Free Solo –Nervenkitzel oder Medienspektakel

Adrenalinrausch Für die einen ist es Wahnsinn, für die anderen ist es ein Gefühl der völligen Freiheit. Beim Free-Solo werden Felswände und Hochhäuser ohne Sicherung erklommen.

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Jeder Griff entscheidend über Leben und Tod

Wer ohne Sicherung und Seil hohe Gipfel erklimmt und mächtige Felswände besteigt, der entscheidend mit jedem Griff und Tritt über sein Leben. Erfolgt nur ein Fehler, kann der Adrenalinrausch mit dem Tod enden. Dieser Klettersport spaltet die Gemüter, da der Kletterer auf jegliche Absicherung verzichtet. Als Begründer dieser Form des extremen Freikletterns in den hohen Bergen zählt der Deutsche Wolfgang Güllich, welcher 1985 als Erster im nördlichen Frankenjura die Route Adrenalin ohne Absicherung erklomm.

Im folgenden Jahr beeindruckte er durch eine bis dahin für unmöglich gehaltene Free-Solo-Begehung im US-amerikanischen Yosemitepark. Der muskelbepackte Profi-Kletterer zwängte seine sehnigen Füße und Finger in die schmalen Risse einer 200 Meter hohen Wand. Konzentriert und kontrolliert bezwang der Deutsche damals die Route, was für ein großes Aufsehen der Medien sorgte. Die spektakulären Bilder gingen um die Welt und verschafften ihm sogar eine Rolle als Double im Film Cliffhanger mit Silvester Stallone. Doch nach Aussage von Güllich war nicht der Medienrummel für sein waghalsiges Unternehmen verantwortlich, sondern sein Wunsch nach einem intensiven Lebensgefühl. Dieses würde über den Umweg des Gedankens an den eigenen Tod ausgelöst werden und das Gefühl von Freiheit schenken. Passt eine lebensbejahende Einstellung wie bei Güllich und die Ausführung eines todesmutigen Sports doch zusammen?

Höher, schneller, weiter – tödlicher

Güllich hat mit seinem Free-Solo einen tödlichen Trend ausgelöst, was der Extremsportler vermutlich nicht beabsichtigt hatte. Kletterer aus der ganzen Welt begeben sich auf waghalsige Kletterrouten und lassen ihre Absicherung daheim. Für einige endete dieses Abenteuer mit dem Tod, da der Nervenkitzel auch weniger erfahrene Kletterer anzieht, die mit einer vernünftigen Ausrüstung - gute Marken gibt es im Outdoor-Sektor reichlich - klettern sollten. Die Motivation hinter dem Free-Solo ist und bleibt fraglich. Das Klettern gehört für gewöhnlich zu den Sportarten, die in den Medien für wenig Beachtung sorgen. Begibt sich ein Profialpinist im Himalaja auf eine neue, extrem schwere Route durch die Todeszone, reicht diese Leistung meist nur für einen kurzen Fünfzeiler auf einer hinteren Zeitungsseite. Wirklich interessant wird es für die Presse, wenn ein Kletterer tödlich verunglückt und dann noch die Polizei ermittelt, wie es bei Kurt Albert der Fall war. Ihm ist letztlich seine Routine zum Verhängnis geworden; Mit Kletterhelm und einem handelsüblichen Klettersteigset hätte es diesen Sturz wahrscheinlich nie gegeben.

Wir leben im Zeitalter der Medien und der Bilder. Die Leser möchten beeindruckt und überrascht werden, weshalb spektakuläre Fotos nicht fehlen dürfen. Für diese wiederum ist das Free-Solo prädestiniert. Es ist eine Nische innerhalb des Klettersports, für den sich auch die Medien interessieren. Dies treibt einige Profi-Kletterer zu todesmutigen Besteigungen ohne Absicherung. Die atemberaubenden Bilder bringen Sponsoren und Geld. Die Kletterer werden für den Betrachter zum Helden, zum Verrückten oder zum Adrenalinjunkie. Auch der französische Kletterer Alain Robert, welcher wegen Höhenschwindel zu 60 % invalid geschrieben ist, kam zum Free-Solo durch einen Sponsor. Der Extremsportler sah in diesem Angebot eine Möglichkeit seine Familie mit seinem Sport zu ernähren. Bereits seit Ende der 1980er-Jahre besteigt er medienwirksam auf der ganzen Welt Hochhäuser ohne Absicherung und wird auch von Wohltätigkeitsorganisationen gebucht. Obwohl Robert das Geld für den Lebensunterhalt benötigt, steckt hinter den medienwirksamen Unternehmungen mehr als nur der schnöde Mammon. Ansonsten lässt sich vermutlich nicht erklären, warum er als Hauptverdiener der Familie jedes Mal sein Leben aufs Spiel setzt.

Eine mentale Herausforderung

Wer Free-Solo ausübt, benötigt ein hohes Können und die Unterstützung der Angehörigen. Beim Klettern muss sich der Sportler vollständig konzentrieren können und darf nicht von der Sorge der nahestehenden Personen abgelenkt werden. Diesen psychischen Halt können nur Freunde und Partner geben, die wissen, dass es dem Extremsportler um mehr als nur eine medienwirksame Aktion geht. Viele von ihnen nennen als Motivation die Überwindung der eigenen Ängste. Sie sehen in dem Free-Solo eine mentale Herausforderung. Zudem schätzen sie das Gefühl sich ohne Ausrüstung frei zu bewegen und alleine zu klettern.

Die völlige Ausgesetztheit wird gelegentlich als eine Art meditativer Zustand beschrieben, der neue Gedankenmuster öffnet. So ganz frei ist der Kletterer jedoch auch nicht in diesem Zustand. Der Adrenalinrausch führt zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und der Extremsportler ist abhängig von seinem Körper sowie seinen Fähigkeiten. Der Spitzenkletterer Stefan Glowacz bezeichnet das Free-Solo inzwischen als russisches Roulette, nachdem er 1993 beim Freeclimbing fast sein Leben verloren hat. Er sieht in den Medien die Hauptursache für diesen Trend. Wenn der lebenslustige Güllich 1992 nicht bei einem Autounfall verstorben wäre, würde er sicherlich Glowacz von der Lust auf ein außergewöhnliches Lebensgefühl erzählen.

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