Kalkulierter Sieg der Reformer

Linkspartei Für die radikaleren Linken hätte es bei der Aufstellung der Europawahl-Liste kaum schlimmer kommen können. Die Parteirechte hat nur minimale Zugeständnisse gemacht
Ausgabe 08/2014

Tobias Pflüger ist der große Verlierer des Linken-Parteitags in Hamburg. Er gehört zum linken Flügel, wollte auf Listenplatz zwei ins Europaparlament, wurde aber von der Mehrheit der Delegierten abgewatscht. Für den Platz vier kandidierte er noch einmal und musste wieder eine Schlappe hinnehmen. Dann gab er auf.

Sein Schicksal zeigt beispielhaft: Für die Parteilinke hätte es in Hamburg kaum schlimmer kommen können. Zwar war von taz bis Welt zu lesen, die Parteirechte habe sich doch gar nicht auf ganzer Linie durchgesetzt. Dafür wurde bei den Listenplätzen einfach Ost gegen West aufgerechnet und übersehen, dass auch im Westen einige Reformer aktiv sind. In Wirklichkeit hat die Parteirechte knallhart kalkuliert und nur so viele Zugeständnisse gemacht, dass die Linken nicht massenhaft austreten.

Ominöser Zettel

Der beste Beweis ist ein ominöser Zettel, der in Hamburg verteilt wurde – angeblich an Delegierte aus dem Osten – und von der West-Linken Sevim Dağdelen auf Twitter veröffentlicht wurde. Auf ihm ist die relativ ausgeglichene Wunschliste des Bundesausschusses zu lesen und daneben ein „Alternativvorschlag“ der Reformer. Das Ergebnis: Die neun aussichtsreichen Plätze wurden so besetzt, wie es sich die Reformer gewünscht haben. Es gibt nur eine Ausnahme: Der NRW-Linke Fabio De Masi schaffte es auf Platz sechs. Hätte man ihn auch noch abserviert, hätte das wohl einen Eklat verursacht.

Schon Wochen vor dem Parteitag war absehbar, dass es in Hamburg heftige Flügelkämpfe geben würde. Sieben Jahre nach dem Zusammenschluss von PDS und WASG wurde die Extra-Unterstützung für die West-Landesverbände beendet. Bisher hatten sie mehr Stimmen als ihnen aufgrund der Mitgliederzahlen zustünden. Damit sollte verhindert werden, dass ihre Delegierten dauernd überstimmt werden. Doch der „Aufbau West“ ist gescheitert, die Mitgliederzahlen sind dort nach wie vor im Keller. Jetzt haben die Ost-Verbände das Sagen und mit ihnen die Reformer.

Das Dilemma der Pazifisten

Nun werden die Verhältnisse zementiert. Eine Volkspartei im Osten wird immer größer sein als eine Protestpartei im Westen. Und eine Volkspartei wird immer eher Reformer anziehen, eine Protestpartei eher Radikalere. Für die Listenaufstellungen galt bislang ein ausgeklügelter Proporz, bei dem alle zum Zuge kamen: Männer und Frauen, Ostdeutsche und Westdeutsche, Rechte und Linke. In Hamburg wurde das System nun über Bord geworfen.

Dabei ist in der EU-Politik nicht mal eine Regierungsbeteiligung in Aussicht, die sonst immer als Begründung herhalten muss für eine sozialdemokratisierte Politik der Linkspartei. Dass die Reformer trotzdem ihre eigenen Kandidaten durchgedrückt haben, zeigt, dass es ihnen nicht um Strategie, sondern schlicht um die eigene Überzeugung geht.

Dabei könnte sich die Wahl taktisch als falsch erweisen, denn mit dem Rechtsschwenk wird nicht nur die Parteilinke vergrault, sondern auch bestimmte Wählermilieus. Tobias Pflüger beispielsweise kommt aus der Friedensbewegung, er ist dort verankert, steht für eine antimilitaristische Politik. Nur: Überzeugte Pazifisten haben bei der Europawahl gar keine Alternative zur Linkspartei. Sie sind zu wenige, um eine eigene Partei zu gründen und sind deshalb auf die Linke angewiesen – und die Partei weiß das. Pech für Tobias Pflüger.

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