Warum gibt es immer mehr Alltags-Denker?

Sprachkritik Heute beanspruchen selbst Fußballexperten für sich, einer "Philosophie" zu folgen. Schuld daran ist die Universität, die der Trivialisierung des Wortes Vorschub leistet
Ausgabe 16/2014

Borussia Dortmund hatte den FC Bayern in München 3:0 geschlagen und überhaupt neigt sich die Fußballsaison ihrem Ende entgegen. Da ist es Zeit für grundsätzliche Gespräche und so nahm auch die Talkrunde Doppelpass im Privatsender „Sport 1“ ihren Verlauf. Das waren 135 Minuten und in diesen kam locker gezählt hundert Mal das Wort „Philosophie“ vor. Eher häufiger.

Nun ist die Trivialisierung dieses Wortes kein ganz neues Phänomen. Man sprach schon früher von der Philosophie des Teetrinkens oder der Philosophie des Schachspiels. Da aber war eine Wendung zum Gedanklichen geradezu beabsichtigt.

Das kann man von den Fußball-Experten wahrlich nicht behaupten. Die sind gewiss nicht blöd, wollen indes mit ihrem Idiom kaum in die Nachfolge des Sokrates geraten. Nein, diese Experten und Gleichgesinnte überall und aus allen Schichten haben Teil an einer Gesprächskultur, in der „Philosophie“ zum Allerweltswort herabgesunken ist.

Das hat mit dem Zustand der Universität zu tun. An ihr ist Philosophie seit geraumer Zeit nicht mehr das Fach, das es einmal war. Vor 40 Jahren drohte ihr die Soziologie den Rang abzulaufen. Doch die unverzichtbaren Voraussetzungen von Soziologie – der Statistik-Schein – erwiesen sich als zu schwierig für viele. Da waren etliche Philosophen flexibler. Wozu braucht ein Student das Graecum, wenn er doch nur lernen will, bei allem und jedem mitreden zu dürfen? Längst kann man in Philosophie promoviert werden, ohne Griechisch zu können. Auch soll es inzwischen schon Philosophieprofessoren geben, die Platon nicht im Original lesen können.

Ist das schlimm? Eigentlich nicht. Das 2500 Jahre alte Fach hat Höhen und Tiefen erlebt. Universitätsphilosophie hat zumal in Deutschland große Namen hervorgebracht: Kant – Hegel – Heidegger – Blumenberg. Aber es gab immer auch große Philosophen außerhalb der Universität: Hamann – Schopenhauer – Marx – Nietzsche. Die Trivialisierung der Philosophie durch Universität und Fernsehrunden könnte eine Zeit der Erholung für sie einleiten.

Und ist Griechisch so wichtig? Das nun freilich schon. Wer möchte schon einen Arzt, der nichts von Biologie weiß – trotz der Fortschritte bei den Apparaten und in der Pharmazie. Und so wird die Rückkehr zur Philosophie nur über die Rückkehr des Griechischen in die Philosophie möglich sein.

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