Schluss mit Links

Labelversagen Unter dem Label "(irgendwie) links" versammelt sich ein heterogener Haufen, der sich auf nichts einigen kann. Vielleicht ist es an der Zeit, den Begriff loszuwerden.

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In den USA zersplittern die "Rechten" in Konservativ und Ultraerzkonservativ, in GOP und Tea Party, noch zwangsvereint, aber dem Zerbersten nahe. In Deutschland ist auf der sozusagen gegenüberliegenden Seite des politischen Spektrums ein ähnliches Phänomen zu beobachten. Zuerst spaltete sich die WASG von der SPD ab, dann brachten die Piraten mehr schlecht als recht einen anderen Bereich linker Gedanken ins Spiel, und nun zerrupfen sich die selbsternannten Linken gegenseitig im Streit um irgendwelche Leitfiguren.

Dabei ist der prinzipielle Unterschied zwischen den Konstrukten "rechts" und "links" doch relativ einfach auf den Punkt gebracht: Rechts ist konservativ, da soll entweder alles so bleiben wie bisher oder sogar wieder so wie es früher war. Und links wünscht man sich eine Veränderung von Gesellschaft und System hin zu etwas Neuem, "Besserem". Vergraulte SPD-Wähler sehnen sich zwar in falscher Nostalgie zurück zu der "alten SPD", der "wahren Arbeiterpartei", die sie eigentlich nie war, und auf der östlichen Seite der Medaille wünscht sich mancher eine etwas aufpolierte DDR mit Ausreiseerlaubnis. Doch im Großen und Ganzen ist die "linke Seite" die systemkritische Seite und die rechte die systemkonforme. Ganz vereinfacht.

Dort wo das System den Egoismus fördert und die Ausbeutung des Planeten und den Markt als Allheilmittel, wünschen sich die systemkritischen Menschen eine Welt der Solidarität und des Friedens, der Nachhaltigkeit und der Verhältnismäßigkeit. Wo das System das Individuum und die Masse oxymoronisch aufs Podest hebt, neigen die Kritiker dazu, die natürlichere Gesellschaftsform des Menschen zu fördern: Das Rudel (die Community).

Doch die Menschen kennen das Leben im Rudel nicht mehr, das Leben im Dorf, wo man sich seine Nachbarn und seine Wegbegleiter nicht aussuchen kann, sie missverstehen das Konzept des Rudels: Die Menschen der Zivilisation gruppieren sich mit Gleichgesinnten und verlieren dadurch die Fähigkeit zur Akzeptanz des Andersdenkenden, weil sie sich nicht mit Andersdenkenden abgeben müssen. Sie finden sich nicht in Rudeln wieder sondern in Gruppen. Ein Dorf voller Jäger wird viel Fleisch haben, aber ohne Hütten im Winter erfrieren. Ein Dorf voller Medizinmänner wird vielleicht nicht krank, aber es wird verhungern.

Solange wir uns damit beschäftigen, "links" sein zu wollen (bzw. zu glauben) und dabei doch bei kleinsten Meinungsverschiedenheiten mit unserem Gegenüber (bzw. Nebeneinander) denjenigen gleich als den Feind oder einen Idioten anzuklagen und verstoßen zu wollen, werden wir nie eine wirkliche Community sein, ein Rudel, ein heterogener Haufen mit einem gemeinsamen Ziel - mit dem gemeinsamen Ziel eines friedlichen, solidarischen, nachhaltigen und verhältnismäßigen Zusammenlebens.

Eine Freundin von mir warf mir neulich bezüglich einer privaten Konfliktsituation vor, zu objektiv zu sein, zu wenig Position zu beziehen. Dabei meinte sie Position für die eine Seite und gegen die andere. So lange wir glauben dass das Leben so gestrickt ist, so aufgeteilt in Nullen und Einsen, in Plus und Minus, in Schwarz und Weiß, finden wir nie den grünen Zweig. Und mit einem kleinen Sorry für dieses schwache Wortspiel gebe ich ab ins Studio.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

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