Vorstellbar als Ruth Maria Kubitschek

Glosse Sibylle Lewitscharoff hat einen Krimi geschrieben. Was taugt er? Wir haben unseren Krimi-Experten gefragt
Ausgabe 17/2014

„Kilmauski?“ sag ich am Telefon – könnte ein polnischer Nachwuchsstürmer sein. Für den BVB vielleicht? „Quatsch“, sagt mein Redakteur. „Sibylle Lewitscharoff, Büchnerpreis, Monsterkinderskandal.“ Ja, ich weiß, sie soll unbequeme Ansichten zur Bioethik haben, stammt aus Stuttgart-Degerloch (meinem Freund seine Schwester war nämlich mit der Sibylle in der Grundschule), redet naturgemäß schwäbisch, soll aber auch auf Hochdeutsch sehr sprachgewaltig sein. Nur gelesen hab ich nichts von ihr. „Umso besser“, sagt mein Redakteur, „Sie sollen dieses Killmousky-Ding rein krimimäßig und vorurteilslos beurteilen.“

Da ist er bei mir richtig, denke ich und sage es wohl auch, obwohl: Katzenkrimis sind in Wahrheit nicht so mein Ding. Wer daheim Tag für Tag von mindestens einem halben Dutzend ganz lebendiger Kater, Katzen und Kätzchen umgarnt wird, entwickelt auf Dauer andere Lesebedürfnisse. Unklar bleibt mir allerdings, wie und warum der kleine Mäusekiller aus der beschaulichen TV-Grafschaft Midsomer ins Münchner Umland, in das Gartenhäuschen und schließlich ins Bett von Kriminalhauptkommissar i.R. Richard Ellwanger findet. Ist aber auch egal, weil K. für den Fortgang des Geschehens kaum noch eine Rolle spielt. Der schwarze Kater, auch auf dem Cover des Büchleins zu bewundern (Suhrkamp Verlag 2014, 223 S., 19,95 €), ist in Wahrheit ein „roter Hering“. Viel Irreführung also schon zu Beginn: „Der Fall muss es in sich haben“, pflegte der philosophische Krimifreund Ernst Bloch da zu sagen. Versuchen wir aufzuklären. Ellwanger hat den Dienst vorzeitig verlassen, weil er einem widerborstigen Kindesentführer und -mörder mit Folter gedroht hat (so etwas gab es vor ein paar Jahren in Frankfurt, wie wir wissen) und blickt jetzt ziemlich verloren ins schwarze Loch des Ruhestands. Rettung naht in Gestalt seiner weltläufigen Vermieterin Frau Kirchschlager, die wir uns wie Ruth Maria Kubitschek vorstellen dürfen. Sie beordert ihn telefonisch nach New York, wo er als Privatermittler eine höchst delikate Familienaffäre aufklären soll. „Warum gerade ich?“ fragt er sich, ausgerüstet mit der schäbigen alten Reisetasche und sehr schlechtem Schulenglisch, in der First Class hoch über dem Atlantik.

Das klärt sich bald in einer Luxuswohnung am Central Park, wo wir uns gleich wie in einem Philip-Marlowe-Roman fühlen: der steinalte und steinreiche Patriarch und das ungleiche Töchter- und Schwesternpaar. Die Jüngere ist leider tödlich vom Balkon gestürzt (worden?), die Ältere gibt den Racheengel und verführt den Exkommissar zwischen zwei Whiskys. Verdächtig ist der trauernde Witwer, ein Mr. Larson, blendend aussehend, mit besten Umgangsformen und ohne jedes eigene Vermögen. Hochstapler? Heiratsschwindler? Gattenmörder? Und womöglich gar kein Norweger? Ellwanger wird auf eine Spur gesetzt, die tief in seine Vergangenheit und die süddeutsche Heimat führt... Hier brechen wir ab, um die insgesamt mäßige Spannung nicht weiter zu mindern.

Zusammenfassend und ohne jedes Vorurteil: Um dies einen „grandiosen Kriminalroman“ zu nennen, muss man schon für die Suhrkamp-Werbung arbeiten. Denn das klingt etwa so überzeugend, wie wenn Ellwanger seinen Kater als „größten Mäusefänger von München“ feiert, weil der ihm aus Wiedersehensfreude ein klitzekleines Mäuschen vors Bett gelegt hat. Killmousky ist eine ganz flott erzählte, nicht allzu spannende Story, zwischen Einfühlung und leiser Ironie lavierend, was mich an Martin Walser erinnert, und mit vielen Versatzstücken des Genres gespickt – da ein bisschen Chandler, dort eine Prise Highsmith. Es ging Frau Lewitscharoff ganz sicher nicht darum, das kriminalistische Genre für tiefer greifende Themen und Probleme zu nutzen, wie das manche ihrer Kollegen und Kolleginnen tun. Für sie – denke ich mir – war das eine Finger- und Lockerungsübung zwischen ihren sprachgewaltigen und sicher anstrengenden Hauptwerken. Und warum auch nicht? Ernst Jünger hat das auch gemacht (Eine gefährliche Begegnung, 1985, funktioniert ganz ähnlich).

Für Krimifans aber ist Killmousky umgekehrt auch nur eine halbwegs amüsante Zwischendurchlektüre, geeignet für mittlere Bahnstrecken, von Essen nach Hannover . Und vor allem, wiederum ganz vorurteilsfrei: Ohne den büchnerpreisgeschmückten und jetzt auch noch kontroversenbehafteten Namen der Verfasserin wäre dies Büchlein im Strom der monatlichen Kriminovitäten sicherlich niemandem besonders aufgefallen. Und das sag ich auch meinem Redakteur, wenn er wieder anruft.

Jochen Vogt ist emeritierter Professor für Germanistik und schreibt regelmäßig für die Krimi-Beilage des Freitag

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