Ob die VIP-Party in Kapstadt, organisierte Massenveranstaltung in Pretoria oder private Feiern in Soweto - fassungslos und wie betäubt starrten die Menschen überall in Südafrika auf die Bilder aus dem fernen Zürich. Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 wird in Deutschland stattfinden und nicht, wie von Millionen Südafrikanern erhofft, rund ums Kap der Guten Hoffnung. Aus der Traum - die Party ist zu Ende. Millionen von Südafrikanern haben die Entscheidung live miterlebt. Ungeniert lassen sie danach ihrem Schmerz freien Lauf - nach Sekunden des Entsetzens, gefolgt von grenzenloser Stille, enden die südafrikanischen Hoffnungen in Tränen der Enttäuschung und Wut. Am Civcic Theater in Johannesburg sinken die Menschen ungläubig auf die Knie,
f die Knie, einige stimmen das uralte afrikanische Lied "Senzeni na" - "Was haben wir getan?" - an.Die Entscheidung von Zürich hat ein ganzes Land und wohl auch einen ganzen Kontinent desillusioniert. "Das ist ein tragischer Tag für ganz Afrika", so auch Präsident Thabo Mbeki in einer Fernsehansprache, die nur wenige Minuten nach der Abstimmung landesweit über den Sender geht. Von Stimmenkauf und Bestechung ist die Rede sowie von Rassismus der europäischen Fußball-Mächte. Sogar die sonst eher liberale und moderate Wochenzeitung Mail Guardian hat sich für das eher grobe Raster entschieden und macht ihre jüngste Ausgabe mit einem beziehungsreichen Cartoon auf, bei dem ein deutscher Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg unterwegs ist. Die Überschrift: "First world über alles" ...Mit seiner Mehrheitsentscheidung, dem reichen Deutschland lieber noch ein wenig mehr zu geben, anstatt Südafrika zu einem entscheidenden Schritt nach vorn zu verhelfen, hat der Weltfußballverband der gesamten Region eine bis dato einzigartige Chance versagt. Selbst nach unabhängigen Schätzungen konnte man im Falle einer Vergabe der Weltmeisterschaft mit 129.000 zusätzlichen und vor allem dauerhaften Arbeitsplätze rechnen. "Das wäre eine große Chance für viele Südafrikaner gewesen," meint Gillian Saunders, Vorsitzender der Unternehmensberatung Grant Thornton Kessel Feinstein und Konsultant des südafrikanischen Bewerbungskomitees. "Ein einmaliges Geschäft, vor allem für die Tourismusbranche, den Dienstleistungssektor überhaupt, aber auch zur Entwicklung der Infrastruktur natürlich ... "Kevin Wakeford von der Südafrikanischen Handelskammer errechnete 16 Milliarden Rand an möglichen ausländischen Direktinvestitionen für den Fall, das größte Sportereignis der Welt neben den Olympischen Spielen käme an den Südzipfel Afrikas. Zusammen mit etwa 14 Milliarden Rand an Investitionen aus dem Inland wären umgerechnet mehr als zehn Milliarden Mark in die nationale Ökonomie geflossen. Für die Kap-Republik die Voraussetzung für ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukt um immerhin zwei Prozent, so Wakeford. "Es kann keinen Zweifel daran geben, dass dies der südafrikanischen Wirtschaft eine Initialzündung verschafft hätte, die sie so dringend braucht."Dem Staat entgehen nun 3,3 Milliarden Rand an zusätzlichen Steuereinnahmen, man erwartete insgesamt 278.000 Besucher, die im Durchschnitt 900 Rand pro Tag ausgegeben hätten. In froher Erwartung legte selbst der All-Share-Index der Johannesburg Stock Exchange (JSE) in den Tagen vor der Entscheidung kräftig zu. Besonders Tourismuswerte wurden nachgefragt, schließlich stieg bereits nach dem Rugby-World-Cup 1995 in Südafrika die Zahl der ausländischen Besucher im Jahresschnitt um beachtliche zehn Prozent.Mehr als 40 Millionen Rand - knapp sieben davon staatlich und durch Steuergelder finanziert - sind für eine letztendlich erfolglose Bewerbung ausgegeben worden. Doch was vielleicht noch schwerer wiegt als der finanzielle Verlust, das ist wohl der psychologische Schock für die Menschen zwischen Krüger-Nationalpark und Kap. "Das war nach unserem Eindruck kein Votum für Deutschland", so auch Mike Schussler, Chef-Volkswirt der FBC Fidelity Bank, "sondern eine Entscheidung gegen den Schwarzen Kontinent. Die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in ein afrikanisches Land hätte den Menschen gezeigt, dass man sie endlich ernst nimmt, ob nun in Paris, London oder Berlin.""Es hätte keine eindeutigere Botschaft geben können als diese Wahl", so auch Xolela Mangcu, Kolumnist der angesehenen Wochenzeitung Sunday Independent. "Die Motive der reichen Industrieländer werden nicht - wie oft behauptet - von Gefühlen oder Moral, sondern von einem einfachen und eitlen Kalkül aus Macht, Geld und Hautfarbe bestimmt. Aber wussten wir das nicht schon vorher? Unsere Politiker haben zwar versucht, es diplomatischer auszudrücken, aber diese Wahl war nackte Korruption."Weder harte Arbeit noch Mitleid, so der Tenor, ja selbst das Charisma eines Nelson Mandela könnten die "Erste Welt" dazu bewegen, ein Stück vom Kuchen abzugeben. Man verweist auf einen Report der Londoner Sunday Times, die von Geschäftsabschlüssen der DFB-Sponsoren Daimler Chrysler und Bayer mit asiatischen Unternehmen spricht und Ankündigungen Bundeskanzler Schröders für weitere Aufträge nach Asien, sollten die vier asiatischen FIFA-Delegierten für Deutschland stimmen.Es gibt nun einmal keine geschenkten Elfmeter in der Sportpolitik. "Ich hoffe, die FIFA lässt uns endlich begreifen, wie attraktiv wir wirklich sind für ausländische Investoren", so Mangcu weiter. "Wir müssen endlich begreifen, wie groß der Unterschied ist zwischen tränenreichen und blumigen Reden voller Bewunderung für unsere ÂRainbow Nation und die so genannte ÂAfrican Renaissance im Vergleich zu der Realpolitik, wenn es darum geht, Geld in unsere Wirtschaft zu lenken".