IM GESPRÄCH Helmut Holter (PDS), Arbeits- und Bauminister in Mecklenburg-Vorpommern, über Gesprächskreise in Sachen Demographie auf Landes- und Bundesebene
Von Berlin nach Schwerin ist es gar nicht so weit. Vor der schon denkwürdigen Bundesratsabstimmung über die Steuerreform machte Gerhard Schröder einen Abstecher dorthin, als nächster hat sich Norbert Blüm in der Hauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns angesagt. Er nimmt im November an der von Helmut Holter initiierten Denkwerkstatt teil. Anlass für den PDS-Minister war die Besorgnis erregende Bevölkerungsentwicklung an der Ostseeküste bis 2020: Viele Junge ziehen weg, jeder Dritte wird im Jahr 2020 über 60 Jahre alt sein. Neben Blüm werden unter anderen der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel, der Soziologe Claus Offe, der Vorsitzende des ostdeutschen Bankenverbandes Edgar Most, die ehemalige Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe und der Publi
Publizist Johano Strasser an den Runden teilnehmen. Eine illustre Versammlung, die vermuten lässt, dass die Gespräche nicht an den Grenze des Bundeslandes Halt machen sollen.FREITAG:Norbert Blüm hat gesagt, Sie seien weiter sein politischer Feind. Gilt das auch noch umgekehrt?HELMUT HOLTER: Das galt nie. Für mich ist Norbert Blüm kein Feind, sondern politischer Gegner, und das fordert die politische Auseinandersetzung heraus. Um sich auseinander zu setzen, muss man sich zusammensetzen.Die Meldung, er werde an der Denkwerkstatt 2020 teilnehmen, wurde in einer Zeit öffentlich, in der Norbert Blüm sich mit der Union, besonders aber mit seinem Nachfolger als Sozialminister, Walter Riester, wegen der Rentenreform angelegt hat. Liegt darin ein Grund, warum er nach Mecklenburg-Vorpommern kommt?Er kommt zur Denkwerkstatt nach Mecklenburg-Vorpommern, weil er sich vorbehaltlos und ohne Scheuklappen in eine partei übergreifende politische Diskussion einbringen will. Konservative wie Linke müssen verstehen, dass in einer pluralistischen Gesellschaft konservative wie linke Positionen dazu gehören. Norbert Blüm sieht das dem Vernehmen nach ähnlich und will hier durchaus Zeichen setzen. In einem Interview der hiesigen Bild-Zeitung ist er befragt worden: »Herr Blüm, wollen Sie unser Ministerpräsident werden?« Er hat ahnungsvoll darauf geantwortet: »Nun, lasst uns mal nicht die ganze CDU verrückt machen ...« und ansonsten versprochen, sich für Mecklenburg-Vorpommern zu engagieren. Dafür ist er in der Denkwerkstatt richtig und herzlich willkommen. Wenn andere Politiker behaupten, Sie wären einer Einladung nicht gefolgt, so klingt das ein bisschen nach Füchsen und Weinberg.Dann wird die Rente auch keine Rolle in den Sitzungen der Denkwerkstatt spielen?In der Denkwerkstatt geht es um Leitbilder für dieses Land und Einzelthemen. Mitte November werden wir die Osterweiterung der EU diskutieren und die Frage: Was kommt dabei auf Mecklenburg-Vorpommern zu? Das Anliegen, das Norbert Blüm dabei einbringen will, sind die Perspektiven für ältere Langzeitarbeitslose, für ältere Menschen überhaupt. Er hat mir gesagt, hier habe er als Arbeitsminister Konzepte und Vorschläge gehabt, mit denen er aber seinerzeit auch gegen den Koalitionspartner (FDP) nicht habe durchsetzen können und die er noch einmal vorstellen wolle.Sie sprachen von Leitbildern? Gibt es dafür schon Entwürfe oder führen sie den Gesprächskreis vorerst einmal ergebnisoffen?Man kann das Ergebnis nicht vorwegnehmen, zumal wir erst Ende April begonnen haben. Vor dem Treffen wurden Thesen ausgearbeitet, und wir werden uns in der nächsten Zeit an einzelne Themenstellungen und Leitbilder erst heranarbeiten müssen. Die Denkwerkstatt wird auch nicht Leitbilder erarbeiten, sondern Handlungsempfehlungen für die Landespolitik entwickeln. In die eigentlich wissenschaftliche Arbeit der Leitbildentwicklung müssen dann andere einbezogen werden.Hatten Sie bestimmte Kriterien und Wunschvorstellungen für die Auswahl der Mitglieder Ihrer Kommission?Ja, wir wollten vor allen Dingen ein parteiübergreifendes Gremium, wo sowohl CDU-Politiker oder auch der CDU nahestehende Wissenschaftler und Publizisten als auch entsprechende Partner von SPD, Bündnis 90 / Grüne und PDS zusammenkommen. Und daraus ist ein bunter Mix geworden, der schon in der ersten Runde, die vor allem dem Kennenlernen diente, sehr spannend wurde. Schon da gab es ganz verschiedene Ansätze: Ein Johano Strasser beispielweise sagt, wir brauchen mehr zivilgesellschaftliche Ansätze, und der Banker Edgar Most: In diesem Land brennt es, wir brauchen sofort Entscheidungen, wie die Probleme gelöst werden. In solchem Spannungsfeld bewegt sich die ganze Diskussion. Auf der einen Seite Macher und auf der anderen Leute, die sich mehr aus der wissenschaftlichen Perspektive mit programmatischen Ansätzen in die Diskussion einbringen.Ich komme noch einmal zu den Rentenkonsensgesprächen zurück, an denen Sie teilnehmen wollen. In den vergangenen Wochen wurde von einigen Oppositionsparteien eine ganz unheilige Konjunktur des Kommissionswesens in diesem Land kritisiert. Warum will sich die PDS da auf einmal mit einklinken?Also, das ist im Moment noch offen, ob die PDS daran wirklich teilnehmen wird. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat jedoch versprochen, dass er über eine künftige Teilnahme an Konsensrunden mit der neuen Parteispitze nach dem Parteitag in Cottbus reden will. Aus der SPD-Spitze war nun zu vernehmen, die PDS kann auch bei der Rentendebatte einbezogen werden. Wie das im Einzelnen jetzt erfolgt, ist ganz offen. Es gibt den Vorschlag, getrennte Gespräche mit der CDU und mit der PDS zu führen. Von den Konzepten her ist offensichtlich, dass ein Konsens über die Fronten von CDU, SPD, Grünen und PDS hinweg kaum möglich sein wird. Es fragt sich erst einmal, ob die PDS überhaupt ernsthaft gehört werden wird in diesen Rentengesprächen.Aber noch kurz vor der Abstimmung über die Steuerreform hat Gregor Gysi im Bundestag versucht, eine über die Parteigrenzen hinausgehende Initiative der Opposition gegen immer weitere Konsensrunden zu starten. War das dann eine Privatinitiative des Fraktionsvorsitzenden?Dem Ansatz Gysis, dass es nicht darum gehen darf, Gesetze außerhalb des parlamentarischen Verfahrens abzustimmen, sondern dass sie im Bundestag gemacht werden müssen, kann ich nur beistimmen. Man kann sich bei politischen Veranstaltungen wie Konsensgesprächen über die Ausrichtungen dieser Gesetze verständigen. Und da hat Gysi Sorge, dass dann das Parlament später nur noch abnicken soll, was in anderen Runden besprochen wurde. Nehmen Sie nur das Beispiel der Konsensrunden über den Atomausstieg. Hier sind alle Details schon besprochen, während etwa beim Bündnis für Arbeit - egal ob auf Bundes- oder Landesebene - nur vereinbart wird, sich im Gesetzgebungsverfahren nach dem getroffenen Konsens zu richten. Aber die Gesetzesausarbeitung muss dann eben im Parlament erfolgen. Ich halte Gysis Kritik für gerechtfertigt, glaube aber nicht, dass er rigoros gegen Konsensrunden ist. Es bleibt aber zu fragen, wer übernimmt welchen Part bei solchen politischen Prozessen.Und bei der Rente muss es auch noch einen Part für das Parlament geben?Genauso stellen wir uns das vor!Wo sehen Sie ihre Rolle, falls sie am Rentenkonsens teilnehmen. Es wird Ihnen doch gewiss um die Sicherheit bestimmter sozialer Standards gehen. Welche sind das?Unser Rentenkonzept unterscheidet sich von dem aus dem Hause Riester deutlich. Wenn die SPD also Gesprächsbereitschaft signalisiert, muss sie doch gewillt sein, ernsthaft darüber zu reden. Das sehe ich als Chance.So weit auseinander sind die Parteien im Bundestag aber nicht.Die Unterschiede müssen von den Fachleuten beurteilt werden. Ich verstehe Riester so, dass er Mehrheiten für sein Konzept gewinnen will.Nach der Vereinbarung mit dem Bundeskanzler ist es in der Partei selbst sehr ruhig geblieben. Es gab nur einzelne kritische Stimmen. Verstehen Sie das als stillschweigende Zustimmung auch aus der Partei für eine Teilnahme an den Konsensgesprächen?Ja. Ich habe keine Kritik gehört, sondern das Gegenteil: Es wird endlich Zeit, dass die PDS an den Gesprächen beteiligt wird, weil sie eigene Vorstellungen über die Zukunft der Rente hat.In der vergangenen Woche hat die PDS in Baden-Württemberg ihre Beteiligung an den Landtagswahlen abgesagt. In Hamburg, wo man sich Hoffnungen machte, wieder einmal besser in Westdeutschland abzustimmen, ist der Landesverband völlig zerstritten. Man gewinnt den Eindruck, die PDS ist auf dem Weg zurück zu einer rein ostdeutschen Partei, die sich in den nächsten Monaten auch sehr realpolitisch einstimmen wird.Das sehe ich ganz anders. Die Entscheidung in Baden-Württemberg kann ich nachvollziehen. Nach meiner Auffassung muss man nicht an Wahlen teilnehmen, nur um dabei zu sein. Man tritt an, wenn es eine Aussicht auf Erfolg gibt. Dazu zähle ich auch einen deutlichen Stimmenzuwachs. Wenn die PDS dort einschätzt, es fehlen die landes- und kommunalpolitischen Voraussetzungen, um bei dieser Landtagswahl zu punkten, dann ist es richtig, auf eine Beteiligung zu verzichten. Es handelt sich um die realpolitische Bewertung eines Landesverbandes in seinem Bundesland. Diesen Realismus kann ich nur begrüßen.Das heißt aber nicht, dass wir den Westaufbau und die Entwicklung in den alten Bundesländern aufgeben oder auch nur verlangsamen. Die PDS ist von ihrem Anspruch her und gemessen an ihren Ergebnissen bei Bundestagswahlen keine Regionalpartei. Wenn die PDS im Westen aufgibt, gibt sie sich selbst auf.Das Gespräch führte Jörn Kabisch
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