Wo die wilden Leser wohnen

Jubiläum Der Wagenbach Verlag feiert seinen 50. Geburtstag und wehrt sich weiterhin gegen die Durchökonomisierung seiner Branche
Ausgabe 10/2014

In der literarischen Verlagslandschaft hat längst das Kapital gesiegt. Fischer, Rowohlt und Kiepenheuer sind Teil des Holtzbrinck-Imperiums. Luchterhand wurde 1994 von einem wohlhabenden Anwalt gekauft, der sich entschlossen hatte, neben Rennpferden und antiken Waffen Verlage zu sammeln, und gehört mittlerweile wie DVA und Limes zur Bertelsmann-Verlagsgruppe Random House.

Diese Gruppe hält auch die Namensrechte am einstigen DDR-Verlagsgiganten Volk und Welt. Aufbau, der andere große DDR-Verlag, ging 2008 aus dem Besitz des einen Immobilienmillionärs in den Besitz des nächsten. Und selbst Suhrkamp, die Brutstatt deutschen Nachkriegsgeistes, leidet unter dem Treiben eines „Abgrundbösen“ (so Peter Handke) aus der Investmentbranche.

Doch zum Glück gibt es in der durchökonomisierten Verlagswelt noch eines dieser gallischen Dörfer, das den Eindringlingen erfolgreich Widerstand leistet: Den Wagenbach Verlag. In diesem Jahr wird er 50 Jahre alt. Und feiert sich selbst mit dem Almanach Buchstäblich Wagenbach (Verlag Klaus Wagenbach 2014, 224 S., 10 €). Untertitel des Buchs und Unternehmensslogan: „Der unabhängige Verlag für wilde Leser.“

Der wilde Leser – das klingt, mit Verlaub, nach Büchern für Grünen-Stammwähler, die in ihrer Studienzeit mit den K-Gruppen sympathisierten, auf dem Marsch durch die Institutionen auf irgendwelchen Beamtenposten versackten, heute kurz vor der Rente stehen, aber (in ihren Träumen) immer noch so richtig fetzig drauf sind. Passt irgendwie, denn auch der Wagenbach Verlag ist so eine Art Altachtundsechziger. 1964 vom ehemaligen Fischer-Lektor Klaus W. gegründet, entwickelte sich das Unternehmen mit seinen legendären linken Quartheften schnell zum Stachel in der disziplinierten deutschen Seele. Die Wochenzeitschrift für Heimatpflege zeigte sich bald entsetzt, dass ein promovierter Germanist und Vater dreier Töchter Publikationen verantwortet, „die unserer abendländischen christlichen Tradition so diametral entgegengesetzt sind wie die aufwiegelnde Hetzschrift mit dem kindischen Titel ‚Roter Kalender’.“ Das sah die Staatsanwaltschaft um 1970 ähnlich und überzog den Verlag mit Hausdurchsuchungen und Gerichtsverfahren. Deren Motto: Wenn Wagenbach wegen der Prozesskostenlast liquidieren muss, dann ist das eben so.

Streit im Kollektiv

In dieser wilden Zeit sorgte auch ein interner Konflikt für Aufsehen: Wagenbach wagte die linke Praxisprobe, ob die Idee der kollektiven Führung im eigenen Verlag funktionierte. Tat sie nicht.

1973 trennte sich der Verleger deswegen von einer renitenten Mitarbeiterfraktion, die fortan unter dem Label Rotbuch wirkte und haufenweise Vertriebsrechte und Serientitel für sich beanspruchte. Der „neue alte“ Verlag Klaus Wagenbach überlebte durch den Hype um Erich Frieds Gedichte und unerwartete Verkaufserfolge wie den von Pasolinis Freibeuterschriften. Er blieb also ein aufrechter Linker, dieser Verlag. Vor ein paar Jahren konnte er es sich sogar leisten, mit Alan Bennetts Die souveräne Leserin seinen ersten Bestseller zu verlegen, ohne dass der Ruf darunter litt.

All das ist in der schönen Jubiläumsschrift Buchstäblich Wagenbach nachzulesen. Das Fazit nach der Lektüre: Man kann natürlich nur auf der Seite des gallischen Dorfes sein. Das führt seinen Kampf gegen die Außenwelt mittlerweile nicht mehr auf brennenden Barrikaden, sondern mit einer Portion (sympathischem) Konservatismus: Die neue Chefin Susanne Schüssler zieht in den Abschnitten zur Unternehmensgegenwart und -zukunft für die alteingesessenen Buchhandlungen und gegen die mit Lillifeekrempel zugemüllten Kettenfilialen zu Felde, für das gedruckte Buch, den festen Ladenpreis und gegen die Internetpiraterie. Zu wild will es der Verlag für wilde Leser dann wohl doch nicht haben.

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