeiter, als der er sich vorgestellt hat, über dies und jenes. Der will zum Schluss nur noch kurz einen Blick ins Bad werfen, wo prompt kein Rasierzeug zu finden ist."Vielen wird erst hier in der Beratung klar, dass sie zu Hause mit einem Vertreter der Behörde gesprochen haben, der über ihren Aufenthaltsstatus zu entscheiden hat", berichtet Hiltrud Stöcker-Zafari vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf) aus ihrer Praxis. Von den knapp 60 000 binationalen Eheschließungen im Jahr, geraten besonders die ins Visier der Behörden, die mit einem Partner aus einem Nicht-EU-Land geschlossen werden. Genauso ergeht es "ausländischen Ehen", bei denen ein Partner mit gesichertem Aufenthaltsstatus - etwa ein anerkannter Asylbewerber - einen nichtdeutschen Partner ehelichen will.Über das hinter all den Nachforschungen der Behörden stehende Bild, was denn nun eine "richtige Ehe" ausmacht, kann sich Halit Kadir, der Lebensmittelhändler aus Frankfurt-Bockenheim, nur wundern. "Was wollen sie von uns überhaupt, wir führen eine ganz normale Ehe. Meine Frau ist doch nicht meine Aktentasche, die ich immer bei mir habe." Die Gesundheitsprobleme, die seit dem Ärger mit der Ausländerbehörde auftreten, hat er sich von den behandelnden Ärzten attestieren lassen, "momentan habe ich überhaupt gar kein Vertrauen mehr in Behörden, Polizei oder Amtsgericht, oder was es auch immer ist. Wenn auch die Leute sagen, dass wir hier eine so moderne Demokratie haben, da zeige ich gerne meine Unterlagen - das ist keine Demokratie".* Name von der Redaktion geändertBeratungsmöglichkeit für Betroffene iaf e.V. - Verband binationaler Familien und Partnerschaften Ludolfusstr. 2-4, 60487 Frankfurt Tel.: 069/ 713756-0
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