Boris Johnson sorgt für Empörung

Libyen/Großbritannien. Der britische Außenminister Johnson fordert von den Libyern, die Leichen in der Stadt Sirte zu entsorgen.

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2011 wurde die libysche Stadt Sirte von Nato-Bomben zerstört, dann wurde sie zuerst von Dschihadisten und 2015 vom IS besetzt. Heute sind unter den Trümmern von Sirte hunderte IS-Kämpfer begraben, die den US-amerikanischen Bombardements zum Opfer fielen. Und jetzt sollen die Libyer die Leichen entsorgen, damit die Briten beim Aufbau der Stadt, an deren Zerstörung sie maßgeblich beteiligt waren, die große Kohle machen.

Die Stadt Sirte, Geburtsort von Muammar al-Gaddafi und Hochburg seiner Unterstützer, hatte unter dem Krieg 2011 und in der nachfolgenden Zeit von allen Städten Libyens wohl am meisten zu leiden. Da Sirte bis zuletzt Gaddafi unterstützte, wurde sie von seinen Feinden zerbombt und zerschossen, ihre Bewohner ermordet, eingekerkert und verfolgt.

Die bereits weitgehend zerstörte Stadt wurde 2015 vom IS eingenommen. Er errichtete dort eine Terrorherrschaft. Das Magazin Der Stern schrieb am 18. Mai 2016 über Interviews, die mit fast 50 geflohenen Bewohnern von Sirte geführt wurden: „… sie alle berichten von Horrorszenen, die sich täglich auf den Straßen des Orts abspielen: von öffentlichen Hinrichtungen, von leblosen Körpern in orangefarbenen Overalls, die wie "Gekreuzigte" an Gerüsten hängen, und maskierten Kämpfern, die "mitten in der Nacht Männer aus ihren Betten holen", so die ehemaligen Einwohner laut Human Rights Watch. Von Informanten begleitete Sittenwächter patrouillierten durch die Straßen und bedrohten, bestraften oder peitschten Männer aus, weil sie rauchten, Musik hörten oder nicht darauf achteten, dass ihre Frauen und Töchter sich verhüllten.“

Im Jahr 2016 bombardierten die USA Sirte. Der US-amerikanische Präsident Obama erklärte Libyen zur vierten Kampfzone neben Irak, Syrien und Afghanistan und ließ mehr als 500 Luftangriffe auf Sirte und Umgebung fliegen. Eine Anti-IS-Miliz aus Misrata, die unter dem Befehl der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis stand und die Unterstützung von diversen westlichen Sonderkommandos hatte, eroberte schließlich nach schweren Kämpfen im Dezember 2016 eine nun völlig kaputte Stadt.

Nun äußerte sich der britische Außenminister Boris Johnson über das geschundene Sirte. Er sagte, die Stadt könne das nächste Dubai werden. Und lachend: „Sobald sie die Leichen weggeräumt haben.“ Diese Aussage erinnert fatal an die Worte von Hillary Clinton, die höhnisch lachend nach dem Tod von Muammar al-Gaddafi bei einem Besuch in Tripolis meinte: „Wir kamen, wir sahen, er starb!“

Die Libyer sollen also die Leichen wegräumen, damit die Briten dort ihren Geschäften nachgehen können. Johnson: „Tatsächlich gibt es eine Gruppe von britischen Geschäftsleuten, ich weiß nicht, ob Sie ihnen schon begegnet sind, wunderbare Typen, die buchstäblich eine brillante Vision haben, wie sie Sirte – mit Hilfe der Stadtverwaltung von Sirte – in das nächste Dubai verwandeln können. Sie müssen nur vorher die Leichen wegräumen.“

Harsch fielen die Reaktionen in Libyen aus. Ein Parlamentsmitglied: „Es ist grausam und nicht akzeptabel, dass der höchste Diplomat Großbritanniens so etwas sagt und sich auf diese Weise benimmt.“

Sogar unter seinen eigenen Parteifreunden, den Tories, wurden Rücktrittsforderungen laut.

Diese Aussage Johnsons ist jedoch angesichts der tausenden von Toten, die der Krieg und die Nachkriegszeit in Libyen bis heute forderten, nicht nur zynisch, sondern auch ehrlich: Denn es ging bei dem Krieg, den der Westen gegen Libyen anzettelte, nie um etwas anderes als um Geld, Macht und Bodenschätze. Und es sind ja nur tote Araber, nicht wahr Herr Johnson?

www.libyaherald.com/2017/10/04/hor-member-salah-suhbi-condemns-boris-johnson-sirte-dead-bodies-comment/

www.spiegel.de/politik/ausland/boris-johnson-libyen-muss-nur-die-leichen-wegraeumen-um-wie-dubai-zu-werden-a-1171121.html

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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