Unter unserem Radar

Tiere Bei Laborversuchen denken wir an Mäuse und Ratten. Aber auch Fische werden für uns gequält
Ausgabe 14/2016
Wo keine Schmerzensschreie, da keine Schmerzen?
Wo keine Schmerzensschreie, da keine Schmerzen?

Illustration: der Freitag, Material: Reinhard H.

Es gibt einen Witz zum Thema christliche Mission in Afrika. Der Missionar ist sehr zufrieden mit sich, nachdem er den frisch Getauften die Grundregeln christlichen Verhaltens nahegelegt hat. Dann trifft er eines Freitags auf einen Einheimischen, der ein Rind schlachtet. Er fragt: „Habe ich euch nicht beigebracht, dass ihr freitags kein Fleisch essen dürft?“ Der Mann sagt: „Aber ich taufte es doch Fisch!“

So ähnlich halten wir alle es meistens. Die Tiere, die wir Fische getauft haben, schwimmen unter unserem Radar durch. Manche Leute, die Stierkampf barbarisch finden, halten Angeln für „meditativ“ oder für „Sport“. Weil Fische keine Schmerzensschreie ausstoßen, ein anderes Element bewohnen und andere Gesichter haben als wir, nehmen wir zu unseren Gunsten an, dass in einem Fisch subjektiv nicht viel los ist.

Dabei sagen schon der sogenannte gesunde Menschenverstand und immer deutlicher auch die Wissenschaft, dass das Humbug ist. Fische empfinden Angst, Stress und Schmerzen; soziale Fische fühlen sich wohler bei ihnen vertrauten Artgenossen; sie erkennen individuelle Mitglieder ihres Schwarms, bauen Rangordnungen auf und besitzen ein Langzeitgedächtnis. Bei mehreren Fischspezies wurde der Gebrauch von Werkzeugen beobachtet, im Erstellen mentaler Karten sind sie auch sehr gut.

Es sind also intelligente, empfindungsfähige Tiere – und doch werden sie gemeinhin nur wenig beachtet. Ich muss zugeben: Erst vor ein paar Tagen erfuhr ich, dass Fische nach Mäusen und Ratten die am meisten verwendeten Versuchstiere sind, vor allem für die LD50-Tests, bei denen die Giftigkeit von Pestiziden, Bioziden, Nahrungsmittelzusatzstoffen oder Duftstoffen getestet wird. Dem Wasser der Laborfische wird so lange die jeweilige Substanz zugesetzt, bis die Hälfte von ihnen tot ist. Dann kennt man die letale Dosis für 50 Prozent – dieser Fische jedenfalls.

Auch in der Diabetes-Forschung verwendet man Fische, unter anderem den kleinen Zebrafisch. Der kleine Zebrafisch kann nämlich seine Rückenflosse nach Verletzungen neu bilden. Darum zerstört man mit einer giftigen Lösung die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse des Versuchsfischs; er bekommt eine Art künstlichen Diabetes. Dann amputiert man ihm die Rückenflosse und beobachtet, ob und wie sie sich zurückbildet. Fürs Protokoll: Wir Menschen haben gar keine Flossen. Bei uns wächst auch sonst kein Körperteil nach. Wie zuverlässig ist eine Information, die an einem Tier gewonnen wurde, dem nach künstlich induziertem Diabetes eine Rückenflosse nachwächst?

99,9 Prozent aller Versuchstiere werden am Ende des Experiments getötet und dann meist seziert: Die physiologischen oder anatomischen Folgen der Torturen will man ja dokumentieren. Dabei ist es mit Fischen wie bei allen Tieren: Wenn sie dem Menschen nicht nah verwandt sind, sind die Ergebnisse nicht wirklich übertragbar. Sollten uns Tiere allerdings doch ähnlich und verwandt sein (wie es die Evolutionsbiologie eindringlich nahelegt), leiden sie auch darunter wie wir. In einer Hinsicht sind Versuchstiere uns jedenfalls ähnlich: Auch sie haben Empfindungen, verspüren Leid, Schmerz, Angst, Stress, aber auch Freude und Zugehörigkeit. Wir sollten endlich aufhören, sie im Dienste unserer Lebensweise zu malträtieren.

Hilal Sezgin ist Schriftstellerin und aktuelle Schirmherrin der Aktion „Versuchstier des Jahres“ vom Verein Menschen für Tierrechte

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