Linke Gentrifizierer

Mietpreise Die Berliner Szene diskutiert die Frage: Darf ich als gut verdienender Antikapitalist ins angesagte Viertel ziehen - oder vertreibe ich so die Alteingesessenen?
Ausgabe 41/2013

Während vor einer Woche deutschlandweit mehr als zehntausend Menschen für bezahlbare Mieten auf die Straße gingen, diskutierte die Berliner linke Szene eine „ethisch fragwürdige Entscheidung“. Darf ich als relativ gut verdienender Antikapitalist in den angesagten Stadtteil Neukölln ziehen oder vertreibe ich dort die Alteingesessenen und mache mich damit mitschuldig an der Gentrifizierung?

Die Frage aufgeworfen hatte Don, der sich nur unter diesem Pseudonym traute, eine Nachricht über einen für alle offenen, großen linken Mailverteiler zu schreiben. Don verdient nach eigenen Angaben rund 100.000 Euro im Jahr und will sich in der Hauptstadt politisch engagieren statt „mit bornierten Grünen und schnöseligen Yuppies im Nobelghetto zu leben“. Aber wie ist das mit der Mitschuld an der Mietpreiserhöhung? Keine leichte Frage, Don suchte ernst gemeinte Ratschläge.

"Wir finden dich"

Lange ließen die ausfallenden Bemerkungen nicht auf sich warten, eine Diskussionsteilnehmerin schrieb etwa: „Tu mir einen Gefallen und zieh einfach in eine Gegend, in der (...) die Luxussanierungen abgeschlossen sind und du dich dann nicht irgendwann doch über stinkende Hartzer oder nicht integrierte Migranten ärgern musst.“ Eine andere drohte sogar: „Mach einen großen Bogen um unseren Kiez, wir kennen dich, und wir finden dich“.

Die meisten Antworten waren jedoch kritisch-konstruktiv. Einige Vorschläge: mit Menschen zusammenziehen, die sonst keine bezahlbare Wohnung finden, und die Miete nach Einkommen aufteilen; politische Gruppen gegen Gentrifizierung unterstützen; bei der Wohnungssuche ein paar Regeln beachten: keine Luxuswohnung nehmen, aber auch keine supergünstige, die für Hartz-IV-Empfänger bezahlbar ist.

Die Schuld der Politiker

Oder ist das alles egal? „In Neukölln leben 300.000 Menschen. Das Risiko, dass durch dich das Mietniveau ins Unermessliche steigt, ist also tendenziell überschaubar“, gibt einer zu bedenken. „Möchte man gegen Gentrifizierung vorgehen, kann man für Zwangsräumungen verantwortlichen Vermietern ans Bein pissen oder Vermieter von Ferienwohnungen in die Suppe spucken.“

Gibt es also gute und schlechte Gentrifizierer? Mag sein, dass es da Unterschiede gibt. Sicher ist aber auch, dass sich Mietervertreibung nur politisch stoppen lässt. Wenn es zu wenige Sozialwohnungen gibt, ist das weder die Schuld von linken Gutverdienern noch von gierigen Miethaien. Es ist die Schuld von Politikern. Und von Linken, die sich lieber selbst beschimpfen als politischen Druck zu machen.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Geschrieben von

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden