Das Herz am ganz rechten Fleck

Refugee-Protest Nach der Räumung des Asyl-Protestes in der Münchener Innenstadt am Sonntag sollte eine andere als die offizielle Bilanz gezogen werden

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München, die "Weltstadt mit Herz". Das war eine der längsten (1962-2005) und erfolgreichsten Imagekampagnen einer deutschen Stadt. Selbst Massaker konnten mit ihr überspielt werden, wie das bei der Olympiade 1972 oder jenes vom Oktoberfest 1980, die andere Metropolen neben Ansehen auch nachhaltig die Attraktivität gekostet hätten.

Wie es um Gastfreundlichkeit und Gemütlichkeit im Jahr 2013 bestellt ist, war in den vergangenen Tagen im Zentrum der bayerischen Kapitale zu besichtigen. Am Rindermarkt, nur wenige hundert Meter von Tourismusamt und Neuem Rathaus entfernt, hatten sich Menschen zum Sterben hingelegt. Und wurden dafür von Einheimischen mit Worten traktiert, deren O-Ton in der Mediathek des Bayerischen Rundfunks bereits nicht mehr nachvollzogen werden kann.

Aber es bleibt im Gedächtnis, was etwa inFranken.de zitiert: Die Asylbewerber sollten „in Flugzeuge gesteckt und dorthin gebracht werden, wo sie herkommen“, sie würden hier „gehegt und gepflegt“ auf Kosten des Steuerzahlers. Oder noch direkter auf der facebook-Präsenz der BR-Rundschau: „genau weg mit dem dreck“. Besonders zynisch: „sie kamen aus ländern wo armut und hunger herrschte, um hier weiter zu hungern...lol“.

Worte von der Solidarität und der Betroffenheit, die noch in der Nacht vor der Räumung fielen, man nimmt sie den beiden um Vermittlung gerufenen und bemühten Hans-Jochen Vogel und Alois Glück ab. Aber auch sie, die aus der Generation stammen, da Asyl ein von Deutschland ausgehendes Problem war, können den offiziellen Tenor der bayerischen Staatsregierung nicht beseitigen, der von einer Sozialministerin Christine Haderthauer und Innenminister Joachim Herrmann, beide CSU, vorgegeben worden ist: Die Forderung nach sofortiger Anerkennung als politische Flüchtlinge gemäß Art. 16a Grundgesetz sei rechtswidrig, man lasse sich nicht erpressen. Basta!

Europäische Rechtsetzung und bayerische Räumung

Dabei hätten gerade die beiden Ministrablen Grund gehabt, mit ihren Äußerungen zurückhaltend zu sein. Nicht nur, weil sie in gleicher Tonlage tosenden Applaus von Rechtsaußen wie der Münchner Gruppe von Politically Incorrect oder die Freiheit erhalten haben. Sondern weil zur gleichen Zeit im Europäischen Parlament das einheitliche Europäische Asylverfahren erörtert und am Samstag im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurde.

Dort sind in den Grundzügen just die Punkte einer Abänderung unterworfen worden, für die Deutschland in der Vergangenheit auffällig geworden ist und die Teil des Münchener Protestes sind: Überlange Bearbeitungsdauer der Anträge, eine Abschiebepraxis in nicht sichere Drittstaaten, die sogar das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hat und die teilweise menschenunwürdige Behandlung der Schutzsuchenden während des Verwaltungsverfahrens.

Dass in der Umsetzung von Asylfragen die Worte „Schutzfunktion“ und „Solidarität“, die im Europäischen Parlament immerhin noch zum Sprachschatz gehören, fremd geworden sind, an das hat man sich offensichtlich gewöhnt. Und die Frage danach ist auch, das muss bei aller Bitterkeit eingestanden werden, seit der Parole vom „Boot ist voll“ und der konsequenten Aushöhlung eines früheren Grundrechtes zum legislativen Lippenbekenntnis seit Jahren beantwortet.

Ein Novum aber ist, dass neben der Abstempelung als sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge nun auch die politisch Asyl Suchenden genau dies hierzulande nicht sollen tun dürfen: Sich politisch zu äußern. Denn nichts anderes haben die rund 50 Personen, die in Durst- und Hungerstreik getreten sind, getan. Sie haben politische Ziele in Bezug auf ihren Status formuliert, sie haben sie begründet, und sie haben sie auf verschiedenen Wegen zur Kenntnis gebracht, zuletzt noch mit einem Marsch nach Berlin und der Übergabe eines Memorandums. Dies alles hat nichts bei den Adressaten bewirkt, weder in der Bevölkerung noch bei den Regierenden.

Politisch Verfolgte, die sich politisch äußern? In Bayern ein Verbrechen

Für sich Menschwürde einzufordern und dafür sein Leben einzusetzen, ist die letzte, höchste und aufopferungsvollste Form friedlicher Wahrnehmung von Menschenrechten. Sie als Erpressung darzustellen spricht dem nicht nur Hohn, sondern zeigt, wie im heutigen Bewusstsein Verfolgte wahrgenommen werden: Denen man per Kost und Logis eine Gefälligkeit erweist, die sie ohne Widerworte hinzunehmen haben.

Das ist nicht Schutz derjenigen, die gerade wegen ihrer Ansichten und Betätigungen, wegen ihres Bewusstseins als politische Menschen flüchten mussten. Sondern Asyl ist so bestenfalls eine milde Gabe, die an die Bedingung von schweigendem und duldendem Wohlverhalten gebunden ist. Und damit im Kern die Fortsetzung des Fluchtgrundes.

Das wird sich ändern müssen. Denn mit seiner Novelle hat das Europäische Parlament deutlich gemacht, dass nicht mehr nur Frontstaaten wie Italien, Spanien und Griechenland die Hauptaufgabe kontinentaler Asylaufgaben zu bewältigen haben werden, sondern eine gleichmäßige Verteilung ansteht. Dem werden sich weder Deutschland noch der Freistaat entziehen können. Die Politik wäre gut beraten, das ab sofort zu beherzigen und dem zutage getretenen Konfliktpotential anders als durch neue Parolen entgegen zu treten, die Menschen in ihrer Not kriminalisieren.

In München ist die Gastlichkeit immer noch hoch im Kurs, zwischen Franziskaner und Hotel Vier Jahreszeiten sogar besonders teuer. Und der liebste Gast der Münchner, man hat es verstanden, ist der, der möglichst schnell wieder geht. Lange wird die Stadt von ihrem gepflegten Image nicht mehr zehren können.e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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