Wahlen in Libyen

Libyen Der Ablauf und das Ergebnis der Libyen-Wahlen werden im Westen in ein äußerst positives Licht gerückt . Doch wie sind diese Wahlen wirklich zu bewerten?

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Es wäre ja schön, wenn sich das "Wunder" von Libyen wirklich ereignet hätte, das die westliche Presse nach den Libyenwahlen zum Teil enthusiastisch feiert: freie und faire demokratische Wahlen, kein Durchmarsch der Islamisten, Sieg des säkular orientierten Bündnisses. Allerdings lassen frühere Pressemeldungen die Freude über das unbestätigte libysche Wahlergebnis etwas abstrus erscheinen und werfen mehr Fragen als Antworten und eine Menge Ungereimtheiten auf. So mutet es zuvorderst merkwürdig an, dass das dem Nationalen Übergangsrat – der diese Wahlen abgehalten und durchgeführt hat – nahestehende liberal-säkulare Parteibündnis sofort nach Schließung der Wahllokale zum Wahlsieger ausgerufen wurde, obwohl das offizielle Endergebnis erst am Dienstag erwartet wurde und bis heute noch nicht vorliegt!

Auch die hohe Wahlbeteiligung von über 60 Prozent darf erstaunen! Wo doch bekannt gegeben wurde, dass zehn Prozent der Wahllokale wegen der Sicherheitslage geschlossen bleiben mussten. Im Vorfeld der Wahlen kam es zu massiven Störungen, wie zum Beispiel die bewaffnete Stürmung von Wahlbüros in Bengasi und anderen Städten im Osten, und zur Vernichtung der Wahlunterlagen. Desweiteren verhindern Straßensperren von Aufständen entlang der Küstenstraße die Durchfahrt von Militärs und Regierung von West- nach Ostlibyen, eine dreiste Demonstration der Stärke, wie Die Zeit in diesen Tagen schrieb (www.zeit.de/politik/ausland/2012-07/libyen-wahl).

Auch mussten während der Wahl zum Beispiel in Brega und Ajdabiya die Abstimmungen eingestellt werden, weil die Wahlzettel verschwunden waren. In anderen Orten konnten die Wahllokale überhaupt nicht öffnen. (http://german.ruvr.ru/2012_07_07/80609923/)

Ebenfalls Der Zeit kann man entnehmen, dass libysche Aktivisten vor den Wahlen die Ölhäfen Ras Lanuf und Al-Sidra blockierten und deren Schließung erzwangen, was zu einem weiteren empfindlichen Rückgang der Ölexporte führte (www.zeit.de/auto/2012-07-libyen-oelhaefen). Ebenfalls soll der Ölhafen und Marsa el Brega betroffen gewesen sein.

Nicht unerwähnt soll auch der Abschuss eines Hubschraubers der Wahlkommission bleiben, bei der ein Mitarbeiter der Komission starb.

Und wer hat nicht davon gehört, dass die Grüne Claudia Roth, die vor wenigen Wochen Tripolis besuchte, nicht über den dortigen Flughafen abfliegen konnte, weil der von Bewaffneten – ja was? Banden? Stämmen? Aufständischen? – besetzt war, und über den Landweg nach Tunesien ausreisen musste.

Und der Süden Libyens? Es gibt dort Stammeskämpfe zwischen Tibu und dem Al-Arabija-Stamm mit zwischenzeitlich über hundert Toten und vielen Hundert Verletzten (www.//irib.ir/nachrichten/politik/item/207949-18-tote-bei -stammeskämpfen-in-suedlibyen). Angeblich hätte sich die Regierung nicht eingemischt. Wie uns hier in Italien Schwarzafrikaner, die gerade über Libyen und das Mittelmeer angekommen sind, glaubhaft berichteten, hätten sich in den Konflikt nicht nur die jetzige libysche Regierung, sondern auch der Tschad eingemischt, da dessen Regierungschef ein Tibu ist. Dass in diesem Teil des Landes Wahlen durchgeführt worden sein sollen, erscheint illusorisch.

Dass unter den gegebenen Voraussetzungen bei dieser Wahl die Tuareg mit libyschen Pässen überhaupt keine Rolle spielen, versteht sich von selbst. Sie verlieren ja gerade in Mali ihren neu gegründeten Staat gegen die Islamisten (nur nebenbei sei die Frage erlaubt, woher diese Islamisten überhaupt die Waffen haben, um sich gegen die bestens mit Gaddafi-Waffen ausgerüsteten Tuareg behaupten zu können).

Und was ist los in den ehemaligen Gaddafi-Hochburgen Bani Walid und Sirte? Wurde da nun plötzlich für westlich orientierte Parteien gestimmt, nachdem die Städte von der Nato zerbombt und die Einwohner nun von islamistischen Brigaden terrorisiert werden – wie eine Arte-Beitrag dies vor Kurzem beklemmend schilderte? Wie wählten überhaupt die über eine Million Gaddafi-Anhänger, die noch vor einem Jahr in Tripolis für ihren Führer demonstrierten – was natürlich den westlichen Medien keiner Erwähnung wert war? Haben sich die der Jamahiriyah nahestehenden Libyer in Luft aufgelöst? Wohl nicht, sie wurden aber von vornherein von der Wahl ausgeschlossen,es war in Libyen verboten, etwas Positives über Gaddafi und die Jamahiriyah zu äußern. Ist das die neue libysche Meinungsfreiheit? Was macht überhaupt der Grüne Widerstand? In den Medien wird er totgeschwiegen.

Wahlboykott wurde angekündigt von den Berbern von Zintan, von Vertretern einer Autonomie für die Region Kyrenaika und von islamistischen Gruppen. Sind das die 40 Prozent, die nicht zur Wahl gingen? Was machen diese Gruppen nun, sollte sich vorab verkündete Wahlergebnis bestätigt werden? Halten sie ruhig, wenn sie so einfach von der Macht entfernt werden?

Wie kann behauptet werden, diese Wahlen seien ohne nennenswerte Vorkommnisse, demokratisch und sauber durchgeführt worden?

Diese Wahlen fanden in einem bürgerkriegsgebeuteltem, vom Zerfall bedrohtem Land statt, in dem der selbsternannte Sicherheitsrat den Ausnahmezustand ausgerufen hat, selbst die Wahllisten erstellte, die Wahlen durchführte, damit anschließend – ohne das ein offizielles Wahlergebnis bekannt gegeben wird – das dem Sicherheitsrat nahestende Parteienbündnis zum Sieger ausgerufen wird.

Der Westen feiert vorschnell diese Wahlen, deren Ergebnis, wenn nicht spanisch, so doch afghanisch anmutet. Doch ist dieser westliche Enthusiasmus nicht in erster Linie unter dem Stichwort „Syrien“ zu interpretieren? So schreibt „Die Welt“ ganz unumwunden in Hinblick auf Syrien, wie toll sich ein Land entwickelt, wenn erst mal die Nato gebombt hat. Anschließend wird alles ganz wunderbar gut und demokratisch – wie der „Welt“-Artikel unter der Überschrift „Autodidakten der Freiheit“ erklärt. Nur nicht zögern, reinhauen! Überflüssig zu sagen, dass natürlich weder die beträchtlichen politischen noch die geostrategischen Unterschiede dieser beider Länder Erwähnung finden.

Und die weitere Entwicklung in Libyen? Ein Experte des Instituts für strategische Einschätzungen und Analyse, Sergej Demidenko, schreibt: „Die Situation im Lande ist praktisch nicht lenkbar. Es existiert keine einzige politische Kraft, die die Zukunft Libyens bestimmen und eine Strategie aufbauen könnte. Das Land hat sich nach dem Stammesprinzip, nach ethnischen und religiösen Merkmalen herausgebildet. …Parlamentswahlen, ohne dass eine Verfassung, Parteien und verständliche politische Programme und einflussreiche Politiker existieren, sind absurd.“ (http://german.ruvr.ru/2012_07_06/80493898/)

So ist das Ergebnis von Wahlen eine Sache, die Realitäten eines Land eine andere.

P.S.: Bewaffnete Mitglieder der libyschen Armee haben am 16.Juli in Tripolis den Chef des Olympischen Komitees Libyens aus seinem Auto heraus entführt (http://german.ruvr.ru2012_07_16/81678521).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

Angelika Gutsche

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