Die Wiederentdeckung der Bescheidenheit

Zum Anschein Wer nichts tut, soll nichts verdienen, so die landläufige Haltung. Aber was ist mit Abgeordneten?

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Die Wiederentdeckung der Bescheidenheit

Foto: JOHANNES EISELE/AFP/Getty Images

Vor vielen Jahren meinte einmal eine sehr alte Dame zu mir: „Parlament? Das sind doch alles nur kleine Möchtegerne, die dem Kaiser nachäffen.“ Eine lupenreine Demokratin war sie sicher nicht und irgendwie aus der Zeit gefallen. Was bei einer Generation, die gleich zwei Weltkriege er- und überlebt hat, auch nicht weiter verwundern sollte. Aber bei der Betrachtung des Aplombs, mit dem der eine oder andere Mandats- wie Würdenträger heute daher kommt, fallen mir ihre Worte wie von selbst wieder ein.

Denn egal ob sie als „Klasse“ definiert werden oder bei unserem italienischen Nachbarn derzeit als „Kaste“ verschrien sind: Alleine die materiellen Privilegien, die Politiker und mehr noch Parlamentarier genießen, reichen für die weit verbreitete Gewissheit aus, dass „die es sich schon richten“. Oder gleich für den ganzen Clan, wie es von der bayerischen Verwandtenaffäre bis zum Beratervertrag aus der Kanzlei des Schwippschwagers nachdrücklich nahe gelegt wird. Zu Letzteren wird zunehmend selbst auf parlamentarische Anfragen hin „aus steuerlichen und datenschutzrechtlichen Gründen“ die Auskunft verweigert.

Die Distanz äußert sich aber nicht nur in der eigenen Vergütung, sondern dass die Repräsentanten durch die Bank Arbeitgeber sind, die vom Büro bis zum Wahlkampf über Personal, im Wortsinne: verfügen. Während die meist unselbständig beschäftigten Vertretenen zunehmend damit zu kämpfen haben, die Barschaft bis zum Ende des Monats reichen zu lassen. Die Crux ist, dass selbst für die Entlohnung ihrer Mitarbeiter die Parlamentarier nicht selbst sorgen müssen. Sie ist eine zugewiesene Pauschale, im Bundestag derzeit bis zu 15.053 € arbeitnehmerbrutto im Monat. Damit lässt sich ziemlich sorglos so manches Kabinett „en miniature“ herstellen.

Das kann den Unternehmer, der derlei Beträge erst erwirtschaften muss und Beschäftigte gleichermaßen in Wallung bringen. Die des Bundestages durften über Jahre als Scheinselbständige etwa den Besuchern die Symbolik des Glasdaches über dem Bundestag für mehr Transparenz näher bringen. Und während 2013 der Entwurf eines Koalitionsvertrages im Kapitel „Armutswanderung in der EU“ die „Bekämpfung von Scheinselbständigkeit und Schwarzarbeit“ als Ziel wiederholt, laufen die juristischen Auseinandersetzungen mit den Out-ge-Sourcten auf Betreiben der Bundestagsverwaltung zu Berlin weiter. Kostenpunkt alleine für den externen Beistand bis Juni dieses Jahres laut SZ 20.000 Euro.

Augenmaß und der äußere Schein

Dabei wäre es für den obersten Dienstherrn und gerichtlichen Vertreter, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ohne Weiteres möglich, durch einfaches Anerkenntnis dem Spektakel ein Ende zu setzen – hinsichtlich der unnützen Aufwendungen als auch der politisch unhaltbaren Position, in einem Verfahren den zu bekämpfenden Formentausch bei Arbeitsverhältnissen per Urteil doch noch als rechtmäßig anerkannt zu bekommen.

Das sollte jemandem, der seit 1980 im Bundestag sitzt und den Anspruch erhebt, zweiter Mann im Staat zu sein, selbst dann nicht schwer fallen, wenn ein Unternehmerfreund aus den eigenen Reihen die wirtschaftsliberale Augenbraue hebt. Und war es nicht Lammert, der an das Augenmaß appellierte, als er am 22. Oktober zur Konstituierung meinte: „Wir sind alle gewählt, nicht gesalbt“?

Einer, der es ist, schrieb unlängst, die Politik sei in Misskredit geraten, weil es zu wenige Politiker gebe, die über „den äußeren Anschein der Übel unserer Welt“ zu deren „tieferen Wurzeln“ vorzudringen bereit seien. Das werden alle, die in Deutschland das „C“ im Parteinamen und im Mandat führen, mit gemischten Gefühlen gelesen haben.

Sie, die Politiker, könnten ihn widerlegen. In dem sie etwa einen Teil ihrer Entschädigungen, wie die Diäten im Amtsdeutsch heißen, gemeinnützigen Zwecken zuführen. Denn wer nicht arbeitet, so wie das gesamte Parlament die letzten zwei Monate, hätte nach landläufiger wie gesetzlicher Grundhaltung auch keinen Anspruch auf (volle) Vergütung. Das wissen Arbeitslose, Streikende wie Ausgesperrte. Mit einer Spende wäre sicher noch nichts an der Wurzel getan, aber zumindest einmal etwas Sinnvolles in Richtung Anschein.

Aber wer ist schon päpstlicher als der Papst? Wahrscheinlicher sind viele Tebartz-van Elst, der dem Vernehmen nach Ehrbezeugungen und seinen Lebensstil sehr geliebt hat. Bis er unsanft geweckt wurde, von einer Gemeinde. e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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