Der Russe war's

Hackerangriff Wenn in Deutschland Konspiratives aufgedeckt wird, ist der Schuldige schnell ausgemacht: Russland. Wann sind wir diese Reflexe endlich leid?
Der heiße Draht führt hierzulande meist ostwärts
Der heiße Draht führt hierzulande meist ostwärts

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Erinnern Sie sich noch an die Zeit vor der Bundestagswahl? Schon klar, das ist sehr, sehr lange her, wie man nicht müde wird, uns im Rahmen der Berichterstattung über die Koalitionsbildung zu vergegenwärtigen. Fast vergessen ist da heute die Panik, die man uns damals vor dem Russen machte, der unsere Systeme infiltrieren und auf diese Weise die Wahl manipulieren würde. „So könnte Russland den Wahlkampf beeinflussen“, „Warten auf Wladimir Putins Attacke“ oder auch „Putin wird versuchen, Merkel zu verhindern“, lauteten die Schlagzeilen in dieser Phase. Da hat Putin, der Mann mit der verspiegelten Sonnenbrille und nacktem Oberkörper, der ehemalige Geheimdienstler, aber kolossal versagt! Voraussichtlich wird auch die nächste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland wieder Angela Merkel heißen.

Als sich die deutsche Medienlandschaft wenige Tage vor der Wahl dann fragte, wo denn jetzt die russischen Manipulationen bleiben würden, hatte man auch darauf schnell eine Antwort: Der Russe versucht nur deswegen nicht, uns zu indoktrinieren, weil er das strategisch gar nicht nötig hat: „In den deutschen Wahlprogrammen steht es schon 5:2 für Putin“, las man zum Beispiel in der ZEIT. So kann man es natürlich auch machen.

Wenig Informationen, viele Verdächtigungen

Das Regierungsnetz der Bundesrepublik war Ziel einer Cyberattacke, wie jetzt bekannt wurde. Nachdem das deutsche Parlament erst 2015 von Hackern angegriffen wurde, war diesmal der Informationsverbund Berlin-Bonn (IVBB) – zuständig für die Kommunikation der Bundesbehörden – im Visier der digitalen Störenfriede. Wie so oft in der Anfangsphase der medialen Aufklärung sind gesicherte Informationen zurzeit noch ein rares Pflänzchen. Das Auswärtige Amt soll betroffen sein. Genaue Dauer und letztendlicher Erfolg des Angriffs verschwimmen noch im Phrasennebel der Institutionen. Gesicherte Informationen, wer hinter dem Hackerangriff steckt, gibt es auch noch nicht. Trotzdem tobt ein Reflex schon jetzt wieder mit auf der Spielwiese der deutschen Affekttheorie: Der Russe war's! Die Hackergruppe APT 28 („Advanced Persistent Threat“), die mit der russischen Regierung – oder genauer: dem Militärnachrichtendienst GRU – in Verbindung gebracht wird, soll hinter der Offensive stecken. Obwohl es Zweifel an deren Täterschaft gibt: „Untypisch“ soll die Vorgehensweise für APT 28 sein. Aber das geht im allgegenwärtigen Verdächtigungsecho zurzeit unter.

Der Russe ist wieder unser Lieblingsfeind

Der Russe ist wieder unser Lieblingsfeind. Und es gibt ja auch gute Gründe für Kritik: Annexion der Krim, Kriegsverbrechen in Syrien und starke innenpolitische Repressionen. Wer aber die russische Annexion der Krim verurteilt, muss auch die israelische Besatzung im Westjordanland verurteilen. Wer das – zweifellos kriegsverbrecherische – Vorgehen der Russen in Syrien moniert, darf von der Militärintervention unseres „Partners“ Saudi-Arabien im Jemen nicht schweigen. Wer als europäisches Land Russland Demokratiefeindlichkeit vorwirft, sollte sich darüber im Klaren sein, dass es vor der eigenen Haustür genug zu tun gibt: Vor einigen Tagen wurden in der Slowakei, seit 2004 Mitglied in der Europäischen Union, der Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte ermordet.

Und wer als europäisches Land seinem Nachbarn das Führen eines Informationskrieges vorwirft, solle lieber mit stichhaften Beweisen auffahren; sonst droht der Verlust der Glaubwürdigkeit. Dann ist am Ende der deutsche Staat tatsächlich das Opfer dieses Angriffs: das Opfer seiner selbst.

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Geschrieben von

Dorian Baganz

Redakteur „Politik“, „Wirtschaft“, „Grünes Wissen“

Dorian Baganz, geboren 1993 in Duisburg, studierte Politik und Geschichte in London, Berlin sowie in Oslo. 2019 war er als Lokalreporter für die Süddeutsche Zeitung im Umland von München tätig. Seit 2022 ist er Redakteur beim Freitag und schreibt dort vornehmlich über Klimathemen und soziale Umbrüche. Gemeinsam mit Pepe Egger baute er ab 2022 das Nachhaltigkeitsressort „Grünes Wissen“ auf. Dort veröffentlicht er längere Reportagen, u.a. über geplante Gasbohrungen vor Borkum oder ein Wasserstoffprojekt in der Nordsee.

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