Schichtwechsel am gleichen Ruder?

Bundestagswahl. Pappkameraden, Worthülsen, Lagerdenken und der ewige Satz "Es ändert sich doch eh nix." ... Gedanken zur Bundestagswahl 2013.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Bundestagswahl. Eine Wahl. Eine Entscheidung. Die wir alle gemeinsam treffen. Für die Zukunft des Landes. Wir wählen Menschen die uns auf Pappplakaten entgegengrinsen und daneben ein paar inhaltsarme Parolen stehen haben: Gemeinsam erfolgreich. Das Wir entscheidet. Genau! Ude. So machen wir das. Die Mitte entlasten. Nur mit uns. Ich seh das anders. Und du?

Die Medien präsentieren uns die Pappkameraden in Bewegtbildern, die nicht bewegen. Wir hören dass die beiden "Volksparteien" Union und SPD sich kaum noch unterscheiden. Aber sie verhalten sich komplett unterschiedlich. Die einen stehen stramm schweigend hinter einer stets stramm schweigenden merkwürdigen Frau, deren seltene Botschaften stets das sprachliche und intellektuelle Niveau der Pappplakate noch unterschreiten. Die anderen schlagen sich pausenlos gegenseitig die Köpfe ein. Das "Wir" das bei der SPD entscheidet ist ein Haufen Menschen, die um Macht streiten wie um Positionen und Inhalte. Und dabei auf keinen Zweig kommen, schon gar nicht auf einen grünen. Das "gemeinsame" das bei der CDU/CSU so erfolgreich ist, ist das Schweigen. Das stramme hinter dieser merkwürdigen Frau stehen. Die Macht ist klar geregelt, keiner ficht sie an. Positionen und Inhalte sind, wenn überhaupt vorhanden, dann weltgeschehensabhängig. Bewegen nur unter dem Einfluss von höherer Gewalt. Konservativ heißt bewahrend.

Konservativ-bewahrend heißt in der Union ja "alles ist gut und weiter so". Die Partei der Zufriedenen. Der Landbevölkerung. Derjenigen, die Veränderung als bedrohlich sehen. Die SPD war die Partei der Unzufriedenen, die der Gewerkschafter, der Stadtbevölkerung. Wollte man etwas verändern, wählte man SPD, wollte man dass alles so bleibt wie es ist, wählte man CDU. Ein herrlich einfaches Konzept.

Nun also das Jahr 2013. Die Union ist keine Partei mehr, sie ist der Chor der Kanzlerin. Die SPD ist durch ihre eigene jüngere Vergangenheit so unsicher über sich selbst dass niemand eigentlich so recht weiß ob er in der richtigen Partei ist. Der Kanzlerkandidat der SPD legt durch sein Auftreten eher nahe dass er das nur pro forma tut, damit man behaupten kann es hätte jemand versucht. Wenden wir uns also ab von diesen Parteien, sie sind nicht bei der Sache.

Kommen wir also zu den etwas sachorientierteren Parteien: Grüne, LINKE, FDP, Piraten. An ihnen kann man sich reiben, mit ihnen kann man streiten, da sind Inhalte zu holen, da sind Denkweisen zu ernten! Man kann ihnen tolle Schimpfworte verpassen: Die Grünen sind die Gutmenschen, die Verbotspartei, die Linken sind die Dagegenpartei, die Kommunisten, die DDR-Nostalgiker, die FDP sind die Raubtierkapitalisten und Lobbyarbeiter, die Piraten sind die untervögelten Nerds, die Menschen nur aus dem Internet kennen. Damit lässt sich doch was anfangen!

Was sich damit nicht anfangen lässt ist der Ära Merkel ein Ende zu setzen. Das kann nur mit der SPD gelingen. (Oder mithilfe der natürlichen Laufzeitbegrenzung eines menschlichen Lebens.) Umso fassungsloser beobachten wir wie die SPD jeden Tag unwählbarer wird. Und so denken viele von uns einen Schritt weiter. Nicht die Ära Merkel gilt es zu beenden, sondern die Ära der marktkonformen Demokratie, ja des globalen Börsenkapitalismus, ja das System gilt es zu beenden. Für solcherelei Überlegungen steht uns in unserer merkwürdigen pro forma parlamentarischen Demokratie nur die LINKE zur Verfügung. Und auch die ist natürlich Teil des Systems. So denken wir laut darüber nach, nicht wählen zu gehen, da man sich nirgends zuhause fühlt, nirgends verstanden, nirgends vertreten. Nichts würde sich verändern, ob nun die einen oder die anderen am Ruder sind. Denn es ist das gleiche Ruder, es geht den gleichen engen Flusslauf entlang auf den großen Wasserfall zu, die einen vermögen vielleicht eine Weile länger gegen die Strömung zu halten als die anderen die mit fröhlicher Zielstrebigkeit auf den Abgrund zupaddeln.

Was würde sich denn verändern, wenn wir nicht wählen gehen? Uns auf unsere ideologischen Schultern klopfen und uns für unsere Konsequenz gratulieren? Vielleicht könnten wir den Abgrund vermeiden, indem wir zuvor das Schiff versenken. Und dann wären wir nicht mehr alle in einem Boot, sondern jeder schwämme für sich um sein Leben. So, damit wäre diese Metapher nun auch ausgereizt.

Im Grunde sind doch weit mehr als die 41%, die derzeit in Umfragen sich für die Union bekennen, Menschen mit Angst vor Veränderung. Menschen die sagen "Ist schon noch halbwegs okay so wie es gerade ist, bloß nichts versuchen, sonst wird alles nur noch schlimmer." Da gibt es die Angst vor einem Tempolimit. Die Angst vor vegetarischen Donnerstagen in der Kantine. Die Angst vor einem bedingungslosen Grundeinkommen. Die Angst vor mehr direkter Demokratie. Die Angst vor grünem Strom. Die Angst vor mehr Verantwortung, vor weniger Krieg, vor weniger Reichen und weniger Armen, vor Nachhaltigkeit, vor einer anderen Zukunft.

Wir können das System nicht hier in Deutschland von heute auf morgen umstürzen, es geht schlicht und einfach nicht. Wir sind erstens dazu zu wenige und zweitens muss soetwas global passieren. Somit bleibt uns nichts anderes als das sogenannte kleinere Übel zu wählen! Wir können und dürfen den ängstlichen und den Angstmachern nicht das Feld überlassen. Wir müssen wählen gehen!

Und wenn schon die "großen" Parteien sich nicht mehr anbieten, dann sollen es die kleinen sein. Notfalls auch die, die nicht die 5%-Hürde knacken werden. Angefangen haben alle einmal. Und die Veränderung die wir wollen muss auch erstmal anfangen. Wir können unsere Zukunft nicht genmanipuliert mutieren lassen. Und wer nun sagen mag "Wo hat eine Wahl jemals etwas nachhaltig verändert, zum Guten hin?" oder "Die Politiker sind nicht die Mächtigen, diejenigen mit der wirklich Macht können wir aber nicht wählen!", dem sage ich: Ja, das mag zu einem großen Teil zutreffen. Aber wir dürfen niemals aufgeben. Niemals. We cannot let them win.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden