Wir nerven unsere Nachbarn

Olympia Da hat es Deutschland mal wieder allen gezeigt: Nein, wir wollen keine olympischen Winterspiele. Nicht nur dem IOC begegnen die Deutschen mit erhobenem Zeigefinger
Ausgabe 46/2013

Das Nein zu olympischen Winterspielen in Bayern, ausgesprochen von einem Fünftel der stimmberechtigten Bürger in vier Kreisen, bedeutet den Sieg einer kampagnefähigen Minderheit und eine Ermutigung für alle, die sich zutrauen, Kampagnen erfolgreich zu führen. Es bedeutet eine Niederlage für die großen Parteien – mehr als 80 Prozent im Deutschen Bundestag, mehr als 70 Prozent im Bayerischen Landtag –, deren verfassungsmäßiger Auftrag es ist, an der politischen Willensbildung im Volke mitzuwirken, die aber dabei zwischen den Wahlen versagen.

Das lässt nichts Gutes für andere große Aufgaben des Landes erwarten. Aufgaben, die ebenfalls nicht ohne die Zustimmung der Bevölkerung erledigt werden können. Gerade hier wird aber das Misstrauen der Bürger gegen die Leistungsfähigkeit derer da oben seit geraumer Zeit massiv bestätigt: der Großflughafen in Berlin, die Elbphilharmonie in Hamburg, Stuttgart 21.

Allen auf die Nerven gehen

Umgekehrt ist aber auch das Signal an die Welt um Deutschland herum verheerend. Angeblich soll die Ablehnung der Spiele ein Schlag gegen das übermächtige Internationale Olympische Komitee sein. Tapferes Deutschland! Als vor einigen Wochen ein irreguläres Tor in einem Fußballspiel im Kraichgau anerkannt werden musste, forderte das tapfere Deutschland den Aufstand gegen den Fußball-Weltverband. Aber Tapferkeit nicht nur dort. Die Bundesregierung soll die Amerikaner in Washington Mores lehren, Putin soll man nur noch mit harschen Worten begegnen, und nach China sollen deutsche Politiker gar nicht erst reisen, wenn sie dort nicht machtvoll auf die Einhaltung der Menschenrechte pochen. Die Südeuropäer sollen von den Deutschen lernen, wie man Wirtschaft macht. Und die Nordeuropäer, Briten, Norweger, Schweden? Die wissen gar nicht, was Demokratie ist, denn sie richten Spiele aus und bewerben sich um sie, was nach Ansicht deutscher Olympia-Gegner kein demokratisches Land mehr tut.

Gibt es noch ein Land auf der Welt, in dem die Deutschen nicht mit erhobenem Zeigefinger zur Tür hereinkommen? Selbst die Schweiz ist vor uns nicht sicher. Die am wenigsten. Überall heißt es: Wir sind doch so vorbildlich. Warum können die anderen nicht sein wie wir? Karl Kraus spottete schon vor 100 Jahren: Deutschland, die verfolgende Unschuld. Vor 100 Jahren – eine böse Assoziation. Über die Vorgeschichte zum Ersten Weltkrieg schrieb der Historiker Christopher Clark sinngemäß, Deutschland sei den anderen vor allem auf die Nerven gegangen. Das haben wir nicht verlernt.


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