Der Widerspenstigen Zähmung

Tunesien Seit einem Monat sitzt Amina Tyler in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: „Störung der Totenruhe“ und „unzüchtiges Verhalten“. Fortsetzung einer Rekonstruktion

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Viel ist von der Gesundheit von Amina Sboui, alias Amina Tyler die Rede, vor allem ihrer geistigen. Es ist beinahe so, als wären ihre Worte prophetisch gewesen, die sie auf ihren abfotografierten blanken Torso geschrieben hatte: „Mein Körper gehört mir und ist nicht die Quelle von irgendjemandes Ehre“.

Bereits kurz nachdem im März die Bilder mit Schrift und nackter Haut auf Facebook erschienen und Amina die Einladung zu einer in Tunesien beliebten Talk-Show angenommen hatte, waren einige Reaktionen so unmissverständlich wie menschenfeindlich.
Der selbsternannte Tugendwächter Adel Almi verkündete von demselben Fernsehstudio aus, in dem die junge Frau vier Tage zuvor Platz genommen hatte, ein fatwa-gleiches Urteil. Noch vor den Strafen der Auspeitschung und „Steinigung bis zum Tod“ verlangte der Mann mit den Allüren eines Mufti, Amina müsse einem „Drogentest“ und einer „psychiatrischen Untersuchung“ unterzogen werden (die Ausrufer haben darüber -> berichtet).

Eine Untersuchung, die ihre Familie an ihr vollzogen hat, wie Tyler es Mitte April in zwei Skype-Gesprächen erzählt. Gegenüber Cristina Mastrandrea der italienischen Tageszeitung La Repubblica schildert sie, dass sie auf der Flucht vor ihren Angehörigen bei Freunden untergekommen ist. Der Grund, nachdem sie von einem Cousin und einem Onkel gegen ihren Willen entführt und zusammengeschlagen worden war: „Sie haben mich gezwungen, den Koran zu lesen und jeden Tag zum Imam zu gehen, obwohl sie wissen, dass ich Agnostikerin bin. Dann haben sie mich zum Psychiater gebracht, ich bin gezwungen worden, Medikamente zu nehmen, die so stark waren, dass ich nicht mehr wusste, was ich tat, ich schlief den ganzen Tag.“

Sie bestätigt das gegenüber FEMEN-Aktivistin Inna Schevchenko einen Tag danach:

Sie [Anm.: die Familie] haben zwei alte Damen der Familie bestellt, die überprüfen sollten, ob ich noch Jungfrau bin. Das war fürchterlich … gegen meinen freien Willen. Sie haben mich in die Küche geführt, mich ausgezogen, um nachzuschauen …“.

Mein Körper gehört mir“ ist die Aussage, wer darüber verfügen darf. Und nachdem die volljährige Frau sich entschieden hatte, aus dem häuslichen Gefängnis nebst Behandlung wieder auszubrechen, ist die Frage in die Öffentlichkeit getragen worden, ob Amina in der Lage sei, diese Verfügung zu treffen. Ihre Mutter wird mit den Worten zitiert, sie habe Angst um ihre Tochter, weil sie sich „seit sechs Jahren in psychiatrischer Behandlung“ befinde. Und: „Gewisse Parteien instrumentalisieren die Geschichte meiner Tochter gegen ihren Willen. Es hat nie eine Entführung gegeben, wir versuchen nur, unsere Tochter zu beschützen und verweigern ihr, alleine auszugehen, als Maßnahme zur Sicherheit“.

Der 1. Mai

Das ist eine Saat des Zweifels, die ausgebracht worden ist. Denn wer wirkt glaubwürdiger als die eigenen, die besorgten Eltern. Und sie trägt erstmals Früchte, als Amina zwei Wochen nach den Interviews, am Feiertag des 1. Mai auf der zentralen Avenue Habib Bourguiba in Tunis auf das Veranstaltungszelt der Partei Kongress für die Republik (Al-Moatamar, CPR) zugeht.

Der CPR ist von dem derzeitigen tunesischen Staatspräsidenten Moncef Marzouki gegründet worden. Ihm gehört unter anderem die im Land höchst umstrittene Ministerin für Frauenangelegenheiten Sihem Badi an. Vergangenen 1. März hatte sie trotz des säkularen Anstrichs ihrer Partei angekündigt, dass sie die Ausgründung von FEMEN in Tunesien „verhindern werde“, weil die feministische Organisation „Werte transportiere, die im Widerspruch zum Islam und der tunesischen Traditionen“ stünden. Erst am vergangenen 16. April überstand sie mit knapper Not ein Misstrauensvotum („motion de censure“) im Parlament.

Auch Badi ist an diesem ersten Mai vor Ort, um zu Parteianhängern zu sprechen, als Amina auftaucht. Trotz ihres veränderten Äußeren wird sie von den Ordnungskräften sofort erkannt und abgedrängt.

Warum, darüber scheiden sich die Geister. Die einen beschreiben den Auftritt als den einer Person, die die Kontrolle verloren hat: „Es bedurfte also der Sicherheitskräfte, um die Blondine mit dem Bubikopf zu beruhigen, sie zu entfernen und ihrem Schwall an Beleidigungen zu beenden“.
Andere wie die französische Autorin und Korrespondentin Martine Gozlan beschreiben die Menge der Gegendemonstranten vor dem Zelt, die laut ihren Unmut gegen die de-facto-Koalition zwischen dem CPR und der streng islamisch orientierten Partei Ennahda äußern. Aus ihrer Mitte tritt Amina hervor und protestiert lautstark gegen die Ministerin. In dieser Menge verschwindet Amina wieder.

Der 19. Mai

Zur vollen Blüte gelangen die Zweifel, als Amina auf ihrer neuen Facebook-Präsenz am 17. Mai ankündigt, am darauf folgenden Sonntag nach Kairouan (Qairawān) gehen zu wollen. Sie ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz und 2009 symbolische „Hauptstadt der islamischen Kultur“.

Im Schatten der Uqba-Moschee wollen die Salafisten der Ansar al-Chariâ (dt. etwa: Partisanen des islamischen Rechts) am 19. Mai einen Kongress abhalten, der vom Tunesischen Innenministerium verboten worden ist. Offizielle Begründung: Die Bewegung habe Verbindungen zu terroristischen Organisationen. Deren Sprecher Seifeddine Raïes ruft trotzdem noch am 18. zur Versammlung auf und fordert in einer Pressekonferenz die Regierung offen heraus: „Wir erfragen keine Genehmigung der Regierung, um das Wort Gottes zu predigen, und wir warnen sie vor jeder Maßnahme der Polizei, um den Kongress zu unterbinden.“
In der Folge werden die Salafisten zwar die Versammlung doch noch absagen, nur um kurz darauf in Tunis für heftige Ausschreitungen zu sorgen, bei denen es mindestens einen Toten und mehrere Verletzte geben wird. Sprecher Raïes wird dann verhaftet werden. Das Tuch zwischen den Salafisten der Ansar al-Chariâ und der in der Regierung und konstituierenden Versammlung prominent vertretenen Muslimpartei Ennahda ist seitdem zerrissen, meint nicht nur france24.

Hierhin also will sich Amina also begeben. „Als ob wir nicht schon genug Probleme hätten“ titel bereits am 18. turess.com, eine weithin gelesene zweisprachige online-Plattform aus Tunis. Welche die zusätzlichen Probleme wären, wird freilich nicht ausgeführt.
Aber sie werden aktuell, als die Frau tatsächlich in Kairouan auftaucht. Seit dem Vorabend in einem Hotel ist sie von der Kamera der journalistischen Multimedia-Plattform Nawaat begleitet. Deren Aufnahmen werden in tunesischen, italienischen und französischen Medien weiter verbreitet, soweit sie am 19. Mai einsetzen. In kurzen Jeans-Hosen, einem karierten Hemd über einem T-Shirt, steht Amina vor dem Mäuerchen eines Friedhofs, auf dem in schwarzer Schrift das Wort „Femen“ zu lesen ist. Sie wird heftig mit Worten attackiert, Sicherheitskräfte gehen dazwischen und führen sie nach rund 2 Minuten ab. Sie wird in einem Polizeifahrzeug abtransportiert.

Der Grund, warum sie fortgeführt wird, wird unterschiedlich begründet. Ihr gegenüber behaupten die Sicherheitskräfte, dies geschehe zu ihrer eigenen Sicherheit.
Der Gouverneur von Kairouan, Abdelmajid Laghouan, hingegen verkündet bereits kurz nach dem Vorfall, sie sei festgenommen worden, weil sie sich vor der Uqba-Moschee entkleidet habe. Eine Version, die im Kern noch am Sonntag von dem Sprecher des tunesischen Innenministeriums Mohamed Ali Aroui bestätigt wird. Amina sei auf Weisung der Staatsanwaltschaft festgenommen worden. Aroui wörtlich: „Unsere Gesellschaft ist muslimisch, und wir akzeptieren kein abweichendes Verhalten“. Die Frage, welche „unmoralischen Akte“ Amina begangen haben soll, lässt der Sprecher unbeantwortet.
Am 21. Mai wandelt das Strafgericht in Kairouan die Festnahme in Untersuchungshaft um, wegen „Störung der Totenruhe“ und „unzüchtigem Verhalten“.
Für ein weit verbreitetes Sentiment, natürlich im streng rechtsstaatlichen Sinne, fasst Tunivisions das weitere Prozedere zusammen, dass Amina wegen der "Störung der Totenruhe" einer Haftstrafe von bis zu 2 Jahren entgegensieht: "Die Justizbehörden werden eine ärztliche Begutachtung durchführen müssen, um ihre Zurechnungsfähigkeit festzustellen."

Zweimal bekommt die Öffentlichkeit Amina noch zu sehen, am 30. Mai und am 5. Juni, jeweils zu Gerichtsterminen. Beide Male wird sie in einer Kleidung vorgeführt, die nur das Gesicht unbedeckt lässt, wie eine Schwerverbrecherin trägt sie Handschellen.

Am 30. wird Amina kurz vernommen. Im Anschluss wird sie zu einer Geldbuße von 300 Dinar (~ 140 Euro) wegen Tragens einer Waffe verurteilt. Gemeint ist ein kleiner Sprühflacon, den Amina zur Selbstverteidigung seit den Morddrohungen gegen sie bei sich trägt. Im übrigen wird die Untersuchungshaft wegen der bekannten Anklagepunkte auf unbestimmte Zeit verlängert; nach tunesischem Verfahrensrecht, das noch von dem früheren Machthaber Ben Ali verfügt worden ist, kann sie bis zu 14 Monate dauern.

Die andauernde Haft

Am 5. Juni erscheint Amina Sboui abermals vor dem Richter. Ihr zur Seite steht ein Verteidigerkollegium von 4 Anwälten unter der Leitung der international bekannten tunesischen Menschenrechtsanwältin Radhia Nasraoui.
Nach einer mehrstündigen Einvernahme der Beschuldigten verfügt das Gericht eine Vertagung ohne neuen Termin, die Untersuchungshaft bleibt angeordnet. Eine sichtlich frustrierte Nasroui wird mit den Worten zitiert: „Dieser Prozess erinnert mich an die Zeit von Ben Ali: Verleumderische Anschuldigungen, Fälschungen.“ Amina müsse weiterhin im Gefängnis bleiben, während die, die zum Mord gegen sie aufrufen, unverfolgt blieben, meint Nasroui weiter: Selbst die 20 Salafisten, die im September 2012 die amerikanische Botschaft in Tunis angegriffen hatten, seien auf freiem Fuß, weil ihre Verurteilung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
Ein Ungleichgewicht, das seit der Verhaftung von Amina Sboui nicht nur die Verteidigung beunruhigt, sondern weite der Teile der urbanen Gesellschaft Tunesiens.

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(c) espacemanager.com

Seitdem erfahren wir über Amina nur noch, dass sie in einem Gefängnis in Messadine einsitzt, in einer Zelle zusammen mit anderen 20 Gefangenen. Sie sei ruhig und ziehe es vor, für sich alleine zu sein. Sie „empfängt den Besuch eines Psychiaters und befolgt ihre Behandlung“, so die auf 4 online-Plattformen ins Französische übertragene Synthese eines länglichen Artikels der Tageszeitung Assarih, die nur auf Arabisch erscheint. Alles andere kommt jetzt nur noch vom Hörensagen.

Ein Cousin, selbst Zeitungredakteur, wird zitiert: Er habe sie kürzlich aufgesucht, und sie bereue, was sie getan hat. Femen habe "ihre psychischen Störungen ausgenutzt, um sie in eine Aktivistin der Organisation zu transformieren".
Ein Onkel mütterlicherseits wird zitiert: "Ihre Familie [Anm.: von Amina] hat verstanden, dass ihre Motive tatsächlich politisch sind. Das eigentliche Anliegen von Amina war, sich als Reaktion auf all die aufbrausenden Debatten von Extremisten im Internet (Ungleichheit der Geschlechter, Polygamie, Trennung von Mann und Frau) zur Wortführerin einer schweigenden Mehrheit in Tunesien zu machen, um NEIN zu sagen zu den Plänen gewisser extremistischer Aufrührer."
Der Vater von Amina wird zitiert: „Amina war schon immer rebellisch. Immer hat sie die Benachteiligten verteidigt, die Frauen, die Freiheit. Sie hat mich viel leiden lassen, aber sie hat mich viel zum Nachdenken gebracht, zu vielen Träumen.“

Wer weiß besser als die eigene Familie, was widerspenstig ist?

Es beklagt am 18. Mai auf lapresse.tn die Psychiaterin Rym Attia Ghachem, Leiterin der Psychiatrie in Manouba die Zunahme an Frauen egal welchen Berufs oder welcher Extraktion, die sich mit schweren Depressionen an sie wenden.
Sie schreibt: „Die tunesische Frau hat -das ist wahr- ihre Autonomie von Bourguiba auf einem silbernen Tablett gereicht bekommen, aber für sie ist es heute jeden Morgen ein regelrechter Kampf, egal ob sie jung, alt, verheiratet, single, Studentin oder Hausfrau ist. Sie muss kämpfen, mit ihrer Seele und mit ihrem Körper. Sie ist auf jeder Kundgebung präsent; sie spricht, sie schreit laut und deutlich, dass sie ihr Land liebt, auch die Fahne. Ja, sie liebt ihr Land in einer Weise, dass es ihr weh tut. Sie sieht sich dem Hass auf den Straßen ausgesetzt und einer konstanten Beurteilung bei allem, was sie macht! Nein, sie ist nicht paranoid, aber sie ist deprimiert, niedergeschlagen von der Mittelmäßigkeit wie lautstarken Torheit der einen und dem komplizenhaften oder lüsternen Schweigen der anderen. Diese Niedergeschlagenheit ist lebenswichtig, und diese Depression wird die tunisische Frau retten, denn sie wird nicht auf ihre Freiheit verzichten, sie wird sich dafür schlagen, so dass ich mit der Schlagzeile von Dalila Ben Mbarek ende: Sie wird ‘die Waffen ergreifen, wenn es notwendig ist‘ damit unser Tunesien lebt.

Diese Frauen werden sich nicht mehr zähmen lassen! e2m

Der Artikel ist dieFortsetzung von "Verdammt, ein Busen!" auf freitag.de

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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