Plädoyer des Tieranwalts

Buchkritik Der Autor wünscht sich, dass sein Buch dazu beiträgt, möglichst viele Menschen zu Tieranwälten zu machen. Er selbst war im Kanton Zürich offizieller Tieranwalt.

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Über Tiere klagen an von Antoine F. Goetschel

Im ersten Kapitel "Liebe oder Recht: Womit erreicht man mehr?" macht Goetschel schon durch die Fragestellung klar, dass er von gut fundierten ethischen Begriffen als Grundlage der Rechtsnorm mehr für die Besserstellung der Tiere erwartet als von den schwankenden und stets subjektiven Neigungen im Mensch-Tier-Verhältnis.

Sein Rückgriff auf die Vorgaben der jüdisch-christlichen Tradition eignet sich wohl nur als Appell an die Adresse der widerspenstigen Konservativen. Er unterstellt, was für Theologen und Gläubige nahezu selbstverständlich zu sein scheint, dass nämlich Religion die Basis der Ethik sei. Darum haben ja Theologen der beiden großen Kirchen hierzulande sozusagen automatisch Sitz und Stimme in Ethik-Kommissionen.

Tieranwalt Goetschel versucht die Anlehnung an die Religion bis auf den einen biblischen Rekurs zu Anfang zwar nicht explizit, beruft sich aber stets wieder auf die "Mitgeschöpflichkeit" (208) zur Begründung der "kreatürlichen Würde" der Tiere. Wie überzeugend und werbewirksam für sein Ziel der Rekrutierung neuer Tieranwälte die aus dem Mythos hergeleitete Gleichberechtigung der Tiere ist, sei dahingestellt.

Zum Glück hat Goetschel noch andere Gründe, seine Leser nachdenklich zu stimmen und womöglich zu Verteidigern der Tiere zu machen. Wobei anzunehmen ist, dass eingefleischte Blutberufler wie Metzger und Jäger wohl kaum oder nur ausnahmsweise das Buch in die Hand nehmen werden.

Dem Anwalt der Tiere ist nicht entgangen, dass die meisten Denker im christlichen Abendland ihre Ethiken tierfrei halten. Sie verfahren nach dem Motto der meisten Lebensmittelhändler, die vor ihrem Geschäftseingang ein Schildchen mit Struppibild angebracht haben, das sagt: "Hier darf ich nicht rein."

Als Ausnahmen von der Regel nennt Goetschel Jeremy Bentham, Immanuel Kant, Arthur Schopenhauer und Albert Schweitzer. Vor allem die beiden letzteren waren die Eisbrecher im westlichen Denken, das die Tiere kalt lässt. Schopenhauer und Schweitzer konnten sich schon auf die großen Vorbilder des alten Indien berufen. Was aber für den einen das Mitleid, ist für den anderen die Ehrfurcht vor dem Leben. Beide großen Anwälte der Tiere in Europa setzen aufs (Mit)Gefühl, nicht auf Recht und Gleichberechtigung.

Auch Goetschel selbst knüpft an Indien an, zwar einzig und allein durch das Zitat, das als Motto sein Buch einleitet, aber diese Verneigung vor den Leistungen Indiens für das Mensch-Tier-Verhältnis muss sein: "Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie die Tiere behandelt. - Mahatma Gandhi".

Die große Gleichgültigkeit gegenüber Tieren, die kennzeichnend ist für die philosophisch-theologische Tradition Europas, begegnet und befremdet genauso auch im europäischen Alltag, besonders aber in der jüngsten Entwicklung der Agro-Industrie. Neben der Massentierhaltung fällt dem Anwalt der Tiere die Jagd ins Auge. Doch die grausame Nutzung der Tiere grassiert in allen Lebensbereichen, vom überzüchteten Haustier bis zum überflüssigerweise gequälten Versuchstier. Dagegen stellt Goetschel seinen eindringlichen Appell, Würde und Eigenwert der Tiere anzuerkennen.

Einerseits kritisiert er die rücksichtslose bis gleichgültige Ausbeutung der Tiere in der Agro-Industrie mit ihrer Fleischproduktion nach dem Maßstab der mathematischen Profitmaximierung, euphemistisch als "konventionelle Landwirtschaft" getarnt; kritisiert das Los der Tiere im Versuchslabor, in Zoo und Zirkus, ferner in der neuen Therapie mit Hunden, Pferden und Delphinen, nicht zuletzt im privaten Raum; andererseits nennt er Vorbilder und Ansätze tierfreundlichen Tuns wie die deutsche Akademie für Tierschutz, die Zellkulturen entwickelt als Ersatz für Tierversuche, oder die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche, oder den Sachkundenachweis für Hundehaltung, der in der Schweiz seit 2008 verlangt wird, oder die verbesserten Umstände für Zootiere, oder das Verbot von Wildtieren im Zirkus, das in Schweden und Österreich gilt, in Deutschland vom Bundesrat angestrebt wird, aber durch den Widerstand der schwarzgelben Regierung in Berlin seit Jahren auf Eis liegt.

Tieranwalt Goetschel vermutet hinter der harten Grenzziehung zwischen Mensch und Tier "die Fortsetzung des jahrtausendealten Machtkampfs ..., bei dem es um die Grundsatzfrage geht: Wer ist Herr im Haus? Wem gehört die Welt?"

Das sind typische Fragen der Machtkranken. Tiere wollen leben, nicht aber herrschen. Ist es nicht so, dass in der Organisation der Menschen in Herrschaftssystemen die Tiere auf der niedrigsten Stufe der Hierarchie stehen, wo sie noch stärker unterdrückt und ausgebeutet werden als die Angehörigen der menschlichen Unterschicht?

Wenn diese Frage bejaht werden muss, kann das entsetzliche Los der Tiere erst grundlegend verbessert werden, nachdem die größten Ungleichheiten unter den Menschen überwunden worden sind. Mit anderen Worten, das Verhältnis zwischen Mensch und Tier kann erst tier- und menschenfreundlich werden, wenn der Mensch seine eigene Natur akzeptieren lernt und sich als Teil der Erde begreift.

Unter Hinweis auf einen konkreten Fall stellt auch der Tieranwalt die Gewissens- und Systemfrage: "Wenn jemand seinem Gewissen als Tierschützer nicht folgen darf, sondern zum Beispiel sein Eigentum für die Jagd zur Verfügung stellen muss - dann stimmt etwas mit unserem System nicht. Und deshalb sollten wir uns dafür einsetzen, dass dieses System verbessert wird." (202)

Wie die Situation der Tiere verbessert werden sollte, dafür liefert der Pragmatiker Goetschel in den beiden letzten Kapiteln seines Buchs zahlreiche Anregungen. Sie reichen von den "konkrete(n) Forderungen" zu Gesetzesänderungen zum "Schutz der Würde" (214) der Tiere bis zu einer detaillierten Argumentationshilfe für streitbare Tieranwälte.

Fazit: Das Buch Tiere klagen an ist eine interessante und wichtige Ergänzung zum meist emotional geführten Kampf gegen Wahn und Gewalt im Mensch-Tier-Verhältnis.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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