Was der Teufel weiß

Film In seinem Western „The Homesman“ inszeniert Tommy Lee Jones alles nüchtern – außer sich
Ausgabe 51/2014

Geht der Aufbruch nach Osten, ist es mit dem Western vorbei. Davon erzählt Tommy Lee Jones’ Film The Homesman. Eine Frau fährt mit drei Frauen als Fracht von Nebraska nach Osten; die Fracht ist fragil, die Frau scheint es nicht. Die drei Frauen sind dem Wahnsinn verfallen, aus Angst, Unterdrückung und Not. Die eine hat ihre Kinder verloren, die andere ihr Baby aus Verzweiflung in die Latrine geworfen, die dritte kann ihren sie brutal vergewaltigenden Mann nicht mehr ertragen.

Diese drei: Sie schweigen, sie schreien, sie treten, sie sitzen mit Krämpfen herum. Sie fügen sich nicht, sie nützen nicht, sie machen nur Arbeit, darum ist für sie in der kargen Gemeinschaft kein Platz. Weil sich kein brauchbarer Mann findet, der die Mühsal und Gefahr des Transports durch die von Outlaws und Pawnee-Indianern bevölkerte Gegend wagen will, nimmt Mary Bee Cuddy das in die Hand. Die Damen sind empört, aber die Herren wissen sehr wohl: Sie ist der beste Mann, den wir haben.

Das ist sie, und das ist für sie ein Problem. Sie gilt als bossy und unattraktiv. Schwer vorstellbar bei einer Figur, die von Hilary Swank gespielt wird, aber das ist gerade ein wichtiger Punkt: Ins Männliche tendierende Züge stehen einer Frau in dieser Gesellschaft aus Männersicht nicht. Sie hat ihren Nachbarn zu Gast, einen groben Klotz. Sie bekocht ihn, sie singt, sich auf einem Stoffklavier imaginär begleitend, sehr schön ein Lied.

Der Mann am Strick

Dann macht sie ihm einen Heiratsantrag: Sie hat ein Haus, Grund, sogar Geld. Es spricht vieles für sie. Er aber ist entsetzt, weist sie brüsk ab, will alles, nur das nicht: eine Frau, die ihn im Grunde nicht braucht. Da wird sie zum homesman, der Heimbringerin, die als eine Art weiblicher Moses versucht, die drei Frauen in ein nicht sonderlich gelobtes Land hinein-, aber aus einem verfluchten herauszubringen.

Zu Beginn der Reise gabelt sie jemanden auf. Der sitzt auf einem Pferd, hat einen Strick um den Hals und sieht seine letzte Stunde geschlagen. Wer er ist, woher er kommt, weiß der Teufel. Mein Name, sagt er, ist George Briggs. An den Strick geraten ist er, weil er das Haus eines andern in Beschlag nahm, der zwar abwesend war, aber bei Eigentumsfragen versteht die Grund und Boden raubende Siedlergemeinschaft keinen Spaß.

Wie Tommy Lee Jones als Regisseur und Koautor des Drehbuchs (nach einem Roman von Glendon Swarthout) die Figur, die er selbst spielt, hier einführt, ist interessant – nämlich mit einer deutlichen Note von Slapstick; wie überhaupt die Mischung der Töne, von blankem Entsetzen bis ins albern Groteske, zu den reizvollen Zügen von The Homesman gehört. Inszeniert ist das trocken. Klar, kühl, unepisch sind die Landschaftsaufnahmen. Die Schnitte sitzen wie Tomahawkhiebe. Die Form soll nur das Nötige tun. Das weiß auch Hilary Swank und tut dann hinreißend wenig. Umso irritierender ist dagegen, wie Tommy Lee Jones, der als Regisseur so viel Sachverstand zeigt, das nüchterne Bild als Darsteller trübt, indem er das zerknitterte Original bis an die Grenzen des Oscarverdachts chargiert.

Mary Bee Cuddy erlöst Briggs vom Strick und verpflichtet ihn, als Schutzmann die fragile Fracht zu begleiten. Vier Frauen, ein Mann – und dann passiert eine Weile schon und plötzlich nicht, was man denkt. Was seine spannenden Seiten hat und seine problematischen. Und dazu führt, dass in der Geschichte, die sich als feministische Kritik an männlichen Westernmythen geriert, doch eine Männerfigur ins Zentrum rückt: eine zugegebenermaßen sehr lose Kanone; ein Trickster, der an entscheidender Stelle Nein sagt und das bereut; ein Westerner, der ohne Skrupel Mann, Maus und Haus abfackelt, wenn ihm einer unverschämt kommt. Am Ende schießt er und tanzt in einem seltsamen Ritual.

Man kann das als erratisch gutheißen. Etwas ratlos lässt es einen aber auch zurück.

The Homesman Tommy Lee Jones USA/F 2014, 123 Minuten

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Geschrieben von

Ekkehard Knörer

Redakteur Merkur und Cargo.

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