Unfaire Europawahl

Wahlrecht Nach der Abschaffung der Drei-Prozent-Hürde jubelten nicht nur die Piraten. Dabei kann das Wahlsystem erst gerecht werden, wenn es europaweite Listen gibt

Was hatten sich die Piraten gefreut, als das Bundesverfassungsgericht vor wenigen Wochen die deutsche Drei-Prozent-Hürde zur Europawahl für unzulässig erklärte. Endlich landen Hunderttausende Wählerstimmen nicht mehr im Müll! Endlich haben alle Parteien die gleichen Chancen! Am Freitag wurde die europäische Piratenpartei gegründet, jetzt kann der Wahlkampf beginnen. Doch die Euphorie wird schnell verfliegen.

Die Piraten werden am europäischen Wahlsystem verzweifeln, solange es keine europaweiten Listen gibt und jedes Land seine eigenen Abgeordneten nach Brüssel schickt. Dieses nationenfixierte Wahlrecht muss geändert werden, denn es benachteiligt kleine Parteien wie die Piraten und widerspricht der europäischen Idee. Zudem gibt es gute Alternativen.

Auf Kosten der Kleinen

Natürlich gibt es bei europaweiten Listen die Gefahr, dass künftig manche Regionen gar nicht mehr im Europaparlament vertreten sind. Das ließe sich aber leicht vermeiden, indem man einen Teil der Plätze für die gewählten Vertreter der Mitgliedstaaten reserviert. Es wäre dann ähnlich wie bei der Bundestagswahl: Auch dort bekommen zunächst die Direktkandidaten ihren Sitz, anschließend werden die Reihen so aufgefüllt, dass sich am Ende das deutschlandweite Ergebnis im Parlament spiegelt.

Das jetzige EU-Wahlrecht geht auf Kosten der kleinen Parteien. In vielen Mitgliedsstaaten bleiben die Hürden bestehen. Manchmal ganz offiziell als Drei-, Vier- oder Fünf-Prozent-Klausel; manchmal ist das aber auch der schnöden Tatsache geschuldet, dass ein Land zu klein ist. Luxemburg beispielsweise schickt nur sechs Abgeordnete nach Brüssel. Es ist klar, dass eine Fünf-Prozent-Partei da keine Chance hat.

Die Stimmen für die Piraten werden daher in vielen Ländern überhaupt keinen Einfluss haben. Würden sie jedoch europaweit zusammengezählt, würde das reichen, um den Piraten einige Sitze im Parlament zu verschaffen. Man kann es auch so erklären: Je größer das Land, desto kleiner die Hürde. Und das größte Land ist ganz Europa.

Ohne Rücksicht auf nationale Interessen

Die Wahl über europaweite Listen hätte weitere Vorteile: Zum einen säßen weniger verschiedene Parteien in Brüssel, das beugt einer „Zersplitterung“ des Parlaments vor, die von den Hürden-Befürwortern so gerne als Argument vorgebracht wird. Zum andern würde das die europäische Idee stärken. So lange die Abgeordneten über eine Liste ihrer nationalen Partei ins Parlament gelangen, werden sie Rücksicht auf nationale Interessen nehmen. Meist werden die Konflikte nur innerhalb der Fraktion ausgetragen. Manchmal stimmen die Abgeordneten aber auch ganz offen gegen ihre eigene Fraktion.

Als es beispielsweise im vergangenen Jahr um die Reparatur des Emissionshandels ging, orientierten sich einige CDU-Abgeordnete an der Meinung der Bundesregierung und stimmten dafür – entgegen der Empfehlung ihrer konservativen EVP-Fraktion. Besonders krass war es vor rund acht Jahren: Über die Richtlinie zur Liberalisierung von Dienstleistungen gab es massiven Streit zwischen west- und osteuropäischen Konservativen.

Sind einheitliche Wahllisten für ganz Europa bloß eine Utopie ohne Chance auf Verwirklichung? Nein. Nicht nur kleine Parteien wie die Piraten haben daran ein Eigeninteresse, sondern auch alle anderen Abgeordneten. Denn echte europäische Wahlen würden auch die Akzeptanz und Legitimität des Europaparlaments erhöhen. Und das ist viel wert.

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