Fundstück Nr. 14 - zum Thema Jugoslawien

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Kurt Köpruner (leider am 1.7.2011 verstorben), der in Jugoslawien vor und nach dessen Zerstörung war und das Buch "Reisen in das Land der Kriege. Erlebnisse eines Fremden in Jugoslawien" veröffentlichte, hat am 24. März 2004 Folgendes über die Brandstifter, die sich dort und anderswo als Feuerwehr aufspielen, gesagt:

"... 1. Juli 1991. An diesem Tag erklärte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl: “Deutschland soll die EG zur Anerkennung der beiden Republiken veranlassen”. Damit war das Signal gegeben. Ab diesem Tag machte Deutschland massiven Druck auf die übrigen EU-Staaten. Der Rest der Welt, sieht man von Österreich und dem Vatikan ab, war zu diesem Zeitpunkt noch strikt für den Erhalt des jugoslawischen Gesamtstaates.

Es gab zahllose eindringliche Warnungen vor den Folgen dieser Anerkennungspolitik. Lassen Sie mich die, weil von höchster Stelle kommend, markanteste Warnung nennen: Am 10. Dezember 1991, als Deutschland kurz davor stand, die abtrünnigen Republiken und damit die Zerstörung Jugoslawiens im Alleingang anzuerkennen, schrieb der damalige UN-Generalsekretär Perez de Cuellar an die zwölf EG-Außenminister. Ich zitiere: “Ich bin tief beunruhigt darüber, dass eine verfrühte, selektive Anerkennung den gegenwärtigen Konflikt ausweiten und eine explosive Situation hervorrufen könnte.” Der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher antwortete am 13. Dezember: “Die Verweigerung der Anerkennung jener Republiken, die ihre Unabhängigkeit wünschen, müßte zu weiterer Eskalation der Gewaltanwendung durch die Volksarmee führen, weil sie darin eine Bestätigung ihrer Eroberungspolitik sehen würde.” Perez de Cuellar schrieb postwendend, am 14. Dezember, zurück, dass – Zitat – “verfrühte selektive Anerkennungen eine Erweiterung des Konfliktes in jenen empfindlichen Regionen nach sich ziehen würden. Solch eine Entwicklung könnte schwerwiegende Folgen für die ganze Balkanregion haben und würde meine eigenen Bemühungen und diejenigen meines persönlichen Gesandten, die notwendigen Bedingungen für die Anwendung von friedenserhaltenden Maßnahmen in Jugoslawien zu sichern, ernstlich gefährden”.

Deutschland schlug die Warnungen in den Wind: Wenige Tage nach diesem unmissverständlichen – und prophetischen – Appell des UN-Generalsekretärs sprach die deutsche Bundesregierung die Anerkennung der Unabhängigkeit von Slowenien und Kroatien aus. Die elf weiteren EG-Staaten folgten am 15. Januar 1992, sie hatten sich nach monatelangem Widerstreben dem Druck Deutschlands gebeugt. “Wir konnten uns auf den Kopf stellen”, wurde Ruud Lubbers, der niederländische Ministerpräsident später zitiert, “die übrigen Europäer konnten noch so verwundert dreinschauen – die Deutschen gingen solo zu Werke. ...

Die unmittelbare Folge der Anerkennungspolitik war die rasche Ausweitung der Kriege, und zwar mit stets steigender internationaler Beteiligung. Genau das ist also eingetreten, was Genscher mit seiner Anerkennungspolitik verhindern wollte: “eine weitere Eskalation der Gewaltanwendung”. Und da man für das totale Scheitern der eigenen Politik einen Sündenbock braucht, lief während der gesamten neunziger Jahre eine fast beispiellose Diffamierung des ganzen serbischen Volkes ab. Die Serben sind an allem schuld, das wurde von Vukovar bis Dubrovnik, von Srebrenica bis Racak gleich tausendfach bewiesen. ... So einfach ist das, es braucht gar nicht mehr lange begründet zu werden. Es ist schlicht ein Faktum, obwohl es allen Fakten widerspricht, wie ich gleichfalls in meinem Buch nachgewiesen habe, und mit mir zahlreiche, auch weitaus Berufenere, andere.”

Der volle Text kann hier noch nachgelesen werden, solange die Seite existiert.

Es ist nur eine Sicht eines Menschen, der vor Ort war, aber eine interessante und im wahrsten Sinne des Wortes bemerkenswerte.

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Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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