Kann Cannabis Tote aufwecken?

Eine Polemik Andrea Nahles äussert sich auf abgeordnetenwatch.de zu Cannabis

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Geben Sie es ruhig zu, ohne die Überschrift würden Sie diese Zeilen jetzt vielleicht gar nicht lesen. Ich bekenne dafür im Gegenzug meine Absicht, Sie und möglichst viele andere dazu zu bringen. Clickbaiting mag schändlich sein, und das mindeste was ich Ihnen nun schulde, ist eine schnelle Auflösung ohne weitere Umschweife. Also bitte: Cannabis ist nach aktuellem Wissenstand zur Wiedererweckung Toter sowie zur Tötung Lebender vollkommen ungeeignet!

Hätte ich aber meine Absicht, die Positionierung der Sozialdemokratischen Partei Deutschland in der Cannabisfrage anhand einiger Ereignisse der vergangenen Tage einer Analyse zu unterziehen, in die Headline gepackt, nun ja, hätten Sie das gelesen? Auch habe ich Sie nicht völlig in die Irre geführt, schließlich handelt der Text durchaus von einer Schein-, Halb- oder vielleicht Ganz-Toten, das kommt ein wenig auf den Standpunkt an. Ganz egal, ob Sie in dieser Sache nun einen medizinischen oder doch eher pathologischen Standpunkt vertreten, spontane Zuckungen rechtfertigen in jedem Fall eine genauere Untersuchung, mag die Chance auf Reanimation oder gar Auferstehung noch so gering sein. Und überhaupt, wo Sie schon so weit gekommen sind, können Sie genauso gut einfach weiter lesen….

Brauchen wir das noch oder kann das weg?

Nichts mag in Zeiten wie diesen billiger erscheinen als SPD- bzw. Andrea-Nahles-bashing. Um Letzteres kümmert sich ein veritabler Kanzler i.R. ja nun auch persönlich. Warum also nicht einfach ganz damit aufhören? Pietätvoll wäre es allemal - sowie der eigenen Laune sicher zuträglich. Jahrzehntelang einer einst bedeutenden Partei beim politischen, strukturellen und nicht zuletzt moralischen Sterben zu zusehen, sich eingestehen zu müssen, daß ihr „Geschäftsmodel“ augenscheinlich der verlässliche Verrat ist, macht etwas mit einem selbst, und in der Regel ist das nichts Gutes. Also neigt man dazu, einer leicht abgewandelten indianischen Weisheit “wenn Du merkst, daß Du ein totes Pferd prügelst, lass es einfach sein“ zu folgen - aber genau das könnte ein Fehler sein. Nach wie vor Bestandteil der Regierungskoalition, auch wenn natürlich spekuliert werden darf wie lange noch, ist diese SPD nun mal der natürliche Ansprechpartner für alles, was im Weltbild der Unionsparteien nicht so recht mit den Realitäten unserer Zeit harmonieren möchte. Auch wenn jeder Mensch seine inhaltlichen Schwerpunkte hier ganz verschieden setzen mag, der Erkenntnis, daß Verblichene, mögen sie auch übel riechen, trotzdem noch politisch wechselwirken, sollten wir uns nicht verschließen.

Fragen Sie Frau Andrea!

Am 17.01. hat Andrea Nahles durch die Beantwortung einer an sie gerichteten Frage auf abgeordnetenwatch.de für einige Aufmerksamkeit, zumindest in Kreisen der Befürworter einer zivilisierten oder gar kultivierten Drogenpolitik, gesorgt. Der schlichten Frage von Klaus Dieter, wie denn die Meinung der Partei zur Cannabislegalisierung sei - die Frage wurde um 9.14 Uhr gestellt, folgte binnen 4 Stunden und 41 Minuten, also um 13.55 Uhr eine durchaus in Inhalt und Umfang bemerkenswerte Positionierung (https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/andrea-nahles/question/2019-01-17/309055 ), deren Inhalt im Folgenden als bekannt vorausgesetzt wird. Noch viel bemerkenswerter allerdings ist, was sich in den folgenden Tagen an gleicher Stelle ereignen oder eben nicht ereignen sollte. Doch zuvor etwas Statistik - das Portal bietet auf jedem Politikerprofil Informationen[1] über die Anzahl gestellter Fragen sowie der Antwortquote und -zeit an. Und so stellen wir mit einem Blick fest, Frau Nahles war stets fleißig! Sage und schreibe 329 von 345 gestellten Fragen, das sind 95%, hat sie beantwortet. Die durchschnittliche Antwortzeit betrug dabei 18 Tage. Vergleichen wir nun die Zeit, welche sie im Mittel für eine Antwort benötigt, mit der für die Antwort an Klaus Dieter, ist die Differenz erstaunlich. Das könnte natürlich reiner Zufall sein - ein abgesagtes Meeting und schon bleibt Zeit, einige Bürgerfragen zu beantworten. Dagegen spricht jedoch die Antwort selbst. Bei ihr handelt es sich um einen zwar kurzen, aber formal und inhaltlich erkennbar genau abgewogenen und, dies ist zugegebenermaßen spekulativ, wohl auch mit Dritten abgestimmten Text. Hieraus sollte nun aber keinesfalls geschlossen werden, daß die SPD-Vorsitzende und/oder wesentliche Funktionäre der Partei plötzlich ihren Kompass für Gerechtigkeit, Freiheitsrechte oder gar den Respekt für diejenigen, welche zu vertreten sie vorgeben, wiedergefunden hätten. Dagegen sprechen, neben von Lebenserfahrung geprägter Logik und dem bereits oben erwähnten Umstand, daß es sich bei der SPD nicht erst seit gestern um eine politische Leiche handelt, vor allem ein auffälliges Nicht-reagieren auf weitere, seit dem 17.01. auf demselben Weg an die Parteivorsitzende gestellte Fragen. Auch hier ein wenig Statistik - wir erinnern uns, nur 5% aller Fragen an Andrea Nahles wurden bisher nicht von ihr beantwortet, und - welch Wunder - es handelt sich bei derer 8 von insgesamt 16 um Fragen zum Thema Cannabis, alle zwischen dem 17.01. und 14.02. gestellt, vernünftig, konkret und höflich formuliert, aber bisher nicht beantwortet. Satte 50%! Also schauen wir doch noch ein wenig genauer hin! Es könnte ja schließlich sein, daß die Vorsitzende auch noch anderes zu tun hat, als Fragen zu beantworten - könnte ja immerhin sein. Aber nein, zwischen dem 17.01. und dem 14.02. sind etliche Fragen zu recht unterschiedlichen Themen von ihr beantwortet worden, immerhin drei auch zum Thema Cannabis. „Cannabis als Medizin“ hatte eine davon zum Gegenstand, die Antwort war recht allgemein, um nicht zu sagen uninspiriert, eine Weitere, die eklatanten Ungerechtigkeiten im Verkehrsrecht betreffend, wurde gar in typisch Nahles´schem Stil, man ist geneigt zu sagen, abgebügelt https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/andrea-nahles/question/2019-02-04/309671 - nun ja, wenigstens hat sie nicht „Bätschi…“ geschrieben. Die Dritte wiederum bezieht sich auf die Zweite und Frau Nahles Antwort ist an Kaltschnäuzigkeit kaum noch zu übertreffen. https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/andrea-nahles/question/2019-02-12/310104

Tot oder Lebendig?

Das war, Sie haben es sich gewiss schon gedacht, schon wieder so eine Clickbait-Nummer, aber ich konnte der Versuchung einfach nicht wiederstehen. Biologen und Mediziner hätten es hier vergleichsweise einfach, steht ihnen doch ein akzeptierter Katalog an Kriterien für Leben bzw. lebendig sein zur Verfügung. Bewegt es sich? Hat es Stoffwechsel? Reagiert es auf Umweltreize? Lässt oder lassen sich eines oder gar mehrere Gehirne finden und falls ja, sind diese aktiv? Die Versuchung, nun die SPD auf diese Kriterien hin zu prüfen und - insbesondere hinsichtlich Letztgenanntem - genauer zu analysieren, ist groß, führt aber weg von der eigentlichen Fragestellung. Im Grunde ist es, wie so oft im richtigen Leben, recht simpel. Solange Oma tagsüber am Fenster sitzt, auf die Grüße der Vorbeigehenden mit einem Kopfnicken oder auch mal mit einem Handzeichen reagiert, stellt keiner Fragen, die Rente kommt, der Laden läuft. Die Tante bedient am Tage die Kopf- und Handmechanik und Onkelchen schminkt nächtens die Leichenflecke weg. Sie wären überrascht, wie lange so etwas gut gehen kann, wenn nur dieser Geruch nicht wäre….

Cannabis das neue Raumspray?

Vielleicht war es die Idee eines hochbezahlten Beraters oder irgendjemandem ist nach langer Zeit doch noch aufgefallen, daß - egal wie virtuos man Omi hinterm Fenster Grimassen schneiden lässt - deutlich weniger Menschen zurückgrüßen. Und da sich seit geraumer Zeit die Mehrheit der Passanten, kaum um die Ecke gebogen, eiligst die Nase zuhält, lag die Idee einer olfaktorischen Korrektur, irgendwie man ist geneigt zu sagen, in der Luft. Gemunkelt wird auch, das Ganze sei Onkelchens Idee gewesen. Der hat nämlich während seines Nachtdienstes viel Zeit zum Nachdenken und nascht, wie es heißt, auch gern mal an der Einbalsamierungsflüssigkeit. Wie dem auch sei, ein Erklärungsmodel für die kurzfristige Blockade des ansonsten so überaus verlässlichen cannabisinduzierten Abwehrreflexes unserer Damen und Herren SPD-Funktionäre dürfte nun gefunden sein, bleibt die Frage was sich daraus noch entwickeln könnte.

Good Trips, bad Trips oder nur ein Flashback?

Der gute Trip: Nehmen wir an, Onkel und Tante bitten nun Neffe Kevin & Friends, die eine oder andere Party im Vorgarten zu schmeißen. Motto, jede/r darf kommen, Dresscode: Rastaperücke. Die Geruchs-belastung im Viertel sinkt kurzfristig ( sagen die Einen ) oder erhöht sich ( sagen die Anderen ). Eine Dissonanz, aus der sich mit gewisser Wahrscheinlichkeit alsdann der üble Trip entwickelt: Eine spontan erstandene christlich- alternativsoziale- demokratische Bürgerwehr stürmt unter frenetischen “denkt denn niemand an die Kinder“-Rufen das gesamte Viertel und tötet eine unbekannte Anzahl Anwohner und Partygäste. Selbstverständlich in Notwehr, was auch die KSK-Soldaten bezeugen, welche - wie es heißt auf Grund von „Gefahr im Verzug“ - zur Absicherung des spontanen Volkszornes gebeten wurden. Das macht den guten alten Flashback, welcher in einem Artikel über Cannabis sowieso einfach nicht fehlen darf, doch irgendwie richtig attraktiv. Denn, werte Leser, mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit wird keines von beiden Szenarien auch nur ansatzweise eintreten. Das Gefühl, dies alles schon mehrfach erlebt zu haben, wird uns überwältigen und nichts, rein gar nichts, wird sich, veranlasst durch die SPD, in Sachen Cannabis bewegen.

Epilog

Wir schreiben den 9.11.2059. Die Nachrichten überschlagen sich, seit Stunden schon jagt in den Fraktionsräumen eine Krisensitzung die Nächste, Reden werden ent- und wieder verworfen. Endlich, gegen 14 Uhr wird das Fenster geöffnet und das Urgestein der Partei, Kevin K., den alle nur den kleinen Onkel nennen, verkündet mit zittriger Stimme: “das Alte und Morsche, die Prohibition, ist zusammen gebrochen, es lebe das Neue, es lebe die Deutsche Republik“. Seine Worte verhallen, denn der Platz vor dem Reichstag ist menschenleer.

[1] Die vom Portal abgeordnetenwatch.de auf den jeweiligen Profilseiten bereitgestellten statistischen Informationen werden anscheinend nicht regelmäßig aktualisiert. Stand heute 14.02. weist das Profil von Andrea Nahles die im Artikel erwähnten Kennzahlen auf.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Erich der Seiler

geboren im 20. Jahrhundert, geprägt von Menschen des 19., sozialdemokratisch sozialisiert und daher seit längerem politisch heimatlos.

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