Es braucht eine gemeinsame europäische Vision

Im Gespräch Vergangenen Donnerstag fanden in Brüssel Proteste gegen die Politik der EU statt. Andrej Hunko, Bundestagsabgeordneter der Linken, nahm an der Demonstration teil

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wir sprachen mit ihm über die Proteste gegen die Troika, Widerstand in Südeuropa und die Perspektiven der Selbstorganisierung.

Die Freiheitsliebe: Wie hast du die Demo in Brüssel wahrgenommen?

Andrej Hunko: Ich bin von Aachen aus gemeinsam mit vier anderen einem IG-BCE-Bus nach Brüssel gefahren und war bei der Demo von Anfang an dabei. Das Wetter war relativ schlecht, trotzdem waren ca 15.000 Menschen bei der Demonstration, überwiegend belgische GewerkschafterInnen. Die Beteiligung über dieses Spektrum war sehr klein, trotzdem war die Demonstration sehr lautstark. Leider war die Demonstration sehr fragmentiert, ein Phänomen, das mir in Belgien schon häufiger aufgefallen ist. Man demonstriert zwar gemeinsam, aber es findet keine gemeinsame Abschlusskundgebung statt. Trotzdem war es ein sehr wichtiges Signal gegen die Austeritätspolitik der EU-Eliten.

Es gab einen kleinen internationalen Block von ca 200 TeilnehmerInnen, die auch für die Blockupy Protesttage in Frankfurt geworben haben. In dem Block hatten wir auch einen kleinen linken Block, in dem neben mir und anderen GenossInnen noch drei weitere Abgeordnete aus dem Bundestag waren, Christine Buchholz, Nicole Gohlke und Sabine Leidig, sowie der EuropaabgeordneteSøren Søndergaard.

Wir hatten Schilder in drei Sprachen (französisch, englisch und deutsch) auf denen stand „Feuert die Troika, nicht die Menschen“, damit konnten wir eine gewisse Aufmerksamkeit erzielen. Insgesamt war die Demonstration ein wichtiges Signal, in die Geschichte wird sie aber nicht eingehen.

Die Freiheitsliebe: Welche Hoffnungen hast du denn für die Zukunft der Proteste in den verschiedenen Ländern, auch mit Bezug auf Deutschland?

Andrej Hunko: Ich glaube schon, dass es sehr wichtig ist, dass es transnationale Proteste gibt. Die Blockupy-Tage in Frankfurt werden ein ganz wichtiger Orientierungspunkt, ich glaube aber nicht, dass dahin die große Masse kommen wird, die wird eher in ihren Ländern protestieren. Ich habe auch gesehen, dass an dem Tag als wir in Brüssel protestiert haben, in Spanien große Demonstrationen stattfanden. Insbesondere in den Ländern, die von dem Krisenregime besonders betroffen sind, werden wir dieses Jahr sehr große Proteste erleben.

Die Hoffnung geht eigentlich von den Protesten in diesen Ländern aus. Besonders interessant ist die Entwicklung gegenwärtig in Portugal, dort gibt es seit einigen Monaten eine riesige Bewegung „Zum Teufel mit der Troika“, die vor wenigen Wochen 1,5 Millionen Menschen auf die Straße bringen konnte. Die Bewegung dort stellt sich mit dem Revolutionslied „ Grandola vila morena“ ganz bewusst in die Tradition der Nelkenrevolution von 1974. Es wird sehr spannend sein, wie sich das am diesjährigen Revolutionstag, dem 25. April, ausdrückt. In Portugal, Spanien und Griechenland ist die Widerstandsbewegung gegen das europäische Krisenregime gegenwärtig am ausgeprägtesten. Nicht umsonst hat Jean Claude Junker im Vorfeld des EU-Gipfels von der „Gefahr“ einer sozialen Revolution gesprochen, dies hat sicher mit den Entwicklungen in verschiedenen südeuropäischen Ländern, insbesondere Portugal zu tun.

Die Freiheitsliebe: Welche Perspektiven siehst du für die Demonstrationen, siehst du wirklich die Chance für einen revolutionären Umschwung?

Andrej Hunko: Das ist wirklich eine schwierige Frage, da es ab einem bestimmten Punkt nicht mehr reicht nur gegen Privatisierungen und Sparmaßnahmen auf die Straße zu gehen, sondern auch eine gemeinsame europäische Vision für die Gesellschaft zu entwickeln. Die Debatten sind leider noch nicht so fortgeschritten. Meiner Meinung bräuchte es viel mehr transnationale Diskussionen wie man ein anderes Europa schaffen kann, es wäre sehr wichtig, dass solche gemeinsamen Konzepte entwickelt und diskutiert werden.

Die Freiheitsliebe: In Griechenland gibt es die ersten Betriebe, die von ArbeiterInnen geleitet werden, gibt es solche Entwicklungen auch in anderen Ländern?

Andrej Hunko: In Griechenland gibt es einige Betriebe die selbstverwaltet werden, ich weiß aber nicht inwieweit dort eine gesamtgesellschaftliche Perspektive entsteht. Ich würde mir diese Betriebe, die ich natürlich unterstütze, aber gerne in den nächsten Wochen mal anschauen. In anderen Ländern gibt es auch Selbstorganisierungsprozesse, diese sind aber nicht so weit entwickelt wie in Griechenland.

Der Schritt der Selbstorganisierung ist natürlich sehr gut, aber man bräuchte noch ökonomische gesamtgesellschaftliche Konzepte über die Betriebe hinaus.

Die Freiheitsliebe: Setzen sich in den Ländern, die von der Troikapolitik betroffen sind, die linken Parteien mit der Bewegung auseinander?

Andrej Hunko: Die Situation ist in den Ländern verschieden. In Griechenland fordert die SYRIZA, die nach aktuellen Umfragen stärkste Partei ist, vor allem ein Ende der Memoranden und eine ganz andere Krisenpolitik. In Griechenland ist das momentan die Kernfrage, inwieweit sie die Selbstorganisierung ins Auge nehmen, kann ich von hier nicht beurteilen. Meiner Meinung nach ist es aber auch die Kernaufgabe einer linken Partei sich der aktuellen Krisenpolitik zu verweigern und Widerstand zu leisten. Wir sehen das aktuell auch in Zypern, wo in wenigen Wochen ein vergleichbares Memorandum verabschiedet werden dürfte, in dem auch wieder Austeritätspolitik und Privatisierung vorhanden sein wird. Ähnliches wie für Griechenland gilt auch für die Izquierda Unida in Spanien und den „Bloco de Esquerda“ in Portugal, bei denen ich aber den Eindruck habe, dass sie nicht ganz so stark in der Bewegung verankert sind wie SYRIZA.

Die Freiheitsliebe: Was können wir in Deutschland tun um die Bewegungen zu unterstützen?

Andrej Hunko: Ganz wichtig ist es, dass man erst einmal die Öffentlichkeit herstellt. Gerade in Griechenland stehen wir vor einer humanitären Katastrophe. Das müssen wir deutlich machen und zeigen wie das im Zusammenhang steht mit den Auflagen, die besonders von der deutschen Regierung durchgesetzt worden sind. Bei Zypern war es so, dass die deutschen Medien von „Schwarzgeldkonten“ geredet haben um eine gewisse Stimmung zu erzeugen. Ich habe die deutsche Bundesregierung danach gefragt und diese hat tatsächlich gar keine Informationen über solche Konten. Das war eine Nebelwerferkampagne um andere Interessen dort durchzusetzen. Über diese Aspekte muss die Linke informieren.

Ich denke aber auch, dass konkrete Unterstützung geleistet werden muss, mir fällt da das Beispiel eines griechischen Kriegsdienstverweigerers ein, der aus politischer Motivation vor Gericht gestellt wird, was auch nach griechischem Recht nicht möglich ist. Ich habe griechischen Ministern Briefe geschrieben und Solidaritätsschreiben unterschrieben.

Darüber hinaus muss man auch eine direkte Unterstützung der selbstverwalteten Betriebe leisten. Die Hauptaufgabe muss aber weiterhin sein, die Propaganda der Bundesregierung zu durchkreuzen,, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen und entsprechend Druck auf die eigene Regierung aufzubauen.

Die Freiheitsliebe: Wir danken dir für das Interview.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden