Virtuelle Direktoren

ICANN-WAHLEN Im Internet ist vorerst nur die Vorstufe zur Demokratisierung genommen

Es waren einmal neun, jetzt sind es nur noch fünf. Fünf Direktorenposten der ICANN (International Corporation for Assigned Names and Numbers) stehen im Oktober weltweit zur E-Mail-Wahl. Die Organisation verwaltet seit zwei Jahren alle so genannten Top-Level-Domains, Abkürzungen wie ".org", ".com" oder ".de" in den Internet-Adressen. Die Einsicht, dass dies eine politische Angelegenheit ist, führte noch unlängst zur Idee, sich durch Wahlen gegenüber den Global Players im Internet, den US-Regierungen, aber auch Konzernen wie AOL legitimieren zu lassen. Heute rudert die ICANN zurück. Nur noch fünf, nach Kontinenten getrennte Direktoren von 19 dürfen die User per Wahl bestimmen, die offiziellen Kandidaten werden diese Woche präsentiert (www.icann.org).

ICANN begreift die Abstimmung inzwischen als Experiment und versucht sich als technische Zentralinstanz aus Spezialisten zu verkaufen - so etwas wie eine Straßenbehörde, die den Wegen in einem Stadtviertel Namen gibt. Doch an den Namen hängen inzwischen Milliarden, und neben ökonomischen liegen die politischen Fragen, mit denen ICANN sich bald beschäftigen muss, auf der Hand. Ein Beispiel: Palästina hat erfolgreich einen Antrag auf Erteilung der Domain ".ps" gestellt, ist im Cyberspace gewissermaßen schon anerkannt, ähnliches könnte sich bald mit Tibet wiederholen. Und ohne Top-Level-Domains, die ICANN verwaltet, ist die Orientierung im Netz fast unmöglich. Eigentlich müssten gleich alle 19 Direktoren zur Wahl stehen oder ICANN einer transnationalen Organisation wie der UNO unterstellt werden. Doch da sind die USA vor. Sie führen lieber eine Non-Profit-Organisation an der kurzen Leine.

Das Beispiel zeigt, dass die Demokratisierung des Internet auch in einem Demonopolisierungsprozess besteht. Ihre eigene Hegemonie ist den US-Amerikanern keine Frage wert. Und während weltweit zu den Wahlen aufgerufen wird, diskutiert man dort, ob die Domainverwaltung als nationales Eigentum ICANN überhaupt hätte überlassen werden dürfen.

Aus Deutschland haben sich 20.475 Wähler registrieren lassen, eine im europäischen Vergleich überwältigende Zahl. Mit den Virenattacken, der Green-Card-Diskussion, aber auch dem viel frischeren IT-Boom, hat das Internet hat hierzulande einen Großteil seiner Virtualität verloren. In den USA dagegen sind mit dem I-Love-You-Virus die Ängste vor einer neuen Anarchie des Netzes neu aufgeflammt. Die Ängste eines Autokraten vor dem Machtverlust, der sich bisher den Blick auf die Multipolarität des Internet schenken konnte. Ähnlich dem Übergang in das konstitutionelle Zeitalter wird nun alles unternommen, eine Techniker-Oligarchie als Honoratiorenparlament zu definieren, anstatt einfach die demokratischen Standards der Ursprungswelt des 21. Jahrhunderst zu übernehmen. Dieser demokratischen Vorstufe könnte das Internet jedoch schneller entwachsen sein, als den USA lieb ist. Kulturelle Evolutionschritte dauern im Netz manchmal nur Tage.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden