Ein Blick auf das "Schreckgespenst"

Nordkorea Was sich hinter dem nordkoreanischen "Schreckgespenst" verbirgt, davon ist nur wenig bekannt. Ein interessanter Beitrag dazu gewährt einen der seltenen Blicke darauf.

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Dirk Reber, der für die Welthungerhilfe arbeitet und schon mehrmals in Nordkorea war, versucht in einem Beitrag für die NachDenkSeiten vom 18. April 2013 die schiefe Perspektive auf das Land etwas gerade zu rücken. Und weil das nicht nur interessant ist, sondern auch ein paar Klischees korrigieren helfen könnte, gebe ich den Beitrag auszugsweise wieder:

"Die Welthungerhilfe arbeitet als eine der wenigen europäischen Hilfsorganisationen seit über 15 Jahren in Nordkorea: Wir leben vor Ort und haben Kontakt zu den Menschen. Seit dem Beginn unserer Arbeit im Jahre 1997 haben wir in Nordkorea sehr viele Einblicke bekommen und zahlreiche Veränderungen wahrgenommen. Wir sind auch gegenwärtig vor Ort, wurden nicht aufgefordert das Land zu verlassen, haben tagtäglich Kontakt zu unseren Mitarbeitern in Pyongyang, haben unsere Projektaktivitäten nicht eingestellt und sehen auch keinerlei Belege oder Anzeichen einer gegenwärtigen oder aufkommenden Hungersnot.

Nahrungsmittel wichtiger als politische Ideologie

Bedingt durch die naturräumlichen Bedingungen können nur ca. 20 Prozent der Fläche Nordkoreas landwirtschaftlich genutzt werden. Die Landwirtschaft wiederum ist konfrontiert mit sehr schwierigen Bedingungen, eiskalten Wintern von Dezember bis Februar und starkem Monsumregen von Juli bis September. Dazu kommt eine mangelnde staatliche Leistungsfähigkeit, es fehlt an Dünger, modernen Maschinen und Ersatzteilen, sowie an Treibstoff und Strom. Dennoch ist die Hungersnot der 90er Jahre schon seit vielen Jahren überwunden und die Nothilfe ist inzwischen von Selbsthilfeprojekten abgelöst worden. ...

Die Ernährungssicherung konnte in den Projektregionen stabilisiert werden, dennoch fehlt es nach wie vor an einer flächendenkenden Versorgung mit hochwertigen Nahrungsmitteln (reichhaltiges Gemüse und Obst, Fisch und Fleisch), so dass vor allem Kleinkinder von einer chronischen Fehlernährung betroffen sind. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Fragilität der Grundversorgung besonders spürbar. Ende April ist der Beginn der Mangelperiode, weil die Vorräte der letzten Ernte aufgebraucht sind und die nächste Ernte erst ab Oktober zur Verfügung steht. Die Menschen in Nordkorea haben daher momentan andere Sorgen als den bestehenden Konflikt oder militärische Mobilmachung: die Beschaffung von Nahrungsmitteln für die Sicherung der Existenz der eigenen Familie.

Veränderungen geschehen langsam und im Kleinen

Das Wirtschaftssystem Nordkoreas, basierend auf der Staatsphilosophie „Juche“, ist planwirtschaftlich ausgerichtet und wird im Allgemeinen verantwortlich gemacht für die chronischen Mängel in allen Lebensbereichen. Grundsätzlich fehlt es zwar an entscheidenden makroökonomischen Reformen zur Modernisierung des Wirtschaftssystems und die damit einhergehende Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung, dennoch haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche kleine Veränderungen ergeben, die in den großen Schlagzeilen untergehen. Im Sommer 2002 wurden erste wirtschaftliche Reformen durchgeführt, die ländlichen Genossenschaften stellen seitdem ihre Betriebspläne mit mehr Eigenverantwortung auf, d.h. sie können freier entscheiden, was sie anbauen, und den Überschuss selbst vermarkten. Verbunden mit dem Engagement der internationalen Gemeinschaft sind die Wirkungen der Reformen seit einigen Jahren deutlich spürbar, die Ernährungssituation der ländlichen Bevölkerung hat sich erheblich verbessert. ...

Der Schlüssel: Annäherung und Vertrauensbildung

Kritiker in Europa werfen uns oft vor, unsere Arbeit diene nicht allein den Menschen, sondern gezwungenermaßen auch dem Systemerhalt. ...

Im Gegensatz zu anderen Länden ist hier dennoch manches anders. Trotz chronischer Notlage in sämtlichen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens haben wir es in Nordkorea mit willensstarken und intakten staatlichen Strukturen zu tun. Vieles verläuft sehr bürokratisch, nicht zuletzt durch die restriktive Kommunikationspolitik. ...

Dennoch ist die Anwesenheit der Hilfsorganisationen nicht ohne Folgen geblieben. Seit über fünfzehn Jahren arbeiten Nordkoreaner und Ausländer zusammen, bauen gegenseitige Vorurteile ab. Nordkoreaner haben erkannt, dass Ausländer nicht amerikanische Spione sind, und Ausländer haben erkannt, dass Nordkoreaner nicht alle im Stechschritt marschierende Roboter sind. Statt Zuteilung und Verordnung erleben wir gemeinsames Planen und Durchführen. ...

Organisationen wie die Welthungerhilfe sind eines der wenigen Fenster, das die Nordkoreaner zur Außenwelt haben. Neben Studienreisen und Langzeitpraktika sehen sie durch die Zusammenarbeit wie „Zivilgesellschaft“ funktioniert. Dadurch wurde etwas geschaffen, was in der ganzen Bandbreite des Nordkorea-Konfliktes untergeht: gegenseitiges Vertrauen."

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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