Man unterschätze die Rolle des Bruderpaares nicht. Die Grimms, Mommsens, Kittlers, Kaulitzs, Klitschkos, Walters oder die Gebrüder Wepper scheinen die Keimzellen von gemeinschaftssuchenden Verbrüderungsbünden. Kein Zufall, dass unter den bündischen „konservativen Revolutionären“ nach dem Ersten Weltkrieg so viele Brüderpaare waren: Strasser, von Salomon, Günther – und Jünger. Mit dem Gemeinschaftsmotiv kommt aber zugleich ein anderes ins Spiel, Unterschiede im Erfolg, Glück oder Ruhm.
Eine Biografie über Heinrich Mann hat das schon im Titel signalisiert: Der Bruder. Besonders bitter, wenn es der ältere ist. Bei den Brüdern Jünger, die in der Weimarer Republik Thomas Mann nicht wenig schikanierten, tr
hikanierten, trägt der jüngere dieses Stigma. Ernst Jünger, 1895 bis 1998, die Jahrhundertgestalt, erscheint so solitär, dass man sich über Geschwister keine Gedanken macht. Dabei hatte er etliche, zwei starben früh, die Schwester Hannah lebte bis 1984, Wolfgang bis 1975, Otto bis 1976. Und Friedrich Georg bis 1977.Sehr gegensätzliche TypenEben der ist der Bruder, der weithin vergessene. In vielem geradezu Komplementärfigur zu Ernst, war Friedrich Georg in den Jahren nach 1945 bis in die Sechziger hinein ein durchaus geschätzter Autor, einer, der radikal ökologisch dachte, als es die Ökologiebewegung so noch gar nicht gab. Freilich passte seine strikt konservative Sicht nicht zum sich links verstehenden Aktionismus, denn er plädierte für Verschonung, Rückzug, Passivität – und Geschichtsferne, wo jene mit der Natur Geschichte machen wollte.Er war Lyriker, der bessere von beiden, schon deshalb, weil Ernst keine Gedichte schrieb; er war Erzähler, der bessere von beiden, weil fantasievoller und geschichtenfreudiger als der einfallsverwalterische Bruder. Und er hat mit seinem bekanntesten Buch Die Perfektion der Technik (1949 u. 1953) eine radikale Kritik jenes technizistischen Furors geliefert, den Ernst im Großessay Der Arbeiter 1932 an den Tag gelegt hatte.Bestürzt über die totalitäre Technikwalze und die rationalisierte Vernichtungsmaschinerie, hatte er gewissermaßen die Vorzeichen des berühmteren Bruders von plus auf minus umgestellt. Ernst erkannte das wohl, aber beide sahen sich gleichwohl in der gemeinsamen antizivilisatorischen und transgeschichtlichen Perspektive brüderlich verbunden. Friedrich Georg hatte das Buch zu Beginn des Zweiten Weltkriegs geschrieben, zu dem er wegen einer schweren Kriegsverletzung aus dem Ersten nicht eingezogen wurde.Glaube an Symbolik und ZusammenhängeZweimal jedoch fielen die Druckfahnen von Illusion der Technik, wie der Titel zunächst lautete, Bombenangriffen zum Opfer. Ihr Autor sah das als Rache, die die Technik da an ihrem Kritiker persönlich nahm. Auch das verband die Brüder: Ihre Beziehungssüchtigkeit, ihr Glaube an magische Korrespondenzen und Zeichen, symbolische Daten und Ereignisse, ihre Fetischisierung und Überhöhung von Zufälligkeiten, aus denen sie sich eigenwillige und selbstgenügsame Bedeutungssysteme bastelten. Wie Kindern ein Stecken zum Pferd oder Staubsauger zum Raumschiff werden kann, so verwandelten sie sich die Welt in ihre Spielräume.Freilich: Entgegen jenen Kindern, die irgendwann erwachsen werden, blieben sie so bis ans Ende ihrer Tage. Darum ist so vieles von dem, was die Gebrüder Jünger schrieben, eine so eigentümliche Mischung aus Jünglingshaftem und Altklugem. Aber zeitlebens ist darin auch der Geist des wilhelminischen Gymnasiums, von dem Ernst gleich mehrmals flog und das Abitur nur dank des Krieges erhielt. Als distelköpfenden Knaben hat einmal ein Kritiker Ernst bezeichnet. Er vor allem unternahm alles, sich in der Zeit zu konservieren, als sei sie lediglich sein Spiritus.Als Friedrich Georg bei Langemarck schwerst verwundet worden war, hat Ernst für seine Rettung gesorgt. Das verband die beiden im Zeichen der Auserwähltheit. Aber während Ernst auf Fotos in schmallippiger Glätte posiert, sieht Friedrich Georg darauf meist zerfurchter, gebeugter, melancholischer aus. Der vom Tod Angeknackste hatte sich unter den Schutz des älteren Bruders gestellt, der die Sorge um den Bruder zur Stabilisierung seiner Unantastbarkeitsvorstellungen nutzte.Empathieverlust und UnbeugsamkeitWie wiederum Friedrich Georg, der Grüblerischere und auch Weichere, sich während der Weimarer Republik zu wütendsten Hasstiraden aufpeitschte, wo der Bruder in Kälte operierte. „Das Trennen und Spalten ist leichter als das Auffinden des Gemeinsamen.“ – mit dem Satz hatte Friedrich Georg abgelehnt, in der Münchner Akademie gemeinsam mit dem Bruder aufzutreten. Es sollten andere keine Differenzen zwischen ihnen suchen können.Der Preis solcher Differenzabwehr, die faktisch nur eine Differenz kannte, die der Brüder (und einiger der Ihren) zum Rest der Welt, war Empathieverlust und Unbeugsamkeit bis zum Starrsinn. Sie, die beide von den Vernichtungsgräueln des NS-Regimes tief schockiert waren, hatten keinerlei Gespür dafür, dass das Nachkriegsleiden an Vertreibung und Besatzung Folge und auch sonst nicht vergleichbar war. Ihnen diente alles nur als Bestätigung ihrer ‚höheren‘ Warte.Jörg Magenau, der schon Biografien über Christa Wolf und Martin Walser geschrieben hat, hat sich nun das Brüderpaar Jünger vorgenommen. Er ist damit mehrere Risiken eingegangen. Zunächst einmal das Risiko, nach den monumentalen Jünger-Biografien von Schwilk und Kiesel einen eigenen Zugang zu finden, der mehr bietet als bloß den Bruder. Dem Risiko entgeht er mit der radikalen Abwendung von fußnotengespickten Beweisführungen, hin zu einer dezidiert literarischen Inszenierung. „Er wartete nicht auf den Tod. Der Tod war immer schon da, war ein Bruder […].“Hohe MaßstäbeWer so beginnt und sich noch steigern will, geht das Risiko ein, aus der imaginativen Perspektivenübernahme nicht mehr herauszukommen, in tiefste Einfühlung zu geraten. Tatsächlich zieht der Sog von Magenaus suggestiver Sprache nicht nur den Leser in die Jünger-Welt hinein, sondern auch den Erzähler selbst. Da ist es gut, wenn kurz vor der Trance des Distanzverlusts der Kritiker Magenau dem Erzähler immer wieder mit treffenden Pointierungen und lakonischen Charakterisierungen ins Wort fällt. Dann ist man dankbar, wenn nach einer Orgie der prätentiösesten Namen für die jeweilige Heimstatt der Brüder der ernüchternde Satz folgt: „Ihre Würde erhielten die Klausen aber vor allem dadurch, dass einer von ihnen sie bewohnte.“ Oder wenn nach einer Sequenz des hochgestimmt dichtenden Friedrich Georg lapidar angemerkt wird, dass er leider zur Pedanterie des Autodidakten neigte.Magenaus Biografie der Brüder Jünger setzt hohe Maßstäbe. Sie liest sich wie ein anspruchsvoller Roman, der die spannungsvolle Mentalitäts- und Ideengeschichte spannend zu machen weiß. Dazu trägt die kluge Konstruktion und Komposition bei: Die jeweilige Lebenssituation der Brüder wird in ihren zeitlichen und räumlichen Stationen so entfaltet, dass zugleich immer der zeitliche Horizont ausgeleuchtet wird. Dabei aber bleibt schließlich doch Friedrich Georg der jüngere Bruder und Jünger des Bruders.Zum einen kommt Ernst mehr zu Wort, weil immer wieder Szenen aus dessen Problemjahr 1996 (Ernst konvertierte zum römisch-katholischen Glauben) in den historischen Gang eingeschoben werden, vor allem aber sind die Kapitel jeweils mit den Elementen Wasser, Feuer, Luft und Erde gekennzeichnet. „Alles ließ sich aus den Elementen ableiten. Aus ihnen und ihren unermesslichen Kräften ging die Erdgeschichte hervor, die Evolution […].“ Eben diese Elementarlehre stammt von Ernst Jünger, während Friedrich Georg die Evolution für einen Trug hielt. Ihm ging es um ewige Wiederkehr. So wird am Ende der eine Bruder, statt dieselbe Gewichtung zu bekommen, eher doch zum Profilbildner des anderen. So ungerecht das scheinen mag, es entspricht wohl den realen Bruderverhältnissen.
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