Wer die Sprache hat, hat die Macht

Gratwanderin Sprache beeinflusst das Bewusstsein. Trotzdem kommt die Debatte um gendersensible Begriffe noch oft zu kurz – zum Beispiel in den Medien
Ausgabe 11/2014
Wer die Sprache hat, hat die Macht

Illustration: Otto

Zuerst einmal ein kleiner Test. Was fällt Ihnen an dem folgendem Satz auf: „Die Menstruation ist bei jedem etwas anderes.“ Na, lieber nochmal lesen? Sehen Sie, man hat sich so sehr daran gewöhnt, dass es nicht mehr auffällt, wenn bei einem durch und durch weiblichen Thema die männliche Endung benutzt wird. Passiert nach wie vor, dauernd. Sicher auch in dieser Zeitung, wie in vielen anderen auch.

Dieser Satz ist das Paradebeispiel, das die Linguistin Luise F. Pusch immer wieder anführt, um die Absurditäten unserer männlich geprägten Sprache offenzulegen. Sie macht das seit Jahrzehnten, unermüdlich, gerade wurde sie 70 Jahre alt. Und ist bekannt für ihre präzisen Analysen und den Kampf, das Pronomen „man“ durch „frau“ zu ergänzen. Aber so augenöffnend die Arbeit der Sprachwissenschaftlerin schon immer ist, so elementar ist die Botschaft, die ein neues Brevier der studentischen AG Feministisch Sprachhandeln der Berliner Humboldt-Universität nun vermittelt: Es ist keine Angelegenheit der Alten.

Auf über 50 Seiten puzzeln sie unter dem Titel „Was tun?“ ganz praktisch auseinander, wie unerlässlich es ist, Sprache bewusst einzusetzen und Formulierungen zu hinterfragen, Akzente zu setzen, hier und da Synonyme zu finden und auf Geschlechter-Endungen zu achten. Mit Argumentationshilfen und Glossar. Kurz: Es sollte nach wie vor Alltagsthema sein. Eben auch bei Menschen weit unter 70.

Dieser Aspekt kommt leider meist zu kurz. Nicht nur im akademischen Betrieb, für den die Schrift in erster Linie verfasst ist. Mehr noch: Die Diskussion um gendersensible Sprache kommt vor allem dort zu kurz, wo sich alles um Sprache dreht, wo Realität abgebildet und multipliziert wird: in den Medien.

Radikal sperrige Ansätze

Ja, es gibt seit zwei Jahren eine Initiative wie „Pro Quote“, die für mehr weibliche Führungskräfte in der Medienbranche kämpft, und ja, seit einem Jahr wird unter dem Twitter-Hashtag #aufschrei alltäglicher Sexismus transparent gemacht, ausgelöst von den Texten zweier Journalistinnen, die über Diskriminierungen in ihrem Arbeitsalltag als Politikreporterinnen berichteten. Aber das reicht nicht. Damit sich nicht nur an der Oberfläche etwas ändert, muss das Bewusstsein für die Macht der Sprache geschärft werden: Sie ist unser aller Alltagsinstrument, in ihr spiegeln sich Ideologien, Mentalitäten, Hierarchien und eben auch gesellschaftliche Veränderungen. Sie ist der Kern von allem.

Natürlich ist der Ansatz der Studierenden radikal sperrig, die etwa „ver_orten“, „wel_chen“ und „re_produzieren“ schreiben. Aus linguistischer Perspektive aber sinnvoll, weil diese Schreibweisen aufrütteln. Aber für den Alltag von Medienschaffenden unpraktikabel. Nicht nur, weil das für Hörfunk und TV erst recht nicht taugt. Der Fokus in unserem Metier ist, die Realität abzubilden. Ohne zu diskriminieren. Und über Sprache auf vorgestrige Mentalitäten hinzuweisen, damit sich etwas ändert. Da sind Unterstriche kontraproduktiv.

Eine Gratwanderung. Auch die Diskussionen um die Praktikabilität von Binnen-I oder Auslassungs-Unterstrichen in Substantiven sind bekannt und werden wahrscheinlich noch Jahrzehnte weitergehen. Zum Glück. Denn Sprache ist, wie unsere Gesellschaft auch, etwas Lebendiges. Es reicht schon, sie aus dem statischen Endzustand zu reißen und als permanentes Diskussionsmedium zu begreifen.

Um ein kleines Feuer zu entfachen, könnte man vielleicht einfach mal eine Zeitungsausgabe produzieren, in der alle „-er“-Endungen von Substantiven ersetzt werden. Durch „a“. „Türöffna, Computa, Drucka“, schlagen die Autorinnen des Heftes „Was tun?“ vor. Wa-rum auch nicht, egal, Hauptsache, es wird sensibla.

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