Der 12. Geburtstag

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Kurz vor dem 12. Geburtstag meines Kindes wurde ich unruhig, weil ich wusste, dass sich ab diesem Alter für Kinder und Eltern einiges ändert.

Aus dem Sozialgesetzbuch weiß ich, „Mit Vollendung des 12. Lebensjahres endet der Anspruch auf Kinderpflegekrankengeld“, hier. Nun hat mich das erst mal nicht stark beunruhigt, weil mein Sohn bisher sehr krankheitsresistent ist und bis auf die Kindergartenzeit selten krank war.

Ich gebe als Suchbegriff in Google „vollendetes 12. Lebensjahr“ ein.

Einer der ersten Treffer heißt:

Frage: was heisst vollendetes 12. Lebensjahr
Top-Antwort: Das ist Dein Geburtstag, wo Du 12 Jahre alt wirst.

OK, das hätte ich auch noch selber hingebracht.

Bei Wikipedia lese ich unter Jugend: „Der Begriff Jugend ist historisch gesehen relativ jung und wurde erst um 1800 häufiger verwandt. Der Begriff des Jugendlichen war dabei ursprünglich ambivalent besetzt (Jugend ist Trunkenheit ohne Wein) und diente auch zur Distanzierung von einer Personengruppe, die als gefährdet definiert wurde. Der Begriff bezeichnete dann beispielsweise in der Jugendhilfe der 1880er Jahre eine männliche Person aus der Arbeiterklasse zwischen 13 und 18 Jahren, der Tendenzen zur Verwahrlosung, Kriminalität und eine Empfänglichkeit für sozialistisches Gedankengut unterstellt wurden.“

Das beunruhigt mich auch nicht wirklich...Ich habe zwar ein männliches Kind. Zur Bekämpfung der Verwahrlosung und Kriminalität bin ich aber nachmittags, wenn die Schule aus ist, daheim. Und die Empfänglichkeit für sozialistisches Gedankengut, nun ja...

Aber schön langsam merke ich die Konsequenzen.

In unserem Betrieb waren Beschäftigte mit minderjährigen Kindern auf Wunsch in einer von ihnen leistbaren Arbeitszeit eingesetzt. Darauf wurde Rücksicht genommen. Sehr sozial!

Vor einiger Zeit fand dies der Arbeitgeber allerdings nicht mehr marktgerecht. Und forderte eine Neuregelung vom Betriebsrat. Weil der Betriebsrat das natürlich anders sah, musste eine Einigungsstelle entscheiden. Unter dem Vorsitz eines Richters des Bundesarbeitgerichts unterlag der Betriebsrat, weil der Richter mit dem Arbeitgeber stimmte.

Die neue Arbeitszeitregelung besagt nun, dass künftig, entsprechend einem festgelegten Schichtplan, auch die Mitarbeiter mit Kindern zwischen 7 und 22 Uhr zu arbeiten haben. Ausnahmen gibt es nur noch, sofern die Kinder unter 12 Jahren alt sind. In Anlehnung an die o.a. Regelung des Sozialgesetzbuches. Frei übersetzt: wenn der Gesetzgeber schon festlegt, dass ein krankes Kind nur bis zum 12. Lebensjahr im Krankheitsfall gepflegt werden muss, dann kann es auch bis 22 Uhr allein bleiben und tun und lassen, was es will...

Alle Proteste und Hinweise auf Verwahrlosung der Kinder, schwere präpubertäre Zeit ab 12 usw. blieben unerhört. Die Kinder wurschteln halt jetzt so vor sich hin, haben Großeltern in der Nähe, die einspringen können oder aber die Eltern zahlen für eine andere Betreuung. Ist ja marktüblich...Gottseidank sind die Kinder noch nicht strafmündig, dies werden sie ja erst mit 14. So sind wenigstens nur die Eltern dran, wenn die zwischen 12 und 14 Jahre alten, alleingelassenen Kinder Mist bauen. Droht dann eine Untersuchung wegen Verletzung der Aufsichtspflicht?

Die gute Nachricht könnte sein, dass Kinder dann per Definition von 1880 vermehrt empfänglich für sozialistisches Gedankengut sein könnten. Ich bin nicht sicher, ob dies vom Arbeitgeber so gewollt wäre.

Ins Kino dürfen 12jährige nur, sofern der Film bis 20 Uhr beendet ist. Sagt das Jugendschutzgesetz. Aber wer soll das überwachen, wenn Eltern bis 22 Uhr arbeiten müssen? Verwahrlosung droht!

Nächstes Thema...

Mein Kind ist Allergiker. Bisher hat die Krankenkasse die vom Kinderarzt empfohlenen und verschriebenen Allergiemittel bezahlt, künftig muss ich selber ran (weil sie nicht rezeptpflichtig sind). Anders wäre es nur bei „Jugendlichen mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr“ (siehe hier), in diesem Fall werden auch nicht rezeptpflichtige Medikamente von der Kasse bezahlt. Gottseidank hat mein Sohn keine Entwicklungsstörung...Also zahle ich die Allergiemittel halt selber.

Aber jetzt wurde er doch mal wieder krank. Richtig krank, mit 40 Grad Fieber. Gar elend lag er auf dem Sofa, fror, fieberte, bibberte. Und ich schaute ihn immer wieder besorgt an, kochte Tee, saß neben ihm und hielt die Hand, machte Wadenwickel, schleppte ihn zum Kinderarzt. Alles, was man als treusorgende Mutter so tun kann. Wäre er 11 Jahre und 364 Tage alt, hätte ich für diese Zeit noch eine Freistellung von der Arbeit mit Anspruch auf Kinderpflegekrankengeld bekommen. Nun muss ich dafür Gleitzeitstunden oder Urlaubstage hergeben. Auch das tut man natürlich, wenn ein Kind so krank ist. Kann ich aber nur, wenn der Chef so kurzfristig zustimmt (was meiner Gottseidank tut, hat selber Kinder).

Aber nach der Auslegung des Sozialgesetzbuches könnte ich ihn daheim alleine liegen lassen, ihn verwahrlosen lassen?! Oder soll ich bei dieser Auslegung sagen: Unsozialgesetzbesuch?

Was ich mich mehr denn je frage, ist: Warum ist ein Kind bis zum 12 . Lebensjahr nach Sozialgesetzbuch betreuungsbedürftig und dann nicht mehr? Und was rechtfertigt in diesem Zusammenhang den Begriff „Sozialgesetzbuch“? Was hat sich an dem Kind verändert? Für mich nichts, er ist noch genauso pausbäckig, albern, lustig, mistbauend wie vor Vollendung des 12. Lebensjahres. Noch nicht mal mit 13 ist ein bisschen stärkerer Haarwuchs auf der Lippe erkennbar!

Wann ist ein Kind ein Kind, und wenn dann wieviel?

P.S.: Macht nur so weiter, dann haben wir spätestens in der nächsten Generation eine sozialistische Regierung!

P.P. S.: Demnächst werden wir uns vorsorglich mit der Altersgrenze „vollendetes 14. Lebensjahr“ beschäftigen müssen, lt. Wikipedia sind dies:

  • Strafmündigkeit (§ 19 StGB), jedoch Anwendung des Jugendgerichtsgesetzes (§ 3 JGG)
  • kein Kind mehr im Sinne sexualstrafrechtlicher Schutzvorschriften (besonderer Schutz vor sexuellem Missbrauch § 176 Abs. 1, § 176a, § 184b StGB)
  • volle Religionsmündigkeit (§ 5 RelKErzG)
  • eigene Entscheidung über Namensänderung (§§ 1617a bis 1618, § 1757 BGB, Art. 10, Art. 47 EGBGB)
  • Anhörungspflicht des Gerichtes bei Sorgerechtsentscheidungen (§ 159 FamFG)
  • Widerspruch gegen Sorgerechtsübertragung (§ 1671 Abs. 2 BGB)
  • Einwilligung in eigene Adoption und Widerspruch dagegen (§ 1746, § 1762 BGB)
  • Verfahrensfähigkeit bei Zwangsunterbringungen § 167 Abs. 3 FamFG)
  • Widerspruch gegen Organentnahme nach Tod (§ 2 Abs. 2 TPG)
  • Besuch von Filmveranstaltungen bis 22 Uhr (§ 11 Jugendschutzgesetz)

Na prost Mahlzeit!

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Geschrieben von

Diander

Jeder macht, was er will, keiner macht, was er soll, aber alle machen mit!

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