Die merkwürdige Arbeit der Bürgerinitiativen

Duisburg Hochfeld und Rheinhausen haben mit Einwanderungswellen zu kämpfen. Weil die Stadt nicht handelt, übernehmen Anwohner die Arbeit. Zweifel an ihrer Motivation tauchen auf.

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http://farm9.staticflickr.com/8394/8616266360_94a252efde.jpg Medien zeichnen Duisburg als unregierbare, im Chaos aus Kriminalität, Bandenkriegen, Prostitution und Schwarzarbeit versinkende Stadt mit handlungsunfähiger und/oder handlungsunwilliger politischer Führung. Ich lebe in diesem Duisburg. Ich bin 40-50 Medienberichte von Mitte 2011 bis Ende März 2013 durchgegangen, habe diese verglichen und mir vor allem die Quellen und Interviewpartner der Journalisten angesehen. Denn Journalisten beziehen ihre Informationen gerne von Bürgerinitiativen. Schließlich vertreten sie die Interessen der Bürger des Stadttteils. Ich habe, soweit es mir aus öffentlichen Quellen möglich war oder durch meine eigene Erfahrung als Duisburger, mehr über diese Bürgerinitiativen recherchiert und nach personellen Beziehungen gesucht. Doch der Kontext und die Beziehungen sind weitläufig. Um annähernd dahinter zu steigen brauche ich viele Worte. Und ich bin mir sicher, dass am Ende dieses Artikel noch nicht alles gesagt ist, ich noch nicht alles herausgefunden habe. Im folgenden starte ich den Versuch die Medienberichte, die Rolle der Bürgerinitiativen, ihre Vertreter und meine eigenen Erfahrungen miteinander zu verbinden. Um überhaupt irgendeine Form der Übersicht zu bewahren halte mich dabei an die Chronologie der Geschehnisse in Duisburg und der medialen Berichterstattung.

Vorab sei noch erwähnt, dass Duisburg wie alle Ruhrgebietsstädte einen harten Strukturwandel zum Teil gestalten, zum Teil über sich ergehen lassen muss. Natürlich birgt so ein Strukturwandel Spannungen und Konflikte in der städtischen Bevölkerung, gerade dann wenn es um Arbeitsplätze geht. Sicherlich bietet so ein umfassender Wandel der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch Möglichkeiten und Anziehungspunkte für kriminelle Millieus.

Die Vorgeschichte und das Jahr 2011

Schlagzeilen macht Duisburg seit 2011 vor allem mit den Stadtteilen Marxloh und Hochfeld, später mit dem Stadtteil Rheinhausen. Ich kenne alle diese Stadtteile, durch Hochfeld gehe und fahre ich wöchentlich. Marxloh liegt allerdings im Norden der Stadt und damit weit weg vom den südwestlich gelegenen Stadtteile Hochfeld und Rheinhausen. Diese beiden Stadtteile werden durch den Rhein getrennt. Die berühmte „Brücke der Solidarität“ spannt sich genau zwischen diesen beiden Stadtteilen. Der Ortsteil Bergheim ist im Norden von Rheinhausen gelegen und damit 5 Kilometer von Hochfelds Kern entfernt. Diese Konstellation ist für das Verständnis der nachfolgenden Geschichte von Bedeutung.

Schon seit 1998 gibt es einen „Runden Tisch für Hochfeld“, eine Gemeinschaft interessierter Bürger und Vereine aus dem Stadtteil, die angetreten ist die Lebensqualität in Hochfeld zu verbessern. Des Weiteren gibt es seit 2001 es in Hochfeld eine Bürgerinitiative die sich „ESG.Zukunftsstadtteil e.V.“ nennt und sich in erster Linie für die Sanierung der Häuser Hochfelds und für ein gepflegtes Stadtbild einsetzt, so suggeriert es die Homepage. ESG bedeutet Eigentümerstandortgemeinschaft. Der Verein ist also eine Interessenvertretung der Hausbesitzer Hochfelds. Vorsitzender ist Dr. Michael Willhardt, weitere Vorstandsmitglieder sind Heiner Augustin und Eva-Christine Albrecht. Diese Namen werden im weiteren Verlauf an Bedeutung gewinnen. Wie viele Mitglieder der Verein hat lässt sich nicht herausfinden. Aber es gibt noch einen zweiten Verein der Hausbesitzer Hochfeld: Den „Klüngelklub“. Vositzender sind nach meinen Recherchen Thomas Rensing und Franz Beuels. Genau verifizieren lässt sich das nicht, denn auf der Vereins-Homepage ist kein Vorstand genannt. Weitere Mitglieder des „Klüngelklub“ sind laut „Zeit“ ein Jochen Rex-Albrecht und seine Frau Eva-Christine Albrecht. Und Laut Impressum ist ein gewisser Michael Willhardt für die Homepage verantwortlich. Willhardt betreibt mit einem Kollegen eine Kommunikationsagentur mit Standort in Hochfeld in einem schmucken, schick sanierten Haus in der Eigenstraße. Kerngeschäft der Agentur: „Œffentlichkeitsarbeit“. Offensichtlich hat Willhardt aber Soziologie studiert und dort auch seinen Doktortitel erworben. Als Soziologe arbeitet er aber nicht. Auch das wird später noch von Bedeutung sein.

Im Januar 2011 wenden sich engagierte Bürger des „Runden Tischs für Hochfeld“ an den Rat der Stadt sowie an Duisburger Abgeordnete in Land, Bund und Euopaparlament. Unterzeichner dieses Briefs waren u.a. Dr. Michael Willhardt (als Mitglied des Vereins „Zukunftsstadteil"), Heiner Augustin sowie Anke Lisner-Kolling und ihr Mann Michael Kolling als auch ein Vertreter der AWO. In diesem Brief heißt es: „[...] die aktuelle starke Zuwanderung aus Südosteuropa erfordert ein abgestimmtes Handeln der städtischen Ämter und Institutionen und auch privater sozialer Einrichtungen.“

Ein halbes Jahr später versendet die Initiative „Zukunftsstadtteil“ im Namen von Willhardt, Augustin und Albrecht (Eva-Ch.) nun am 21.07.2011 einen offenen Brief an den Dezernenten für Kultur, Bildung und Familie und außerdem zuständig für Belange der Migration in Duisburg, Karl Janssen (CDU). Überschrift: „Notruf aus Hochfeld“. Das Anliegen: „In unserem Stadtteil Hochfeld verschlechtern sich die Wohnumfeldbedingungen auf Grund der europäischen Gesetzgebung in einem Ausmaß und Tempo, das nicht mehr zu vertreten ist.“ Der Appell: „Wir möchten in diesem offenen Brief insbesondere gegen den Zuzug von Bulgaren protestieren und die Politik auffordern, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die damit einhergehende Verwahrlosung der Zivilgesellschaft aber auch des geltenden Rechts zu unterbinden. […] Doch das Maß ist voll, übervoll: Schlechte Vermieter überbelegen Wohnraum in einer unzumutbaren Weise, Tagelöhnerei, Prostitution und Schwarzarbeit nehmen ein Ausmaß an, dass im Verhältnis zur Einwohnerzahl des Stadtteils nicht mehr hinnehmbar ist. Wilde Müllkippen tauchen an allen Enden des Stadtteils auf, weit schneller, als wir protestieren können.“ Das Angebot: „Gewissermaßen sind wir die letzten Fürsprecher aus dem Stadtteil und die letzten Ansprechpartner in den [sic!] Stadtteil, mit denen eine Kooperation möglich ist. Mit dem Wegzug der letzten gebildeten Menschen aus Problemstadtteilen werden Einflussnahmen immer schwieriger. In diesem Sinne bieten wir weiterhin und solange wir können unsere Mitarbeit in den Gremien als Scouts mit intimen Kenntnissen der Verhältnisse vorort [sic!] an.“ Eine wahrlich dringende Bitte um Hilfe und Kooperation von einer Initiative der Hausbesitzer, die im Brief suggeriert die Bürger eines Stadtteils zu vertreten. Vielmehr liegt aber der Verdacht nahe, dass sich eine Gruppe von Hausbesitzern Sorgen um den Wert ihrer Häuser macht, die sie selbst bewohnen und vermieten.

Über den Brief berichtete zwei Tage später die „Westfahlenpost“, die zur WAZ-Mediengruppe gehört und auch deren Internetauftritt „derWesten.de“ füttert. Am 26.07.2011 berichtet „derWesten.de“ dann erstmals über den Arbeiter-Strich in Hochfeld, über Männer wahrscheinlich größtenteils osteuropäischer Herkunft auf der Suche nach Schwarzarbeit auf dem Bau an der Straßenecke Siechenhausstraße, Heerstraße, Wanheimerstraße. Zu Wort kommt dort auch Karl-August Schwarthans von der AWO Duisburg-Hochfeld.

Am 1.8.2011 veröffentlicht der „Runde Tisch für Hochfeld“ einen weiteren Brief. Es wird der letzte dieser Gemeinschaft sein. In diesem Brief wenden sich seine Verfasser an den Brief der Initiative „Zukunftsstadtteil“, die im Namen von Willhardt den letzten Brief des "Runden Tischs" vom Januar 2011 noch unterstützte. Doch das Blatt hat sich gewendet: „Deshalb erklären wir in aller Deutlichkeit, dass dieser offene Brief in keinerlei Beziehung zu den Aktivitäten des Runden Tisches für Hochfeld steht. Er ist allein vom Verein Zukunftsstadtteil verfasst und versendet worden.“ Unterzeichnet ist dieser Brief nur noch von den „Sprechern“ Yusuf Uca, Anke Lisner-Kolling und Andrea Demming-Rosenberg, einer ehemaligen SPD-Abgeordneten im Duisburger Stadtrat.

Durch den offenen Brief der Initiative „Zukunftsstadtteil“ ist nun mit der Zeitung „Die Welt“ erstmals eine überregionale Zeitung auf die Problematik im Duisburger Ex-Arbeiterviertel Hochfeld aufmerksam geworden. Sie berichtet am 29.08.2011. Überschrift und Abstract: „Wie Duisburg Sinti und Roma integrieren will - Knapp 4000 Bulgaren und Rumänen sind in den vergangenen Monaten nach Duisburg gekommen. Anwohner protestieren, die Stadt setzt auf Integration.“ Berichtet wird unter anderem über Matrazenplätze, die für horrende Summen an Migranten in heruntergekommenen Häusern Hochfeld vermietet würden. Zu Wort kommen im Artikel der Dezernent Karl Janssen – und Michael Willhardt als Vorsitzender der Initiative „Zukunftsstadtteil“ und Hochfelder Immobilienbesitzer. Am 06.09.2011 publiziert der Recherche-Blog der WAZ einen weiteren Artikel zum Hochfelder Problem, über Matrazenplätze und lässt Michael Willhardt zu Wort kommen. Allerdings als Mitglied des „Klüngelklubs“ und nicht als Mitglied von „Zukunftsstadtteil“. Die Initiative(n) um Michael Willhardt schaffen es wenige Wochen später eine Bürgerdiskussion mit Politikern auf die Beine zu stellen. Ort der Diskussion ist die Pauluskirche in Duisburg-Hochfeld. Der Pfarrer dort heißt Heiner Augustin – seines Zeichens Schatzmeister der Initiative „Zukunftsstadtteil“.

Das Jahr 2012

Zu Beginn des Jahres 2012 erscheinen weitere Artikel in den WAZ-Medien zum Thema Integration, zur vergangenen Bürgerdiskussion, die soziale Lage im Stadtteil und sein Erscheinungsbild.

Am 04.07. und 26.07.2012 berichtet „derWesten.de“ erstmals über problematische Verhältnisse und Klagen von Bürgern im Rheinhausener Ortsteil Bergheim. Ein Hochhaus mit der Adresse „In den Peschen“ 3-5 sei zum „Elendsquartier in Bergheim“ verkommen und es gäbe „ähnliche Probleme wie in Hochfeld“, insbesondere mit Müll, Lärm, Kriminalität und „Kindswohlgefährdung“. Am 28.08.2012 senden Bürger aus Rheinhausen-Bergheim einen Brief an Oberbürgermeister Sören Link (SPD), genau ein Jahr nach dem Brief von Willhardt aus Hochfeld an Dezernent Janssen. Der Brief ist im Internet zugänglich und schwer lesbar. Nicht der Schrift wegen sondern des Inhalts: Zuwanderungsstopp, Umsiedlung der Migranten, Verbot der Vermietung an südosteuropäische Zuwanderer für das Haus „In den Peschen“. Zugleich fürchten sich die Autoren vor rechten Populisten und einem zweiten Rostock-Lichtenhagen. Unterstützer des Briefs sind 330 Bürger Bergheims, namentlich Hans-Wilhelm Halle und seine Frau Helga Halle.

Bisher ist über Probleme mit zwielichtigen Vermietern abgeranzter Häuser in Hochfeld und starken Zuwanderungsbewgungen nach Duisburg-Hochfeld berichtet worden. Der Brief der Eheleute Halle richtet den Blick nun nach Bergheim, wie gesagt 5 Kilometer von Hochfeld entfernt.

Am 10.09.2012 berichtet die „Rheinische Post“ und am 12.09. auch „derWesten.de“ über den Brief sowie über die Lage in Bergheim und die politischen Tätigkeiten bezüglich dieses angeprangerten Problems. Die Berichte sind weitgehend sachlich und ruhig.

Ende September kommt ein alter bekannter wiedermal auf „derWesten.de“ zu Wort: Michael Willhardt. In Hochfeld komme man mit der Bewältigung der im Brief von vor einem Jahr angesprochenen Probleme nicht weiter. Wohlgemerkt in Hochfeld, nicht in Bergheim.

Zwei Stadtteile, zwei Problemlagen

Denn nun ist der Punkt gekommen, dass genau darauf geachtet werden muss wer hier von welchem Stadtteil spricht. Ich kenne Hochfeld und ich weiß wie es in den Adressen „In den Peschen“ und „Berguinenstraße“ in Rheinhausen-Bergheim aussieht. Beide Situationen sind eindeutig von einander zu differenzieren. In Bergheim prangern Bewohner die Zustände zweier schräg gegenüber liegender Häuser an in denen sich zu diesem Zeitpunkt mehrheitlich südosteuropäische Migranten eingemietet haben. Die Vermieter sind namentlich bekannt: Ein Herr Barisik und eine Frau Wessel, die in Barisik's Auftrag handeln soll. Beide lassen ihre Immobilien vergammeln. Die Wohnungen, das sieht jeder der vor diesen beiden Häusern steht, sind heruntergekommen und dringend sanierungsbedürftig. Die verlangten Preise für diese Wohnungen stehen in keinem Verhältnis zu ihrem Zustand. Sie sind viel zu teuer. Um diese beiden Häuser herum stehen völlig normale, langweilige Häuschen mit Opel Astra vor der Tür. Die Straßen sind ruhig. Das Viertel ist reine Wohngegend.

Hochfeld ist anders. In Hochfeld gibt es Einzelhandel, Dönerbuden, Frisöre, schicke Häuschen (wem die wohl gehören) und heruntergekommene Häuser, viel Leerstand, Obdachlose, dunkle Kneipen, helle Kneipen, Restaurants, und ja, es gibt Müll auf den Straßen. Den gibt’s auch in Duisburg-Neudorf, Marxloh und Hamborn. Hochfeld ist als gesamter Stadtteil von Leerstand, dem Niedergang des Einzelhandel, Schwarzarbeit und der Integration von Einwanderern in die alteingesessene Gesellschaft betroffen – mit all seinen Konflikten und sichtbaren Folgen. In Hochfeld geht es nicht um zwei Häuser.

Zurück zum Brief der Eheleute Halle aus Bergheim und zur Wortmeldung Willhardts in Bezug auf die Untätigkeit der Stadt in Hochfeld.

Mit dem Artikel von Ende September 2012 in der WAZ meldet sich Willhardt also zurück auf die Bühne im Theater um Hochfelds Probleme. Und er klopft gleich die nächsten Sprüche: „Es ist nur die Frage, wie lange es dauert, bis Hochfeld ein rechtsfreier Raum ist.“ Es ist übrigens der erste Artikel in dem der Leser darauf aufmerksam gemacht wird, dass sich Willhardt in beiden (!) Hausbesitzer-Vereinen Hochfelds engagiert. Öffentlichkeitsarbeit ist ja nunmal Willhardts Job. Und so schafft er es Ende September wieder auf der ganz großen medialen Bühne vertreten zu sein. Wiedermal kommt eine Zeitung aus Hamburg zu Besuch. „Die Welt“ titelt am 30.09.2012: „Roma in Duisburg – Angekommen im Abseits: 5000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien leben in Duisburg. Viele sind Roma. Sie haben wenige Perspektiven und das führt zu Problemen. In einigen Stadtteilen droht die Situation zu eskalieren.“ Autor ist Stefan Laurin, wie auch schon beim „Welt“-Artikel vom 29.08.2011. Willhardts Worte fliegen wiedereinmal deutschlandweit hinaus. Aber auch Karl-August Schwarthans von der AWO wird zitiert.

Wenige tage darauf berichtet „derWesten.de“ weiter über den Verlauf der Situation. Der Briefschreiber Hans-Wilhelm Halle protestiert mit anderen Bürgern aus Bergheim wie auch aus Meiderich (im Norden von Duisburg südlich von Marxloh) vor dem Rathaus in Duisburg-Mitte. Mit dabei ist auch Sabine Keßler aus Meiderich. Denn auch in Meiderich sind nun zwei Häuser von südosteuropäischen Einwanderern bewohnt und „haben natürlich unser Straßenbild und das gesamte Leben und unsere Wohnsituation dermaßen zum Wanken gebracht, dass das Leben dort nicht mehr sehr angenehm, ruhig oder schön ist“, wie Keßler später in einer Sendung des ZDF sagen wird.

Die Medienmaschine ist in Gang

Von nun an werden die Abstände medialer Berichterstattung immer kürzer und auch immer chaotischer. Da werden Bilder aus Bergheim vom „Problem-Haus“ - eine unglaublich eloquente Wortschöpfung der WAZ, die es bald in alle Medien schaffen wird – gezeigt und über Hochfeld berichtet oder anders herum. Manchmal wird noch Marxloh hinzugenommen, manchmal Meiderich. Die Situation sei ja überall ähnlich.

So berichtet das ZDF am 22.10.2012 in „Drehscheibe Deutschland“ über einen Arbeiter-Strich in Duisburg-Hocheide, einem Ortsteil im Stadtteil Homberg, nördlich von Bergheim und weit weg von Hochfeld. Am 04.11.2013 kommt die größtmögliche Prominenz aus Hamburg nach Bergheim und Hochfeld. Spiegel-TV berichtet über die Zustände der beiden Stadtteile. Was das Spiegel-Team sauber herausarbeitet ist die Kriminalität, die vom „Problem-Haus“ mit der Adresse „In den Peschen“ und der Wanheimerstraße in Hochfeld ausgehe. Es kommt viel Polizei und einige aufgeregte Bürger zu Wort.

Als nächstes berichtet die „Zeit“ am 8.11.2012 über die Lage in Hochfeld. Die üblichen Probleme werden beleuchtet und die üblichen Verdächtigen interviewt: Diesmal das Ehepaar Albrecht als Mitglieder des Hausbesitzer-Vereins „Klüngelklub“ sowie der allgegenwärtige Dezernent Karl Janssen. Am 13.11. berichtet erstmals auch die „taz“ aus Berlin über die Situation der Einwanderer in Duisburg. Sie interviewt keine „Klüngelklubs“ oder ähnliches sondern befasst sich mit der prekären Lage der Einwanderer (in großen Teilen Sinti und Roma) in Duisburg. Am 6.12. ist dann wieder Spiegel-Online am Start und macht da weiter wo Spiegel-TV aufgehört hat: Bei der Berichterstattung über ausufernde Kriminalität. Symptomatisch ist der Satz: „Immer wieder soll es bereits zu Auseinandersetzungen der Roma mit den Bewohnern des Viertels gekommen sein, sogar von regelrechten Jagdszenen ist in internen Papieren der Polizei die Rede.“ Damit schließt Berichterstattung des Jahres 2012 über scheinbar apokalyptisch anmutende Zustände in Duisburg.

Das Jahr 2013

Im neuen Jahr 2013 erkennt der „Deutsche Städtetag“ die Problematik von der übrigens auch Städte wie Berlin oder Dortmund betroffen sind. Nur scheint es nirgendwo schlimmer zu sein als in Duisburg. Das Gremium verabschiedetet ein „Positionspapier zu den Fragen der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien“. Gefundenes Fressen für Journalisten, die an das neue Jahr gleich anknüpfen können. Ein Shitstorm ungekannten Ausmaßes bricht 2013 über Duisburg herein. Ja, tatsächlich ungekannten Ausmaßes, auch wenn das jetzt nur noch schwer vorstellbar ist.

Das ZDF berichtet am 19.02.2013 im „Heute-Journal“ über die Armutsmigration und die Situation in Hochfeld und bringt dafür sogar den Innenminister Friedrich für ein Interview in Stellung, der sich prompt für eine Abschiebung ausspricht. Am 24. und 25.02.2013 nimmt die „Welt“ den Faden nach Duisburg wieder auf. „Mit dem Zuzug der Roma prallen Welten aufeinander“, heißt es im Titel. Zu Wort kommen – wer hätte das gedacht – die Eheleute Halle und ihr Brief vom Sommer 2012 und: Heiner Augustin. Vom Schatzmeister der Initiative „Zukunftsstadtteil“ war auch lange nichts mehr zu hören. Aber es hat sich was getan bei ihm. Er ist nicht mehr Pfarrer in Hochfeld sondern nun Pfarrer in der Friedenskirchengemeinde Rheinhausen. Und was macht er dort? Einen „Runden Tisch“ zusammentrommeln um über Rheinhausens Problem mit der Integration von Einwanderern und allem was dazu gehört zu sprechen. Mit „Runden Tischen“ und Bürgerdiskussionen kennt der Geistliche sich ja aus. Schließlich hat er in Hochfeld ja jahrelang Erfahrung sammeln können. Mehr zu seinem Wechesl schreibt die RP. In der Initiative „Zukunftsstadtteil“ ist er als Rheinhausener aber immer noch. Die kümmert sich zwar um Hausbesitzerbelange in Hochfeld und nicht um Immigranten in Rheinhausen-Bergheim, aber das spielt wohl keine Rolle. Die „Welt“ nennt ihn im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in Hochfeld nicht.

Aber von einem Herrn stand in der Presse schon lange nichts mehr: Michael Willhardt. Vielleicht dachte er sich das auch in diesen Februartagen 2013. Die Halle's kommen zu Wort und sein Schatzmeister von der Initiative „Zukunftsstadtteil“ sowie die Kollegen vom anderen Verein „Klüngelklub“, die Albrechts, nur er nicht. Da musste wohl ein altbewährtes Mittel herangezogen werden. Und die rechtspopulistischen Äußerungen von Herrn Friedrich im ZDF boten sich geradezu an. So schrieb Dr. Michael Willhardt einen Brief an den Innenminister. Natürlich einen offenen Brief. Am 26.02.2013 wurde er ins Internet gestellt. Einen Tag nach dem Bericht der „Welt“.

Die Inszenierung des Dr. Michael Willhardt

Der Kommunikationsagent Willhardt hat es wieder geschafft. Der Brief (und/oder andere Einflussmöglichkeiten) bringen Willhardt in die ganz große Show: Die ARD und der WDR laden ihn ein. Am 26.02. ist er zu Gast bei „Menschen bei Maischberger“. Aber dort stellt er sich nicht nur als Bürger Hochfelds und Teil einer Initiative vor, nein, er nutzt seinen Doktortitel geschickt und inszeniert sich grandios als Soziologe, als Doktor Michael Willhardt, als Experte, der auch noch aus einem Stadtteil kommt, der von sozialen Problemen geplagt scheint. Eine perfekte Kombination.

Nur einen Tag später lädt ihn auch noch Radio WDR3 zum Interview ein und begeht den gleichen Fehler. Auch der WDR stellt ihn nicht als PR-Arbeiter vor, sondern als Bürger und Soziologen. Dass er überhaupt nicht als Wissenschaftler tätig ist sondern auch noch eine eigene Kommunikationsagentur leitet wird dem Hörer nicht im Ansatz erzählt. Und so schwadroniert Willhardt in knapp über 7 Minuten als Pseudo-Wissenschaftler im WDR3 über die soziale Lage in Hochfeld und sein Engagement, wie er es schon bei Maischberger tat. Am gleichen Tag berichtet die „Bild“-Zeitung von der „Maischberger“-Show und zitiert ebenfalls Willhardt. Am 28.02. berichtet auch die RP über diesen und über einen weiteren Auftritt Willhardts im Sat1.-Frühstücksfernsehen, den ich leider nicht im Internet finden konnte.

Die Medienereignisse überschlagen sich. Maybrit Illner talkt am selben Abend des 28.02. über Armutsmigration. Da darf eine Stimme aus Duisburg nicht fehlen. Eingeladen ist aber nicht Willhardt sondern eine Sabine Keßler aus Duisburg-Meiderich, die in eben dieser Show diesen denkwürdigen Satz fallen lässt: „In zwei Häusern in unserer Straße sind Rumänen eingezogen, bzw. Romas und haben natürlich unser Straßenbild und das gesamte Leben und unsere Wohnsituation dermaßen zum Wanken gebracht, dass das Leben dort nicht mehr sehr angenehm, ruhig oder schön ist.“ Auch über diesen Talk berichtet selbstverständlich die „Bild“-Zeitung am 01.03. unter der Überschrift: „Krasser Hilferuf aus Duisburg“. Auch die RP rezensiert die Show. Aber die Zeitung weißt am selben Abend auch auf ein anderes Format hin: Ein Duisburger hat sich nämlich in diesem Jahr noch gar nicht zu Wort gemeldet und muss stattdessen zusehen wie die großen Rundfunkanstalten Menschen als Wissenschaftler inszenieren und Bürger sich als deutsche Opfer der EU-Ost-Erweiterung präsentieren: Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD). Er ist am 01.03. nun auch mal eingeladen. Bei „stern TV“. Immerhin. Darüber wird allerdings im Nachhinein so gut wie gar nicht berichtet.

Stattdessen dürfen Leute wie Michael Willhardt und Sabine Keßler, die übrigens auch eine Bürgerinitiative gegründet hat, gebetsmühlenartig klarstellen, dass sie keinesfalls rechtes Gedankengut vertreten. Dass „Romas natürlich unser […] Leben […] zum Wanken gebracht haben“ steht mit rechtem Gedankengut auch selbstverständlich nicht im Zusammenhang. Willhardt gibt sich bei „Maischberger“ sogar als Altlinker und eben als Soziologe. Ob es nicht vielleicht doch rechte Tendenzen in diesen Aussagen gibt, damit beschäftigen sich nur zwei Zeitungen: Die „taz“ vom 03.03.2013 und die Studentenzeitung der Universität Duisburg-Essen „akduell“ bereits am 21.11.2012.

Der März 2013

Mitte März 2013, nach all dem was schon berichtet wurde, widmet sich nun Prominenz aus Frankfurt dem Duisburger „Problem-Haus“ in Rheinhausen-Bergheim. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet: „Das bessere Leben im Problem-Hochhaus“. Einen Tag später passiert was alle Einwohner und Politiker in Duisburg befürchten mussten und auch befürchtet haben: Rechtsextreme protestieren vor dem Haus „In den Peschen“. Es gibt eine viel größere Gegenkundgebung ebenfalls an diesem Haus und einen Großeinsatz der Polizei. Die Rechten gehen in der Menge unter.

Am 14.03.2013 schafft es ein Name wiedereinmal in die Medien: Michael Willhardt wird von der „Zeit“ interviewt. Ansonsten ist der „Zeit“-Artikel allerdings ausgewogen und lesenswert. Er basiert hauptsächlich auf dem Sachstandsbericht der Stadt Duisburg, die entgegen aller Proteste der Bürger hinter den Rathauskulissen an Lösungen und Konzepten arbeitet. Der Sachstandsbericht ist eine erste Evaluation dieser Lösungsansätze, die der Rat der Stadt Duisburg bereits am 30.05.2011 verabschiedete und seit der Umsetzung begriffen sind.

Am 16.03.2013 gibt es eine Reaktion, auf die ich schon lange gewartet habe: Bürger Hochfelds stellen sich gegen ihren selbsternannten, in den Medien der Republik allgegenwärtigen Dr. Michael Willhardt, den Immobilienbesitzer der schon im September 2012 Hochfeld zum „rechtsfreien Raum“ verwahrlosen sah. Die Bürger Hochfelds greifen dabei zu Willhardts Mittel der Wahl: Dem offenen Brief. Publiziert wurde er auf einer Duisburger Nachrichtseite wie auch auf der Homepage der „Antifaschistischen Aktion Duisburg“. Die Verfasser stellen unter anderem treffend fest: „Und nun passt es Ihnen [gemeint ist Willhardt] nicht in den Kram, dass Ihr Wunsch nach Gentrifizierung durch die neue Zuwanderung in weite Ferne rückt.“ Denn als Immobilienbesitzer hat er großes Interesse an einer Wertsteigerung nicht nur der Häuser sondern vor allem der Wohngegend. Und die ist in Hochfeld aktuell tatsächlich ungünstig um aus Immobilien Geld zu machen.

Die Motivation der Bürgerinitiativen

Michael Willhardt - ein gewiefter Kommunikationsagent, der seine Interessen als Immobilienbesitzer und die Interessen seiner beiden Vereine geschickt in den Medien artikuliert? Sind auch seine Vereins-Kollegen Heiner Augustin und Eva-Christine Albrecht sowie ihr Mann Jochen Rex-Albrecht in erster Linie an ihren Häusern interessiert statt an bürgerlicher Interessenvertretung und integrativer Problemlösung? Sind die Bürgerinitiativen nur Schein? Welche Rolle spielen die Namen Anke Lisner-Kolling und ihr Mann Michael Kolling, deren Homepage auf den „Klüngelklub“ verweist? Welchen Konflikt gab es 2011 zwischen dem „Runden Tisch für Hochfeld“ und der Initiative „Zukunftsstadtteil“? Wollten Willhardt und seine Mitstreiter mit ihren Vereinen den „Runden Tisch“ ins Abseits drängen, gar auflösen? Welche Rolle spielt der „Klüngelklub“? Macht dieser Verein sich gerade aller Ehren wert? Ist Klüngel hier Programm? Warum gibt es keine Angabe über Mitglieder der Vereine? Warum fällt diese Beziehung keinem Journalisten auf? Warum wird nicht hinterfragt, wen ein Michael Willhardt, ein Heiner Augustin oder eine Sabine Keßler eigentlich vertritt? Sind das vielleicht ehr Einzelinteressen statt breiter Meinung so wie es der Brief der Hochfelder nahe legt? Tarnen Immobilienbesitzer ihre Interessenartikuation als Bürgerinitiativen? Wem helfen die etlichen Initiativen eigentlich noch?

Sat.1 berichtete am 18.03. über die Lage im „Problem-Haus“ bis dpa-Redakteur Rolf Schraa schließlich einen Artikel in mindestens (mir bekannten) sechs zum Teil überregionalen Medien unterbringen konnte und die negativ-Berichterstattung quantitativ zum Höhepunkt führte. Auch qualitativ ist dieser dpa-Artikel von überschaubaren Wert. Die WAZ schuf mit der Wortschöpfung „Problem-Haus“ ein Symbol für die Lage in Duisburg. Schraa macht ähnliches. Er setzt das Wort „Wutbürger“ als zusammenfassenden Begriff für die protestierenden Bewohner der betroffenen Stadtteile Rheinhausen, Hochfeld und Marxloh in die Welt. Willhardt ein Wutbürger? Das ist ungefähr so wie: Willhardt, der Soziologe.

Ich habe diesen Artikel beendet, da meldet „derWesten.de“ gleich folgende Nachricht bei der die Überschrift nicht mehr verblüfft: „Auch Duisburg hat Probleme mit immer mehr Armutszuwanderern.“ Weitere werden folgen. Ob jemals über das personelle Geflecht von Hausbesitzern und angeblichen Bürgerinitiativen in Hochfeld berichtet wird?

Der Autor twittert aus Duisburg unter @youth_reporter

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Felix

Politikwissenschaftler. Tischtennisspieler.

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