Mut zur Hürde

Europawahl Die Piraten klagen gegen die Drei-Prozent-Klausel. Dabei können sie von ihr profitieren: Taktisch kluge Wähler geben ihre Stimme nämlich jetzt den Piraten
Ausgabe 02/2014

Nun hat die Piratenpartei also ihr Programm für den Europawahlkampf beschlossen. Aber ob sie beim Votum Ende Mai erfolgreich sein wird und in das EU-Parlament einzieht, hängt wohl eher von der Drei-Prozent-Hürde ab. Dagegen klagen die Piraten und andere Parteien derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht. Der Witz an der Geschichte: Die Partei könnte von diesem Quorum profitieren.

Sollte die Klausel Bestand haben, gäbe es schließlich einen Grund mehr, die Piraten zu wählen: Man sollte sie über das Drei-Prozent-Limit bringen. Nach den 2,2 Prozent bei der Bundestagswahl ist der Einzug ins Europaparlament nämlich unsicher.

Überproportionaler Gewinn

Ein Kreuz für die Piraten empfiehlt sich dieses Mal für alle Wähler, die mit ihnen vielleicht nicht ganz auf einer Linie sind, aber dennoch mit ihrer Programmatik sympathisieren. Und das Stimmenreservoir, aus dem die Partei schöpfen kann, ist beachtlich, das hat der Höhenflug bei einigen Landtagswahlen im Jahr 2012 erkennen lassen.

Warum ist es taktisch klug, die Piraten zu wählen? Normalerweise kann eine Stimme dafür sorgen, dass die gewählte Partei mit einer Person mehr im Parlament vertreten ist. Die Stimme für die Piraten kann wegen der Prozent-Hürde jedoch gleich drei Abgeordnete gleichzeitig ins Parlament befördern. Es winkt also ein überproportionaler Gewinn, die Stimme hat ein größeres Gewicht.

Unberechtigte Angst vorm Scheitern

Natürlich laufen Bürger Gefahr, ihre Stimme zu verschenken, wenn die Partei letztlich doch an der Drei-Prozent-Marke scheitert. Das Risiko, mit der Stimme keinen Einfluss auf die Sitzverteilung im Parlament zu haben, ist aber nicht wesentlich höher als bei anderen Parteien.

Das liegt daran, dass die Piraten eine zuverlässige Stammwählerschaft haben, die unabhängig von strategischen Überlegungen ihr Kreuz bei der Partei macht. Um über die Hürde zu kommen, wird daher vielleicht ein halbes Prozent an Wechselwählern benötigt. Und weil es bei der Europawahl für jeden Prozentpunkt ungefähr einen Sitz gibt, brauchen auch die anderen Parteien im Durchschnit ein halbes Prozent, um über die Schwelle für einen zusätzlichen Sitz zu bekommen. Wohlgemerkt: für einen einzigen Sitz.

Wie kann es sein, dass die Stimme für die Piraten unter dem Strich mehr Gewicht hat als eine für Grüne oder Linkspartei? Das liegt daran, dass so verhindert wird, dass die Stimmen der Piraten-Stammwählerschaft nichts wert sind.

Übrigens: Die schwedischen Piraten im EU-Parlament haben sich dort der Grünen-Fraktion angeschlossen. Warum also nicht mal den Piraten eine Leihstimme geben? Zumal ein Großteil der Grünen-Wählerschaft sehr piraten-affin ist, wie Analysen zur Wählerwanderung zeigen.

Klage im Interesse der Piraten

Trotz alledem ist es richtig, dass die Piraten gegen die Hürde klagen. Zum einen tun sie das aus politischer Überzeugung, denn die Klausel hält die kleinen Parteien klein und verhindert einen fairen Wettbewerb.

Zum anderen aber auch aus Eigennutz. Denn die paar gewonnen Stimmen der taktischen Wähler sind nur wenig wert, verglichen mit dem Verlust, wenn sie den Einzug ins Parlament ganz zu verpassen. Die zusätzlichen Stimmen bescheren den Piraten im besten Fall einen dritten Sitz – ohne Hürde bekämen sie wahrscheinlich zwei. Viel wichtiger ist aber der erste Sitz, also die Präsenz im Parlament, um von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Und dieser erste Sitz wackelt, solange die Drei-Prozent-Klausel gilt, und der zweite Sitz auch noch.

Also: Wegen der Hürde bitte Piraten wählen, liebe Bürger! Aber trotzdem gegen die Hürde klagen, liebe Piraten! Das ist zwar verrückt – aber nicht weniger verrückt als die Sperrklausel für das Europaparlament.

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