Bericht von Amnesty International

Libyen. Die brutalen Methoden der libyschen Küstenwache / Misshandlungen von Emigranten in den Flüchtlingslagern

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Tausende Flüchtlinge werden von der in Misrata stationierten libyschen Küstenwache abgefangen und in Gefangenenlager, sogenannte ‚Haftzentren‘, in Libyen gebracht. Diese Lager stehen offiziell unter der Aufsicht der ‚Abteilung für die Bekämpfung illegaler Migration‘, die zum libyschen Innenministerium gehört. In Wahrheit werden aber viele Lager von bewaffneten Milizen kontrolliert, auf die die ‚Abu-Sita-Einheitsregierung‘ keinen Einfluss hat. Laut der UN-Flüchtlingskommission gibt es momentan 24 solcher Lager, die über das ganze Land verteilt sind. Das libysche Recht kriminalisiert die illegale Einreise, den Aufenthalt in Libyen und die Ausreise aus dem Land und erlaubt die Internierung von Personen ausländischer Nationalität zum Zwecke der Ausweisung.[1] Die Internierten müssen oft monatelang in den Lagern ausharren, ohne Kontakt zu ihren Familien, zu Anwälten oder Richtern aufnehmen zu können.

AI hat in Süditalien angekommene Flüchtlinge über die Situation in Libyen befragt. Hier einige Aussagen[2]:

- „Sie [die Küstenwache] ließen alle aussteigen und schlugen sie mit Plastikschläuchen. Dann schossen sie einem Mann in den Fuß – er war der letzte, der von Bord ging und sie fragten ihn, wer gesteuert hätte. Als er sagte, das wüsste er nicht, sagten sie, ‚das heißt, du hast gesteuert‘ und sie schossen auf ihn.“

- „Einer der Männer von der libyschen Küstenwache kam auf unser Boot, um es zurück nach Libyen zu steuern. Auf halben Weg fiel der Motor aus. Der Mann war frustriert und ging auf sein eigenes Boot zurück. Ich hörte ihn sagen: ‚Wenn ihr sterbt, sterbt ihr eben‘. Er fuhr mit seinem Boot davon und überließ uns unserem Schicksal.“

- „Wenn wir sagen, dass wir Hunger haben, werden wir geschlagen… wir mussten uns auf den Bauch legen und zwei schlugen uns mit einem Schlauch… Ich sah einen Mann aus dem Tschad, sie erschossen ihn vor meinen Augen, ohne Grund. Sie brachten ihn ins Krankenhaus aber er starb im Gefängnis, nachdem sie ihn zurückgebracht hatten. Sie behaupteten, er wäre bei einem Autounfall gestorben.“

- „Die Wärter schlugen uns dreimal am Tag mit Elektrokabeln, die dreimal gefaltet waren, damit es mehr schmerzte.“
Die Inhaftierten mussten bei Hitze und Kälte im Freien schlafen und auf dem nassen Boden, den die Wärter vorher mit Wasser besprüht hätten.

- „Sie schlugen uns die ganze Zeit, jeden Tag… einmal brachen sie mir mit den Schlägen den Arm. Sie brachten mich ins Krankenhaus, aber dort wurde ich nicht behandelt. Sie benutzten Stöcke, ihre Gewehre und manchmal gab es Elektroschocks.“
„Alles ist besser als diese Hölle dort.“

- Ein Äthiopier beschreibt, wie er regelmäßig geschlagen, in einen Käfig gesperrt, angebunden und mit heißem Wasser verbrüht wurde. Auch seine Frau berichtet, dass sie und die anderen Frauen regelmäßig verprügelt wurden. Sie sollten für ihre Freilassung bezahlen.

- Beklagt wird, dass in den Lagern nicht ausreichend Nahrungsmittel und Wasser vorhanden sind und die medizinische Versorgung äußerst mangelhaft ist. Die schlechten hygienischen Verhältnisse führen oft zu Hautkrankheiten.
Viele Gefangene werden ausgebeutet und zu unbezahlter Arbeit gezwungen: „Ich wurde wie ein Sklave behandelt… Sie gaben mir Wasser mit Benzin zu trinken. Oder sie streuten Salz hinein. Nur um mich zu bestrafen. Sie gaben mir ein Telefon, damit ich meine Familie anrufen und um Geld für meine Freilassung bitten konnte. Ich habe keine Familie. Mein Vater und meine Mutter sind tot. Ich konnte niemanden anrufen. Deshalb schlugen sie mich und gaben mir kein Essen mehr.“

- „Sie hassen Christen. Wenn du Christ bist, möge Gott dich beschützen, dass sie es nicht merken. Wenn sie ein Kreuz oder eine religiöse Tätowierung sehen, schlagen sie dich noch viel mehr.“

- „Sie schlugen mich, nahmen mein Geld und warfen meine Bibel und das Kreuz, das ich um den Hals trug, weg… Zuerst suchten sie in den Taschen nach Geld, dann peitschten sie uns mit einem Elektrokabel aus.“

Da sich die Lage in Libyen auch für die libysche Bevölkerung immer mehr verschlechtert, es wegen der anhaltenden Stromausfälle sogar zur Wasserknappheit kommt, dürfte die Situation der Flüchtlinge in den Lagern immer bedrohlicher werden.

Allen Protesten zum Trotz hat die EU am 23. Mai beschlossen, die Kooperation mit der libyschen Küstenwache auszubauen. Im Rahmen der Mittelmeer-Operation "Sophia" soll die libysche Küstenwache nicht nur ausgebildet und mit neuen Booten ausgerüstet, sondern auch mit den notwendigen Informationen zum Abfangen der in See stechenden Flüchtlinge versorgt werden. Wird dieser Plan Wirklichkeit, dann wird die libysche Küstenwache in Zukunft Tausende Flüchtlinge mehr festsetzen können als jetzt, um sie in den berüchtigten und bereits jetzt völlig überfüllten Gefangenenlagern zu internieren.

Laut AI sollte Europa angesichts dieser horrenden Menschenrechtsverletzungen nicht einmal daran denken, in Sachen Migration mit Libyen zusammenzuarbeiten! Weiß man, dass Europa ernsthaft erwog, mit Libyen einen Deal über die Rücknahme von Flüchtlingen – ähnlich des auch nicht funktionierenden Türkei-Deals – zu machen, kann man über den Realitätsverlust und den moralischen Verfall der politisch Verantwortlichen nur noch entsetzt sein.


[1] https://vivalibya.wordpress.com/2016/06/13/refugees-shot-at-by-libyan-coastguard-before-being-detained-in-shocking-conditions-back-in-libya/

[2] www.amnesty.org 14.06.2016. EU risks fuelling horrific abuse of refugees and migrants in Libya.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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