Danke Abbado, Freund und einfach großer Mann

Italien Ein Memento von Dario Fo für Claudio Abbado (*)

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Vor einigen Tagen hat mich ich eine tiefe Traurigkeit befallen.

Ein mir sehr teurer Freund ist gestorben, Maestro Claudio Abbado. Mit ihm hatte ich das Glück, in vielen prestigeträchtigen Theatern zu arbeiten, beginnend bei der Mailänder Scala, von ihm habe ich gelernt, wie eine Oper gefügt wird und wie Musik zu lesen ist. Unter den vielen gemeinsamen Erfahrungen erinnere ich mich an die großartige Veranstaltung, als wir 1978 die Histoire du Soldat von Igor Strawinsky verwirklicht haben: Der Erfolg war derart, dass die Scala gezwungen war, eine Tournee zu veranstalten, die alle wichtigen Städte Italiens berührte und sich über Monate und Monate erstreckte, aber nicht in den Theatern des üblichen Kreislaufs, sondern in Sporthallen und unter großen zirzensischen chapiteau, die fünftausend und mehr Zuschauer fassten.

Claudio war ein Mann von bestürzender Großzügigkeit!

An ihn erinnere mich als eine reservierte Person, die aber, wie ich und Franca, immer in vorderster Reihe stand, um die Letzten zu verteidigen und sich der von der Gesellschaft Ausgegrenzten anzunehmen.

Tatsächlich hat er, bereits im reifen Alter, unter den vielen seiner Tätigkeiten auch die angenommen, ein riesiges Kinderorchester zu formen und zu leiten, so wie er es bei José Antonio Abreu gesehen hatte, dem außerordentlichen Maestro aus Venezuela der das Theater von Caracas leitete.

Es waren Kinder von der Straße, die bereits dazu verurteilt waren, Opfer der Unterwelt zu werden.

Wie Abreu träumte Abbado von kostenlosen Musikschulen für alle Kinder, ohne jede Auswahl, erschaffen in den Peripherien wo die Letzten der Letzten sich finden.

Auf der Welle seines Mutes, den ich meinerseits aufgenommen habe, inszenierte ich vor zwei Jahren drei Kinderorchester bei Gelegenheit meiner Ausstellung im Palazzo Reale von Mailand -zusammengeführt von Vereinigungen außerordentlicher Menschen in Mailand, Campolongo bei Venedig und Reggio Emilia- und die auf der Bühne ihr Debüt mit mir vor einem Publikum von 500 Personen gaben.

Dieses Jahr dann, zusammen mit der in Reggio Emilia geborenen Gruppe, habe ich zu Weihnachten ein Konzert zwischen den Mauern des Kerkers von San Vittore in Mailand organisiert: Die kleinen Orchestrierenden sind vor den Insassen des Kerkers aufgetreten, Frauen und Männer ohne jede Hoffnung wegen der dramatischen Zustände unter denen sie zu leben sich wiederfinden.

Die Ergriffenheit war offenkundig, und diese Musik, gespielt von den Jungen und Mädchen, hat jenen Ausgegrenzten einen Hauch Hoffnung gegeben, die schließlich zu Tränen gerührt waren.

Ein farbiges Mädchen, das die Viola spielte, merkte auf, dass zwischen den Zuhörern auch Insassen waren, die wie sie eine dunkle Hautfarbe hatten. Am Ende des Konzerts fragte sie mich: „Ich habe Gefangene aus meinen Gegenden gesehen, vielleicht aus Afrika. Warum sind sie hier?“

Und ich habe ihr geantwortet: „Weil es ein Gesetz gibt, das bestimmt, dass es der Billigung unserer Regierung bedarf, um hierher zu gelangen und hier zu arbeiten“.

Und sie darauf: „Also haben sie nichts Böses getan!“

„Nein, das Böse wurde von unseren Regierenden getan!“

Claudio war ein aufmerksamer Mensch, über die Dynamik der Letzten hinaus auch gegenüber der Umwelt, er liebte die Natur. Wie alle Großen war auch er ein äußerst einfacher Mensch – ich erinnere mich, wie er Personen für Stunden zu unterhalten wusste, indem er über Bäume und Ökologie sprach.

Danke Abbado!

Mit Deinem Leben hast Du uns allen eine unwiederbringliche Lektion erteilt: Mit der Musik einen Hauch Hoffnung zu bringen … Und sicher etwas, was noch wertvoller ist, die Freude!

(*) Dario Fo, geboren 1926, ist Nobelpreisträger für Literatur 1997 und einem breiten Publikum durch seine politischen Theaterstücke (u.a. Morte accidentale di un anarchico) bekannt.

Claudio Abbado ist am 20.01.2014 im 81. Lebensjahr in Bologna verstorben.

„Maestro“ ist die übliche italienische Anrede für Kunstschaffende eines gewissen Bekanntheitsgrades. Wörtlich übersetzt ist es „der Lehrer“.

Der Text ist am 23. Januar auf dem Blog von Fo auf den online-Seiten der in Rom veröffentlichten Tageszeitung Il Fatto Quotidiano unter dem Originaltitel „Grazie Abbado, amico e grande uomo semplice” erschienen.

Aus dem Italienischen und Anmerkungen von ed2murrow, die Hervorhebungen im Text folgen der italienischen Fassung. Der Urtext steht unter keinem Verwendungs-, Vervielfältigungs- oder Bearbeitungsvorbehalt.

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