Kein Käuzchen gauzt. Selbst die notorische Nachtigall hält mal die Klappe. Besser so. Es ist der Abend des 18. Juli, und wir haben schwer damit zu tun, tief in uns hinein zu horchen: »Janitor of Lunacy / Paralyze my infancy / Petrify the empty cradle...« Heißer schluchzt die eiserne Friedhofstür, durch die wir uns jetzt drücken. Es klingt wie »Thää Äänd«. Aber wir träumten noch von den Anfängen: »Femme Fatale«, »I'll Be Your Mirror«, »All Tomorrow's Parties«, von der Bananenplatte aus Warhols Factory, ihrer einzigen mit Velvet-Underground, wo sie schon expediert war, bevor die erschien. Weil die Männer es nicht aushielten. Für mich saß sie im hellen Kaftan und arabisieren
renden Käppchen auf dem Wüstenzossen, ganz nach dem Cover von »Desertshore« - ihre beste Platte -, aber als wir an dem Grab der unglücklichen Kinder vorbeikommen, katzenkopfgroße Steine in den Boden getrieben, einer für jedes der zwei-, dreijährigen Seelchen, da ist sie schon ganz in Schwarz gekleidet, wie immer seit dem Ende der Sechziger, mit den Augen des weiblichen Pandas, und singt mir durchs Gemüt im Gruft- und Grabes-Alt ihres letzten Konzertes Fata Morgana, 1988 in der Wilhelm-Forster-Sternwarte zu Berlin: La-la-la- / la-la-la- / la-la-la- / la-laaaaa. »Ich hab die Worte nicht gefunden«, sagt sie lächelnd auf meinem Mitschnitt. Und drückt auf ihrem Harmonium herum, mit dem allein sie ganze Säle voll harter Burschen ans Tränen bringen konnte. Das ist der 6. Juni. Am 18. Juli macht sie sich mit dem Rad, sie wohnt auf der Insel, nach Ibiza-Stadt auf, erzählt ihr Sohn Ari, um sich ein Fingerhütchen Haschisch zu besorgen. Aus ungeklärten Ursachen fällt sie vom Rad und stirbt an einem nicht rechtzeitig erkannten Blutgerinnsel im Gehirn. Christa Päffgen, geboren 1938 in Lübbenau, Gespielin aller Heiligen: Lou Reed, John Cale, Iggy Pop, Jackson Browne, Jim Morrison ..., einziger deutscher Star am Weltpop-Himmel, neben - vielleicht - der Schneider. Wie die hatte sie sich von Delon ein Kind drechseln lassen. Gern hört man die Schnurre von Mutter Delon, die sich nach New York aufmachte, das Baby Ari zu retten, antreffend die Päffgen singend, das Baby brabbelnd auf dem Barhocker, nippend am Whisky. Ari, der, als sie hier versenkt wurde, neben Mutter Margarete (1910 - 1970), eines ihrer ergreifendsten Lieder gesungen haben soll: »Liebes kleines Mütterlein, nun darf ich endlich bei dir sein ...«Mehrere Tagesreisen haben wir auf uns genommen, um von Bezirk Lichtenberg rechtzeitig ganz an den westlichen Rand der Stadt, in den Grunewald, an die Schildhornbucht der Havel und dann fünfhundert Meter hinein ins schattige Grün zum Friedhof Grunewald Forst zu kommen. Früher hieß er, und länger hieß er im Volksmund »Selbstmörderfriedhof«. Wo sich die Unglücklichen oder des Lebens Überdrüssigen auch in die Havel warfen, hier, so sagt man, wurden sie angetrieben und waldwärts entsorgt. »Nun ruhst Du sanft in schöner Waldesstille. Was auch geschah, es war Dein eigner Wille«, die Grabschrift für C.R. 1875 - 1915. Schlicht sind die Steine der Sünder, ohne frommes Rankenwerk. Nur die Namen, sonst nichts. Gefallene kamen später hinzu, Russen, die den Tod des Zaren nicht verwanden, orthodoxe Kreuze aus Eiche erinnern. In den zwanziger Jahren, nach Eingemeindung des Grunewaldes, nahmen sich die Wilmersdorfer des Schandangers an. Ein Mäuerchen wurde darum gestellt, die Wege ordentlich geharkt. Die Kundschaft wurde bürgerlich. Heute ist er ein kleines Od im Grunewald Forst.»Jagd vorbei«, steht auf dem aus drei halbierten und angespitzten Baumstammstummeln triptychonartig erbauten Grab des um den Friedhof verdienten Försters Willi Schulz, dem 1928 auf den mittleren Stamm ein kleines Geweih genagelt wurde. »Jagd vorbei«, das könnte auch für Christa Päffgen stehen. Model, Schauspielerin, Chanteuse, Groupie und Grufti, Erneuerin des deutschen Volksliedes und Befruchterin der Gothic-Szene, drogengestützt immer am Zerbrechen vorbeigehustet. Ein Raunen war durch den Wald gegangen: Nachts, am Todestag, würden mit leisen Gesängen und hartem Rauchwerk ihrer die Freunde des wirklich anderen und besseren Deutschlands - sie sang die drei Strophen des Liedes der Deutschen, dass du im Schweiß wie im Eis standest - ihrer gedenken. Doch wir waren allein. So klein und bescheiden der schwarze Stein, dass wir drei Runden brauchten, um ihn zu finden. Plötzlich funzelte aus der Hecke ein Hindenburglichtlein, und oben drauf, zwei Schuhkartons hoch, lag eine einsame Rose. Da standen wir sehr still und schämten uns ein bisschen für die Undankbarkeit der Welt und ihre schnöde Flüchtigkeit: »No one is there / And no sound / Has them declared / To be missing.« Christa Päffgen, genannt Nico: »No One is There«.
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