Vier im toten Kreis

Jazz Mit der vierten Ronin-CD präsentiert der Züricher Pianist Nik Bärtsch eine Live-Auswahl der Band der vergangenen Jahre - aufgenommen irgendwo zwischen Tokio und Lörrach

Komische Form, so ein Kreis: kein Anfang, kein Ende, nur Wiederkehr. Ein perfektes Bild für Ronin, die Band des Zürcher Pianisten Nik Bärtsch, die seit einem guten Jahrzehnt zu den weltweit außergewöhnlichen Formationen im Jazz gehört.

Auf der Basis von auskomponierten Patterns entwickelt Ronin in minimalistischen Verschiebungen, Überlagerungen und Verdichtungen einen tranceartigen Sog und stürzt den plakativen Individualismus des heiligen Solisten vom Sockel: Die individuellen musikalischen Wege der Musiker gehen nahtlos in den Gesamtklang über. Als „Ritual Groove Music“ hat Bärtsch das gelabelt und damit deutlich gemacht, dass es bei Ronin auch darum geht, der Musik den sozialen Ort wieder zu erkämpfen, der ihr Ausgangspunkt war. Ritual Groove beschwört die Auflösung des Individuellen in der Gemeinschaft.

Keine Tür, kein Ausstieg – so geschlossen wirkte auch das Auftreten der Band. Der ideelle Überbau, mit dem Bärtsch, der sich nach dem Musikstudium eingehend mit Philosophie und fernöstlichen Denkweisen beschäftigte, seine Ritual Groove Music versieht, unterstreicht diesen Eindruck. Klarheit und Kühle sind hier direkt gekoppelt an eigene Sprachregelungen. Seine Kompositionen bezeichnet Bärtsch als Module, die er (vermutlich in der Reihenfolge ihrer Entstehung) nummeriert. So formuliert Bärtsch eine um Dimensionen abstraktere Version von David Byrnes Stop Making Sense, unterbindet die Infektion der Musik mit vordergründigen Affektiertheiten, mit Sentiment und Bedeutung; er macht die Schotten dicht. Die Band wird zu einer hermetischen Einheit, in der nach innen ein Teil ins andere greift, während das Auftreten nach außen bisweilen sektenhafte Züge annimmt.

Mit der vierten Ronin-CD für das Münchner Label ECM hebt Bärtsch nun einen Punkt auf der Kreisbahn hervor. Nach drei Studioproduktionen, mit denen die Band ihr Konzept verfeinerte, kehrt Ronin mit einem Live-Doppelalbum an den Ausgangspunkt zurück. Nik Bärtsch’s Ronin: Live präsentiert neun Stücke, die die Band im Verlauf der vergangenen drei Jahre irgendwo zwischen Lörrach und Tokio aufgenommen hat.

Live, also dort, wo sich die Kühle der Form an den Erwartungen der einzelnen Zuhörer erhitzt. In kleinen Details schlägt die Individualität der einzelnen Musiker hier über die Strenge der Komposition – in etwas weiteren Dynamikausschlägen als in der Laborsituation des Studios, in den Glissandi, mit denen der Bassist Björn Meyer seine Melodielinien ausspielt, in dem etwas aufgerauten Ton, in dem der Holzbläser Sha seine Bassklarinette oder sein Saxofon schreien lässt. Hier flackert Hitze auf, die Ritual Groove Music nähert sich ihrem Ideal, einer kollektiven Erfahrung. Einerseits.

Andererseits ist die Geschichte von Ronin mit diesem Album zu einem Ende gekommen. In Modul 55, einem Mitschnitt von der JazzBaltica 2011, der das Doppelalbum beschließt, tritt Thomy Jordi an die Stelle des Bassisten Meyer. Auf Live wirkt sich die Veränderung kaum aus.

Doch Ronin ist keine Band, in der Wechsel in der Besetzung business as usual wären. Als vor kurzer Zeit die Trennung von Perkussionist Andi Pupato, dem zweiten der vier Gründungsmitglieder, bekannt gegeben wurde, war klar: Ronin hat die Kreisbahn verlassen. So wie man die Band kannte, wird es sie nicht weiter geben.

Live Nik Bärtsch’s Ronin (ECM)

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