Kann man das Wetter in der Stadt schmecken?

Wetterfee Im Tal kann man das, behaupten Schweizer Wetterschmecker. Da gibt es ja auch Tannzapfen und Enziane. In der Stadt sollten wir uns aber eher an den Wolken orientieren
Kann man das Wetter in der Stadt schmecken?

Illustration: Otto

Es ist ein kurzes, wenngleich sehr freundliches Gespräch: Ein Anruf bei Peter Suter, seines Zeichens Muotathaler „Wätterschmöcker“ (Wetterschmecker) in der Innerschweiz, soll Aufschluss darüber geben, wie die Wetterfee das Wetter in der Stadt, sprich in Berlin schmecken kann.

Jede Kultur hat ihre Wettergötter, Schutzheiligen und Patroninnen. Die Urschweiz hat ihre Wetterschmecker. Sechs an der Zahl und keineswegs metaphorische, sondern quicklebendige und gut organisierte im Meteorologischen Verein Innerschwyz. Sie gerieten in letzter Zeit öfters in die Medien. Unter anderem, weil Werbespots des Tourismusverbands „Schweiz Tourismus“ den aktuellen Wetterkönig, Martin Horat, Schnee essend und auf einem Ameisenhaufen posierend zeigten (was prompt Tierschützer auf den Plan rief). Aber auch, weil die kauzig kruden Bergler mit viel Schalk jeweils halbjährlich ihre Prognosen im Wettbewerb gegeneinander und für die nächsten sechs Monate präsentieren. Ein absolutes Tabu für jeden Meteorologen, der etwas auf sich hält, dagegen von Belang für Hobbymeteorologen wie die Wetterfee.

Sie schmeckten das Wetter, sagen sie und ziehen Tannzapfen, Mäuse, Ameisen, aber auch die Winde, Enziane und Alpenrosen so selbstverständlich zurate wie die Meteorologen ihre Wetterballons und Satellitenbilder. „Schmecken“ heißt in diesem Fall „erkennen“ – jeder hat seine Methode, die den Übernamen gibt: Der Tannzäpfler untersucht die Samen der Tannzapfen, der Musers beobachtet die Mäuse und der Geißdaddy die Steinböcke. Sind etwa die Ameisen nervös und aggressiv, droht stürmisches Wetter. Sind sie ruhig und freundlich, wird das Wetter gut.

Frauen schmecken nichts?

Nun läuft man in Berlin nicht täglich einer Ameise über den Weg, und so fragt Berlin das Muotathal: Kann man das Wetter auch in der Stadt schmecken? Durchaus, meint Peter Suter, 84, der älteste Wetterschmecker, und schlägt vor, zuerst einmal nach draußen zu gehen, um nach Pflanzen zu suchen – „nun gut, Pflanzen gibt es nicht so viele bei euch, hm?“ „Vergleichsweise wenig“, meint die Wetterfee diplomatisch, „aber vielleicht reicht’s?“ Das überzeugt ihn nicht, er empfiehlt stattdessen die Wolken. Davon gebe es doch bestimmt auch welche in Berlin. Oh ja, gibt es. „Man muss sich das Gewölk näher ansehen. Muss viel laufen, muss viel beobachten“, erklärt er lapidar. Das Wetter findet also nach wie vor draußen statt, ob im Muotathal oder in Berlin. Wobei nun das Wetter in der Stadt nicht mehr maßgeblich über Missernte und Überleben entscheidet, sondern vielmehr als Ausrede für schlecht gelaunte Städter dient (im Sommer zu heiß, im Winter zu kalt, der Regen zu nass).

Stimmt nicht ganz, entgegnet Peter Suter und nennt das moderne Gerät, insbesondere die Silos, die den Bauern heutzutage die schlechte Laune bei Regenwetter ersparen.

Nun hat bloß die Wetterfee als Angehörige des weiblichen Geschlechts per se schlechte Chancen, das Wetter zu schmecken, wie unlängst der aktuelle Wetterkönig in einem Interview behauptete: Frauen können das Wetter nicht schmecken. Peter Suter sieht das zum Glück nicht so: „Da bin ich mit ihm gar nicht einig – meine Mutter wusste immer besser Bescheid als mein Vater.“ Um sogleich unvermittelt und nahezu kollegial zu erwähnen: „Jetzt ist es gut, oben schneit’s.“ Die Wetterfee fragt geschmeichelt nach: „Warum?“ „Dann wird’s wieder gut.“

Auch diese Erkenntnis ist nicht minder banal, wenngleich nahezu heraklitisch: Das Wetter ändert sich stets, es bleibt nie so, wie es ist. Entsprechend lautet die Abschiedsformel des Wetterschmeckers: „Jänu, nehmen wir es so, wie es kommt.“

Ein weiser Rat, meint die Wetterfee, der auch für das Stadtwetter taugt.

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