Kleine, willkürliche persönliche Medienschau

Zweiwöchige Auslese Manchmal ärgert oder freut man sich bei der täglichen Presselektüre, oft vergisst man das alles schnell. Und mitunter möchte man seinerseits kommentieren. So sei es.

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Es ist mir nicht immer ein Vergnügen, mich jeden Tag durch die Zeitungen zu wühlen. Sei es, weil sie mir nicht gefallen oder weil das, worüber sie berichten, was sie wie kommentieren mir nicht behagt. Aber wenn man seit Jahrzehnten Zeitungen studiert, ihr Knistern und Rascheln nicht missen möchte, sich immer wieder hoffnungsvoll auf die Suche nach Interessantem begibt, dann kann man es nur schwer und auch nur zeitweise sein lassen, sie lesen zu wollen. Mir jedenfalls geht das so. Ist der Überdruss an schlechten, das heißt in der Regel: politischen Meldungen, an Skandalen und Skandälchen,an berichteten Intrigen etc. mal wieder erreicht, dann überfliege ich die Seiten und Überschriften nur noch oder es gelüstet mich ab und an, Einzelnes zu kommentieren. Aber auch das kann langweilig und zur Routine werden. Dann verstehe ich einen Bekannten Frau gut, der in einer kommunalen Verwaltung auch an der Schnittstelle zur Politik arbeitet und im Kleinen mitkriegt, wie nervig und bei weitem nicht immer sachliche Politik bzw. die Diskussion über Themen sein kann und der oft abwinkt, wenn ich mich mal wieder aufrege. Ich reagiere schreibend auch immer seltener. Aufregung kann schnell billig und wohlfeil werden. Das 93. Merkel-Bashing etwa eines Urban Priol ist für mich irgendwann nur noch uninteressant, da ziehe ich, um bei den Kabarettisten kurz zu bleiben, die leisen Töne eines Hagen Rether oder das Grundsätzliche, die Tagespolitik verlassende eines Georg Schramm vor.

Genug der Vorrede. Hier kann ich es dann doch nicht lassen und versuche mich an einer kleinen, sehr persönlichen Auswahl an Meldungen und Kommentaren, die mir in den vergangenen ein bis zwei Wochen in den Blättern aufgefallen sind, die regelmäßig oder ab und an in unser Haus kommen.

Begonnen sei mit einem wahren Aufregerthema, das vom „Spiegel“ bis Fachebook für reichlich Pro und Contra-Diskussionen gesorgt hat: Raab, soll er oder soll er nicht? Am sog. Kanzlerduell teilnehmen. Jakob Augstein hat das mit einem klaren Nein beantwortet, mit, wie ich denke, guten Argumenten, was Raab betrifft und mit einem unangemessenen Lob für die derzeitigen politischen Talkshows. Politik sei eine ernste Sache, da habe Raab sich herauszuhalten. Ja, das soll er sich in der Tat, aber nicht weil er sonst im Unterschichtenfernsehen seine billigen Späße treibt. Auch nichts gegen Späße, wenn sie gut sind. Nein, es ist die Art Spaß, für die Raab steht, es ist die Oberflächlichkeit, mit der er alles angeht, die ich bescheuert, weil unangemessen finde.

Und überhaupt: dieses „Kanzlerduell“. Vier Frager, zwei Kandidaten. W a s für Interviewer?! Ein Deppendorf - farblos, haltungslos, langweilig -, Illner: na ja, etwas besser, evtl. Plasberg, der seine gute Zeit wie Maischberger hinter sich gelassen hat. Hätten die Sender Mut, würden sie jemanden wie Klaus Bednarz oder weiland Friedrich Küppersbusch („Zak“, Sie erinnern sich?!) holen. Es ist allerdings die Frage, ob die anderen beiden Teilnehmer dann kommen würden.

Und gleich noch eine Personalie. „Jauch am beliebtesten“ meldeten die Agenturen und Zeitungen. Wir lieben und beachten ja Rankings aller Art.Bundesdeutschlands Fernsehzuschauer sähen Jauch von allen Talkshow-Moderatoren am liebsten. Meinen sie damit auch - das muss ja nicht deckungsgleich sein -, er wäre auch der Beste? Wobei, wer ist das schon von dem zur Zeit sendenden Personal? Die sind doch alle bestenfalls Mittelmaß. Lichtjahre entfernt von der Frage(n)qualität eines Günter Gaus (Sie erinnern sich?) oder der Keckheit des erwähnten Friedrich Küppersbusch. Na ja, Jauch hätten ja angeblich viele Menschen gern auch als ihren Schwiegersohn. Das sagt mindestens was über Jauch, aber auch über einen Großteil des Fernsehvolks aus. Aua!

Wir bleiben noch kurz persönlich. Bei den „Piraten“ herrscht mal wieder oder immer noch Zoff, Personenzoff. Via Twitter und anderen Diensten, in Interviews und sonst wo noch beschimpfen sie sich, fordern einander zum Rücktritt auf etc. Soll man das nun loben, weil‘s bei denen wenigstens sichtbar wird, was man andernorts nur vermuten kann oder selten so offen mitbekommt oder ist das nur noch peinlich? Ich neige zur letztgenannten Antwort. Lustig wird es allerdings, wenn ausgerechnet der „Spiegel“ den „Piraten“ die Fokussierung auf Personen vorwirft. Gerade in seinem innenpolitschen Teil machen die Hamburger großteils nichts anderes: wer mit, wer gegen wen, all‘ diese Meldungen zu einer Seifenoper auf vorgeblich höherem Niveau allwöchentlich dargeboten. Auch peinlich.

Aber ich habe mich bei einer Lektüre auch gefreut. Und zwar über eine Kolumne von Harald Martenstein im „Zeit-Magazin“ vor zwei Wochen. In den Zeiten des Betruges mit Pferdefleisch in der Lasagne und anderswo drin, wo der Bundestag ein Gesetz gehen Sex mit Tieren - den ich in der Tat pervers finde - verabschiedet hat, hat Martenstein mit ein paar Sätzen die Dinge gerade gerückt. Er schreibt: „Wenn man Tierquälerei im Kleinen verbietet (die Sodomie, H.H.), wieso erlaubt man sie dann im Großen? Denn während die Sodomisten... eine winzige Minderheit sind, handelt es sich bei den Schlachthöfen um ein Massenphänomen.“

Er schlussfolgert: „Und das dürfte auch der Grund sein für das unlogische Verhalten des Bundestages. Ein strenges Tierschutzgesetz berührt wirtschaftliche Interessen, da müsste man Mut und Kampfgeist beweisen und Lobbygruppen widerstehen, während das Verbot der Sodomie sich relativ problemlos durchsetzen und kaum kontrollieren läßt. Es hilft den Tieren so gut wie nicht, es ist einfach nur billig, es ist die heutzutage so beliebte Symbolpolitik. Klar, ein paar Verbesserungen des Tierschutzes gibt es... Zum Beispiel wurde beschlossen, dass Ferkel nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden dürfen. Dieses Verbot tritt allerdings erst 2019 in Kraft. Das Sodomieverbot dagegen könnte noch 2013 in Kraft treten. Von 2013 bis 2019 darf dann jeder Deutsche einem Ferkel ohne Betäubung die Hoden abschneiden. Wenn er aber dem Ferkel in sexueller Absicht an den Schwanz fasst, ist das verboten.“

Klare Worte, danke Harald Martenstein! Wären doch alle Pressekommentare von solcher Klarheit und Deutlichkeit. Sehr viele sind verschwurbelt, langweilig ausgewogen. Als Tierfreund musste ich Martensein diesen Raum einräumen!

Und dann überkam mich richtiger Ärger! Am 19. 2. über einen Leitartikel von einem Tobias Kaufmann im „Kölner Stadtanzeiger“. In seinem Kommentar zum Pferdefleischbetrug schleimt er sich bei der Lebensmittelindustrie dermaßen ein, dass es nicht verwunderlich wäre, böte die ihm einen exzellent bezahlten Verbandsposten an. Kaufmann schreibt: „Ein hoch urbanisiertes 80-Millionen-Volk kann seinen täglichen Bedarf nicht von glücklichen Hühnern und Schweinen und selbst geernteten Kartoffeln decken.“ Mag so sein, ich kann das nicht beurteilen. Aber vielleicht müssen die 80 Millionen ihre Essgewohnheiten mal überdenken und ihre Ansprüche ändern, so dass zumindest mehr Hühner, Schweine und andere Tiere glücklich sein und es bleiben können.

Aber Kaufmann treibt es noch schlimmer: Die Quintessenz seines Leitartikels lautet: Es ist alles halb so wild, insgesamt ist doch alles in Ordnung, mit den Lebensmitteln und mit der sie herstellenden Industrie. Die Kritik daran nennt er „Wohlstandsblasen“. Die Lebensmittelüberwachung funktioniere „alles in allem“ gut. Und das, wo fast jeden Tag ein neuer Skandal publik wird! Es gebe „keine dramatischen Zustände“, nach dem Motto: Ihr lebt ja noch!

Man sollte dem Herrn das Buch von foodwatch-Chef Thilo Bode überreichen, „Die Essensfälscher“. Ich befürchte indes, so wie Kaufmann schreibt, ist er beratungsresistent.

Zum vorletzten Thema. Ich gestehe vorab, möglicherweise befangen zu sein. Ich bin mit einer Beamtin verheiratet und jetzt soll es u.a.um diesen Berufsstand gehen. Im Öffentlichen Dienst bimmeln mal wieder die Tarifverhandlungsglocken bzw. es wird teilweise gestreikt. Die angestellten Lehrer streben die gleiche Bezahlung an, wie sie ihre verbeamteten Kollegen und Kolleginnen bekommen. Da geht es um monatliche Differenzen von bis zu 500,-€! Man hört und liest ja oft die Ur- und Vorurteile über den Öffentlichen Dienst und seine Beschäftigten, die oft von Leuten vorgetragen werden, die sich im Detail gar nicht auskennen. Aber es ist wohlfeil, sich darüber populistisch zu ereifern: gut, wenn nicht überbezahlt, faul, inkompetent, ineffizient, gute, über dem Niveau der Renten liegende Pensionen etc. Wie so oft stecken in vielen Vorurteilen wahre Körner und Körnchen, wie etwa der Pensionsunterschied, die Fortzahlung im Krankheitsfall etc. Nur: ineffiziente Strukturen gibt es auch in der ach so freien Wirtschaft. Der Großteil der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst liegt mit seinem Gehaltsniveau im unteren bzw. mittleren Tarifsegment, auch sog. mäßiger motivierte Mitarbeiter soll es auch andernorts geben - wie auch stark motivierte in allen Bereichen zu finden sind. Wie der Kommentator der „Süddeutschen“ schreibt, ist da viel Neid im Spiel. Wer den faktischen Unkündbarkeitsstatus des Öffentlichen Dienstes kritisiert, hätte sicher nichts dagegen einzuwenden, ihn auch zu bekommen, um nur ein Beispiel herauszugreifen. Und wer weiß schon von den auch vorhandenen Nachteilen, die eine Arbeit im Öffentlichen Dienst hat? Es ist halt beliebt, aus dem Stand des Halbwissens heraus alles in toto zu kritisieren, man lese sich nur manche Leserbriefe in den Zeitungen zu dem Thema durch!

Zum schlechten Schluss etwas aus der von mir geschätzten, manchmal auch mich ärgernden „TAZ“: neulich eine ganze Seite, in der das Waffenrecht der USA glühend verteidigt und zur bundesdeutschen Nachahmung empfohlen wurde. Dann ein Plädoyer für Studiengebühren als Ausdruck von sozialer Gerechtigkeit. Und am vergangenen Wochenende von einer jungen russischen Gastjournalistin ein plattes und unverhohlenes Plädoyer für die Todesstrafe. Alle Beiträge, schon gar nicht der vom letzten Wochenende, erschienen ohne erläuternden redaktionellen Vorspann, ohne Distanzierung oder die Aufforderung zur Diskussion. Eine Zeitung soll, muss mir nicht nach dem Mund schreiben, das fände ich auf Dauer langweilig und nicht weiterbringend. Gleichwohl muss es eine Grenze des Zumutbaren geben, wenn es um die journalistische Grundhaltung des Blattes geht. Ich liebe Pro- und Konto-Beiträge zu einem Thema, wie sie die „TAZ“ oft auch darbietet. Aber hier wäre eine redaktionelle Distanzierung oder eine Gegenstellungnahme angebracht gewesen. Na ja, es hat wütende Leserbriefe gehagelt.

Hageln tut‘s nicht, aber der Schnee taut nur langsam. Ich sehne mich nach dem Frühling und nach einem blauen Himmel.

Das für heute.

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Geschrieben von

H.Hesse

"Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen." Pablo Picasso

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