Für jede getötete Frau ein Bier

Maskulinisten Warum das Attentat in Toronto nicht als Amokfahrt, sondern als Terroranschlag einzustufen ist
Ausgabe 18/2018
Der Toronto-Täter bewegt sich in einem Kreis von maskulinistischen Männern
Der Toronto-Täter bewegt sich in einem Kreis von maskulinistischen Männern

Foto: Cole Burston/Getty Images

Was für ein Erfolg! Die Rebellion der Beta-Männer gegen Frauen hat begonnen! Soldat Alek Minissian konnte zehn Menschen töten. Hoch lebe der Kämpfer. Zur Feier des Tages mache ich für jedes Opfer, das sich als junge Frau zwischen 18 und 35 herausstellt, ein Bier auf.

So feiert die maskulinistische Community den Terroranschlag von Toronto. Ja, genau, den Terroranschlag, nicht die Amokfahrt. Der Begriff ist übertrieben? Handelt es sich nicht eher um das psychische Problem eines verunsicherten 25-jährigen Mannes? Und wo ist die Ideologie, die politische Zielsetzung und die organisierte Gruppe, die gemeinhin zum Terrorismus gezählt werden? Eins nach dem anderen.

Die Ideologie: Der Toronto-Täter bewegt sich in einem Kreis von maskulinistischen Männern, die sich selber als „Incels“ bezeichnen. Diese „unfreiwillig Zölibatären“ machen Frauen dafür verantwortlich, dass sie keinen Sex bekommen. Frauen bezeichnen sie als „Femoide“, angelehnt an „Humanoide“: menschenähnlich, eigentlich nur dazu gemacht, Männern Sex zu geben. Da sie den aber „Alphamännern“ vorenthalten, gehören sie eingeschüchtert. Damit sie Respekt bekommen, vor den Betas.

Das mündet in einer politischen Zielsetzung: „Eines Tages werden die Incel‘s ihre wahre Stärke und Anzahl begreifen und das bedrückende, feministische System stürzen. Stell dir eine Welt vor, in der Frauen dich fürchten.“ Das schrieb der Attentäter Elliot Rodger nach seinem Angriff auf die Universität von Santa Barbara 2014, bei dem er sechs Menschen ermordete. Minissian nannte Rodger als Vorbild für seinen Anschlag in Toronto. Die Verunsicherung einer gesellschaftlichen Gruppe durch gezielte Anschläge ist ein typisches Ziel von Terrorismus.

Die organisierte Gruppe: Das sind die Maskulinisten. Minissian setzte auf Facebook eine Nachricht ab, in der er sich als „Private Recruit“ bezeichnete und sich an einen „Sergeant 4chan“ wandte. Spielt er nur eine maskulinistische Untergrundorganisation vor oder gibt es sie tatsächlich? Die maskulinistische Community jedenfalls unterstützt seine Attacke. Es handelt sich damit nicht um einen psychisch labilen Einzeltäter, sondern um einen organisierten Maskulinisten, der sich mit einem Lieferwagen bewaffnet hat, um gezielt Frauen und Alphamänner zu töten. In Toronto hat im April also ein maskulinistischer Terroranschlag stattgefunden.

Dass er kaum einen Aufschrei über diese neue Dimension von Maskulinismus und Frauenhass hervorgerufen hat: brandgefährlich. Zumindest für die Hälfte der Bevölkerung.

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

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