Terror damals und heute

Justiz & Posse Sonja Suder und Christian Gauger tauchten vor 35 Jahren in Frankreich unter. Nun sind sie wegen angeblicher Beteiligung an Anschlägen der RZ vor Gericht.

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Die Beweisführung der Staatanwaltschaft ist haarsträubend und basiert weitestgehend auf Erkenntnissen die einem unter Drogen stehenden Schwerstverletzten durch Abschottung und unter Missachtung menschenrechtlicher, ethischer Mindeststandards in den Mund gelegt wurden:

Am 23. Juni 1978 explodiert ein Sprengsatz auf dem Schoß von Herman F. Er wollte ihn beim Konsulat des Folterlandes Argentinien deponieren.

„Hermann F. ist nicht auf der Stelle tot. Er überlebt den schrecklichen Unfall. Aber er ist blind danach und seine beiden Beine werden bis ins obere Drittel amputiert. Sein Körper ist von Brandwunden bedeckt. Unmittelbar danach mussten ihm beide Augen entfernt werden. Ein Schock von kaum vorstellbarer Dimension zeichnete im Übrigen seinen Zustand aus.“

In der Nacht nach seinen schweren Operationen wurden ihm vier Ampullen des starken Schmerzmittels Dipidolor gespritzt. Dipidolor ist ein morphinhaltiges Schmerzmittel, das nur bei besonders starken Schmerzen verordnet wird [...]

Noch drei Tage nach der vorzeitigen Explosion und Operation erklärt das Landeskriminlamt (LKA) Stuttgart, Herrmann F. befinde sich in “Lebensgefahr”, am selben Tag erklärt der behandelnde Arzt den Eltern dasselbe.

Zu diesem Zeitpunkt - schon seit dem Tag nach den Operationen - wird Hermann aber bereits von Polizeibeamten „befragt“ und diese „Befragung“ wird protokolliert. Verhört wird er nicht, dazu hätte es einen Haftbefehl geben müssen.

Ein, dem Staatsschutz willfähriger, Arzt hatte Herman – ohne jede zeitliche Begrenzung – für „vernehmungsfähig“ erklärt.

Eine humanistische Glanzleistung die nur von den vernehmenden deutschen Beamten übertroffen wurde.

„Um dabei ungestört zu sein, ergriffen die Staatsschützer von ihrem wehrlosen Objekt Besitz; sie schotteten F. systematisch von der Außenwelt ab, ließen keinen Besuch zu und versuchten mit allen Mitteln zu verhindern, dass er sich einen Anwalt seines Vertrauens nahm.“

Passiert ist das nicht etwa in Argentinien oder in Guantanamo, sondern in Deutschland.

„Insgesamt war Hermann F. viereinhalb Monate in dieser Lage der absoluten Hilflosigkeit, der Schmerzen, der eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit, der säuglingshaften Abhängigkeit, ferngehalten von allen Freunden, ferngehalten von jedem Anwalt seiner Wahl. Während die “Vernehmungen” munter liefen. Eingeleitet von einem Staatsanwalt…… den Hermann F. für einen Rechtsanwalt hielt – und dies alles unter der rechtsstaatlich superben Bedingung, dass zu keiner Zeit ein Haftbefehl gegen ihn verkündet worden war.“

Als Hermann F., trotz der Bemühungen der ihn „umsorgenden“ bis zu 6 verbeamteten „Betreuer", wieder dazu in der Lage war seine Sinne zu gebrauchen widerrief er alle ihm zugeschriebenen Äußerungen:

“Diese Aussagen stammen aus einer Situation kurz nach der Operation. Ich kann mich weder daran erinnern, noch kann ich sagen, dass sie so, wie sie mir dann später berichtet wurden, dass sie so der Wahrheit voll entsprechen. Ich hätte diese Aussagen jedenfalls nie gemacht, wenn ich einen klaren Kopf gehabt hätte.” (Aus einer Tonbandkassette).

Insgesamt sind damals 1.300 Seiten „Protokolle“ entstanden, die sollen nun als Beweismittel dienen. In dem Prozess gegen Sonja Suder (79) und Christan Gauger (71). Begonnen hat der am 21. September 2012 vor dem Landgericht in Frankfurt am Main. Fortgesetzt wird er morgen, am Dienstag, 9. 4.2013.

„Beiden wird vorgeworfen, vor 35 Jahren an Anschlägen der Revolutionären Zellen (RZ) beteiligt gewesen zu sein. Sonja Suder soll darüber hinaus logistische Unterstützung bei dem Überfall auf die OPEC-Konferenz im Jahre 1975 geleistet haben. Sie wurden seit 1978 von der Polizei gesucht, im Jahr 2000 in Frankreich verhaftet und nach elf Jahren auf der Grundlage eines europäischen Haftbefehls an die Bundesrepublik ausgeliefert. Seit September 2011 sitzt Sonja Suder in Untersuchungshaft, Christian Gauger ist wegen einer schweren Erkrankung von der Haft verschont.“

Außer den, wie beschrieben absolut rechtsstaatlich gesammelten „Beweismitteln“ gibt es dann nur noch die, Sonja Suder belastenden, Aussagen des Kronzeugen Hans-Joachim Klein. Der einen Teil seines Lebensweges gemeinsam mit einem ehemaligen deutschen Außenminister verbrachte. Klein und Fischer brachen, nahezu zeitgleich, ihre Ausbildungen ab.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/terror-vor-25-jahren-was-verbindet-joschka-fischer-mit-hans-joachim-klein-a-112471.html

Klein hatte sich zwar, trotz Schusswaffenbebrauchs bei der Opec-Konferenz in Wien, einen erheblichen strafrechtlichen Rabatt verschafft, doch leider hatte das Landgericht Frankfurt die Aussagen Kleins zum Thema in einem anderen Verfahren bereits abqualifiziert. Auf sie sei „keine tragfähige Feststellung“ zu stützen.

Ob dem Gericht die Würdigung von Beweisen gelingt, denen eine unübersehbare Würdelosigkeit inne wohnt, bleibt abzuwarten.

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http://www.verdammtlangquer.org/category/presseerklaerungen/

“Das wirkliche Verbrechen beginnt immer erst mit der Gerichtsverhandlung.”

Karl Kraus

Der Fleiß deutscher Strafverfolger ist keineswegs ein Blinder

fahrwax

Ich stimme mit der Mathematik nicht überein. Ich meine, dass die Summe von Nullen eine gefährliche Zahl ist.

Stanislaw Jerzy Lec

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/ausgeliefert-ins-vierte-leben

Umfassend informieren unter

http://www.verdammtlangquer.org/2012/09/prozesstermine-und-infos-zu-kontrollen/

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Geschrieben von

fahrwax

Lieber auf dem Wagen, als unter den Rädern.... Bekennender, autonomer Pferdeknecht

fahrwax

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