Staatsstreich als Strafe für Nein-Sager

Ukraine Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch wurde für sein Nein gegenüber dem Westen bestraft, wie andere vor ihm. Der Westen fordert von den Putschisten nun "Reformen"

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Staatsstreich als Strafe für Nein-Sager

Foto: BULENT KILIC/AFP/Getty Images

Der gewählte Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch, ist nicht nur gestürzt, sondern wird den Meldungen zufolge inzwischen gar steckbrieflich gesucht. Das alles gehört nicht nur zu einem Staatsstreich, sondern auch zu einer Abrechnung und einem Rache-Feldzug. Es geht nicht nur gegen einen gewählten, aber von einigen gehassten Präsidenten. Davon künden die Meldungen über die regelrechte Denkmalstürmerei in der Ukraine, von der u.a. die ARD freudig am 23. Februar berichtete. Der fallen nicht nur die Lenin-Statuen in verschiedenen Orten zum Opfer, sondern sogar Denkmäler für die gefallenen Soldaten der Sowjetarmee, die gegen die faschistische deutsche Wehrmacht kämpften. Die haben zwar genauso wenig wie Lenin etwas mit Janukowitsch zu tun, aber das Geschehen zeigt, wer sich da in dem monatelangen Machtkampf auf der Straße durchgesetzt hat.

Zur Erinnerung: Janukowitsch wurde 2010 in freien und fairen Wahlen zum Präsidenten der Ukraine gewählt. Seine Wahl war auch das Ergebnis der Politik der „orangenen Revolutionäre“ unter Julia Timoschenko und Janukowitsch-Vorgänger Viktor Juschtschenko seit 2004. Wie ein demokratisch gewählter Präsident eines Landes zum von westlichen Politikern und Medien verteufelten Quasi-Diktator werden kann, scheint erstaunlich. Doch es ist nicht überraschend: Janukowitsch hat einmal zu oft Nein zu den Vorgaben des Westens gesagt. Nun ergeht es ihm wie schon anderen vor ihm, ob Slobodan Milosevic, Saddam Hussein, Muammar al-Gaddafi, Bashar al-Assad und andere vor diesen. Schon wurde er von Spiegel online wegen des Luxus in der Präsidenten-Datscha in diese Reihe gestellt. Einige von ihnen mussten es mit ihrem Leben bezahlen, dass sie den westlichen Interessen im Wege standen. Wie es Janukowitsch ergehen wird, bleibt abzuwarten, wird er doch gar des „Massenmordes“ bezichtigt.

Der gestürzte ukrainische Präsident war sicher kein Modell-Demokrat oder ähnliches. Sicher hat er auch sein Amt ausgenutzt, wie berichtet wurde. Janukowitsch gehörte wenig überraschend zu jenen, die sich nach dem Ende der Sowjetunion in den frühen 1990er Jahren bereicherten und heute als „Oligarchen“ bezeichnet werden. Er folgte dabei wie die anderen allerdings nur einem alten kapitalistischen Prinzip: "'Enrichissez vous' - Bereichert Euch! Mit dieser Parole kam das Juste Milieu des Großbürgertums, der Geldaristokratie einst in Frankreich zur Macht." An dieses "unschlagbare Programm von genialer Kürze", erinnerte Michael R. Krätke 2007 in einem Text. Als Präsident schaffte Janukowitsch nicht, was er bei seiner Wahl versprach und was sich viele in der Ukraine nach den „katastrophalen Jahren“ unter Timoschenko und Juschtschenko von ihm erhofften: „Stabilität und einen starken, zur Not auch autoritären Präsidenten, der sie aus der Krise führt“, wie es 2010 in der Zeit beschrieben wurde. Janukowitsch hat die sozialen Probleme in dem Land nicht bewältigt, die mit zu den Ursachen für die Proteste gegen ihn zählen dürften. Aber eines war er mit Sicherheit nicht, was uns manche Medienberichte, die ihn dem Propagandadrehbuch der Regimewechsler und Kriegstreiber gemäß dämonisieren, weismachen wollen: Ein Diktator. Mit solchen hatte und hat der ja Westen nie ein Problem – solange sie dessen Interessen nicht im Wege stehen.

Das Nein gegenüber der EU wurde zum Verhängnis

Dem ukrainischen Präsidenten wurde neben den enttäuschten Hoffnungen der Ukrainer zum Verhängnis, dass er sich den westlichen Interessen verweigerte, als er im November 2013 das Assoziierungsabkommen mit der EU auf Eis legte. Janukowitsch meinte, das Land sei „wirtschaftlich noch nicht reif für eine Partnerschaft mit der Europäischen Union“. Das hörten nicht nur jene in der Ukraine mit Schrecken, die sich ausgerechnet von der EU erhoffen, dass diese ihre Lage bessert. Während sie auf dem Kiewer Maidan-Platz protestieren gingen, wurden im Westen die Regimewechsler aktiv. Janukowitsch hatte sich auch erlaubt zu sagen, dass das Abkommen mit der EU erst unterzeichnet werde, „wenn es unseren Interessen entspricht, wenn wir unter normalen Bedingungen verhandeln können“. Dazu bezeichnete er auch noch das Verhalten des Internationalen Währungsfonds als „erniedrigend“. Das rief jene auf den Plan, die seit vielen Jahren die Ukraine als Bollwerk gegen den „russischen Imperialismus“ sehen, um die eigene Vorherrschaft zu sichern.

Es ging und geht dabei auch um die wirtschaftlichen Interessen der westlichen Unternehmen, die von den Politikern der EU und USA vertreten und verteidigt werden. Mit dem Assoziierungsabkommen sollten die „vier kapitalistischen Freiheiten in den internationalen Beziehungen: freier Verkehr von Waren, Kapital, Dienstleistungen und - quotiert – Arbeitskraft“ vertraglich gesichert werden, wie Hannes Hofbauer am 2. Dezember 2013 in der Tageszeitung Neues Deutschland klarstellte. Nicht nur die Ukraine sollte dem Ende November in Vilnius zustimmen, auch Moldova, Georgien, Armenien, Aserbaidshan und Belarus. Doch nur die moldawische und die georgische Delegation unterschrieben ein solches Abkommen. Das späte Nein aus Kiew habe nicht nur etwas mit der von Brüssel angestrebten Militärkooperation zu tun. Diese „würde nicht nur in Sewastopol, wo die russische Marine stationiert ist, geopolitische Sprengkraft entfalten“.

Hofbauer verwies auf die ukrainische Außenhandelsstruktur als einen Grund für das Nein: „Die Exporte in die EU beschränken sich nämlich hauptsächlich auf Rohstoffe wie Kohle und Stahl, während in Richtung Russland Maschinen und Lebensmittel geliefert werden. Ukrainische Industrieprodukte sind am EU-Markt nicht konkurrenzfähig, weshalb das EU-Versprechen auf Markterweiterung ein einseitiges ist. Profitieren würden nur Westfirmen, die sowohl einen großen Absatzmarkt als auch den ukrainischen Arbeitsmarkt, auf dem der durchschnittliche Monatslohn knapp 300 Euro brutto beträgt, nützen könnten.“ Das ukrainische Nachgeben auf den russischen Druck habe auch etwas mit dem Gaspreis zu tun gehabt. Belarus, das der Zollunion mit Russland und Kasachstan angehört, muss für 1000 Kubikmeter sibirisches Gas 169 Dollar bezahlen. Der russische Monopolist Gazprom berechne der Ukraine dagegen aktuell 420 Dollar. „Moskau hatte damit schlicht die härteren ökonomischen Argumente auf seiner Seite.“ Die EU verlangte dagegen von der Ukraine weitere „Reformen im Pensionssystem und im öffentlichen Sektor“ sowie mehr Liberalisierung und Privatisierung „in Abstimmung mit der besten EU-Praxis“. Darauf machte Hofbauer in einem Beitrag in Heft 24 der Zeitschrift Lunapark 21 aufmerksam. Was die geforderte Privatisierung nach EU-Vorgaben bedeute, „kann man sich zwischen Rostock und Sofia ansehen“.

Hofbauer bezeichnete in der österreichischen Zeitung Die Presse das ukrainische Nein nicht nur als „ökonomisch vernünftig“. In Neues Deutschland bezifferte er auch den Preis, den Janukowitsch von der EU für ein Ja erwartete: „Er will von Brüssel 160 Milliarden Euro für den Fall, dass er doch noch unterschreiben sollte - und zwar als Kompensation für zu erwartende Ausfälle im Ostgeschäft.“ Damit dürfte er endgültig zu weit gegangen sein und den Westen gegen sich aufgebracht haben. Dass dessen Regimewechsler auch in Kiew aktiv wurden, davon zeugen nicht nur die vielen Politiker und Berater aus dem Westen, die sich nicht nur an den Feuern der Demonstranten auf dem Maidan-Platz wärmten. Am 30. November erklärte das US-Aussenministerium: „Wir werden weiter die Bestrebungen des ukrainischen Volkes unterstützen, eine wohlhabende europäische Demokratie zu werden. Die europäische Integration ist der sicherste Kurs für Wirtschaftswachstum und um die ukrainische Demokratie zu stärken.“ Das ist die Linie, die Zbigniew Brezinski schon 1997 in seinem Buch „Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft“ beschrieb. Die für Europa und Eurasien zuständige Abteilungsleiterin des US-Außenministeriums Victoria Nuland flog kurz darauf nach zu einer OSZE-Konferenz in Kiew, wo sie sich am 6. Dezember 2013 mit „Oppositionsführer“ Witali Klitschko traf. Auf der OSZE-Konferenz hatte sie zuvor wiederholt, wo die US-Regierung steht: „We stand with the people of Ukraine who see their future in Europe and want to bring their country back to economic health and unity.“ Vier Tage später versprach sie auf dem Maidan-Platz den Demonstranten Unterstützung, bevor sie Janukowitsch traf, um dem klarzumachen, was die USA von ihm erwarten. Nuland verteilte auf dem Maidan gemeinsam mit US-Botschafter Geoffrey Pyatt ganz gönnerhaft auch Versorgungspakete, an Demonstranten und Polizisten, die aber nur von den ersten angenommen wurden. Kurze Zeit später zeigte sie mit ihrer Bemerkung gegenüber Pyatt „Fuck the EU“, was sie von den europäischen Einmischungsversuchen hielt. Die US-Position zeichne sich dagegen „vor allem durch Ungeduld aus“, stellte die Neue Zürcher Zeitung am 8. Februar fest: „Das State Department dringt mit aller Kraft darauf, die Restauration der Verhältnisse vor der orangen Revolution durch Präsident Wiktor Janukowitsch und dessen Mentor im Moskauer Kreml zurückzudrängen, und zweifelt daran, dass die EU in der Lage ist, zu diesem Zweck genügend Härte zu zeigen.“ Die Schweizer Zeitung ging noch weiter: Nulands Bemerkung widerlege „die in Washington gern gemachte Behauptung, die Zukunft der Ukraine liege alleine in den Händen des ukrainischen Volks“.

Spuren der "Schakale" in Kiew

Wie weit die Unterstützung der US-Regierung für die gewalttätigen Barrikadenkämpfer in Kiew ist derzeit schwer zu belegen. Sicher bin ich mir, dass Nuland und Pyatt die rechten Kräfte von „Swoboda“ und „Rechter Sektor“ nicht zu Gewaltfreiheit aufriefen. Stephen Cohen hatte in der US-Zeitschrift The Nation am 11. Februar darauf hingewiesen, dass die mediale Aufregung um Nulands EU-Beleidigung nur ablenkte. Wichtiger sei gewesen, dass die US-Diplomaten planten, eine neue anti-russische Regierung in der Ukraine zu installieren und den gewählten Präsidenten „zu verdrängen oder zu neutralisieren“. Das bedeute einen Staatsstreich, machte Cohen aufmerksam. Das Geschehen in Kiew bis zur Absetzung und Flucht von Janukowitsch erinnerte mich u.a. an den CIA-gesteuerten Putsch im Iran 1953 gegen Mohammed Mossadegh. Die "Operation Ajax" wurde 60 Jahre später offiziell bestätigt. Sie "sollte mit einer massiven psychologischen Kampagne gegen Mossadegh vorbereitet werden", erinnerte Stephen Kinzer 2009 in seinem Buch "Im Dienste des Schah – CIA, MI6 und die Wurzeln des Terrors im Nahen Osten". "Und dann sollte die Nachricht kommen, dass der Schah den Premierminister seines Amtes enthoben habe. Straßenbanden und Armeeeinheiten, deren Führer auf der Gehaltsliste des CIA standen, würden jeden Widerstandsversuch von Mossadegh im Keim ersticken. ... Anfang August stand Teheran in Flammen. Vom CIA finanzierte Banden protestierten gegen Mossadegh, sie zogen mit Transparenten und Schahbildern durch die Straßen und skandierten royalistische Parolen. Parlamentsmitglieder und alle, die sonst noch beim bevorstehenden Staatsstreich hilfreich sein konnten, wurden von ausländischen Agenten bestochen.
Die Angriffe in der Presse gegen Mossadegh wurden immer heftger. In Artikeln wurden ihm Hang zum Kommunismus, Schielen nach dem Thron, jüdische Abstammung und insgeheime Sympathien für die Briten unterstellt. ..." (S. 33f.).

Janukowitsch ist sicher nicht mit Mossadegh vergleichbar, aber die Ereignisse und zugrunde liegenden Interessen ähneln sich dafür umso mehr. Sie erinnern mich auch daran, was John Perkins 2004 in seinem Buch "Bekenntnisse eines Economic Hit Man – Unterwegs im Dienste der Wirtschaftsmafia" beschrieb und in dem Film "Let's make money" berichtete: "Wirtschaftskiller suchen ein Land mit Ressourcen aus, mit denen unsere Firmen arbeiten. Erdöl zum Beispiel. Dann arrangieren wir einen riesigen Kredit für das Land von der Weltbank oder einer ihrer Schwesterorganisationen. Doch dieses Geld kommt nie in diesem Land an. Stattdessen fließt es an unsere Firmen, die dafür riesige Infrastrukturprojekte in dem Land abwickeln. Dinge, die wenigen Reichen in dem Land nützen sowie unseren Firmen. Doch den meisten Menschen bringen sie nichts, weil sie zu arm dafür sind. Doch die arme Bevölkerung muss nun riesige Schulden abtragen, so riesig, dass sie sie niemals zurückzahlen können. Doch bei dem Versuch, die Schulden zurück zu zahlen, kommen sie in eine Lage, wo sie sich weder Gesundheits- noch Ausbildungsprogramme leisten können. So sagen die Wirtschaftskiller zu den Leuten: Ihr schuldet uns viel Geld. Ihr könnt eure Schulden nicht bezahlen, also zahlt uns in Naturalien. Verkauft euer Öl billig an unsere Ölfirmen, stimmt bei der nächsten kritischen UNO-Abstimmung mit uns. Unterstützt unsere Truppen, z.B. im Irak. ... Denn Tatsache ist: Wir schreiben die Gesetze. Wir kontrollieren die Weltbank. Wir kontrollieren den Internationalen Währungsfonds. Wir kontrollieren sogar die UNO in hohem Maße. Wir schreiben also die Gesetze. Insofern tun Wirtschaftskiller nichts Ungesetzliches. Ländern große Schulden aufbürden und dann eine Gegenleistung verlangen, ist nicht verboten. Es sollte verboten sein, ist es aber nicht." Wenn es den Wirtschaftskillern einmal nicht gelinge, die Regierung eines Landes zu korrumpieren, würden die Schakale losgeschickt, erklärte Perkins: "Das sind Menschen, die Regierungen stürzen oder deren Führer ermorden." Sie seien immer da, "sie lauern im Schatten", so Perkins im Buch. "Wenn sie auftauchen, werden Staatschefs gestürzt oder sterben bei 'Unfällen'." (S. 28) Im Buch und in dem Film verweist er auf ein anderes Beispiel: "Saddam Hussein drohte, Erdöl auch gegen eine andere Währung zu verkaufen. Kurz bevor er gestürzt wurde ... Hätte er nachgegeben, würde er heute noch regieren. Wir würden ihm Flugzeuge und Panzer und sonst noch alles Mögliche verkaufen." Die Ukraine hat zwar kein Erdöl, aber neben ihrer geopolitischen Bedeutung riesige Eisenerzvorkommen zu bieten. "Die Ukraine ist Europas wichtigstes Eisenerzlager", so ein Online-Magazin für Investoren im Jahr 2008. "Das Potenzial der ukrainischen Eisenerzförderung als Schlüsselindustrie für West- und Osteuropa sowie Westrussland ist enorm." Die Ukraine sei der weltweit sechstgrößte Eisenerzförderer.

Übrigens hatte Brzezinski schon 1997 Nulands Kritik an der angeblich zu „weichen“ EU-Politik in Sachen Regimewechsel in der Ukraine vorweggenommen: „Weder Frankreich noch Deutschland ist stark genug, um Europa nach seinen Vorstellungen zu bauen oder mit Rußland die strittigen Probleme zu lösen, die eine Festlegung der geographischen Reichweite Europas zwangsläufig aufwirft. Dies erfordert ein energisches, konzentriertes und entschlossenes Einwirken Amerikas besonders auf die Deutschen, um die Ausdehnung Europas zu bestimmen und um mit – vor allem für Rußland – derart heiklen Angelegenheiten wie dem etwaigen Status der baltischen Staaten und der Ukraine innerhalb des europäischen Staatenbundes fertig zu werden.“ (S. 110, Taschenbuchausgabe 1999) In der Bundesrepublik wurden die Signale aus Washington anscheinend inzwischen verstanden. Zwei Mitarbeiter der SPD-nahen Friedrich Ebert-Stiftung schrieben am 21. Februar: „… nun liegt es allerdings an uns Europäern unter Beweis zu stellen – wenngleich möglicherweise zu spät –, dass Nulands Aussage auch inhaltlich fehlgeht.“ Unfreiwillig benennen die beiden Autoren in einer Zwischenüberschrift die westliche Strategie: „Wenn Kritik nicht ausreicht: Die Eskalation in der Ukraine“. In dem Text wird klar gestellt: „Einer zukünftigen ukrainischen Regierung muss eine rasche Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU ermöglicht werden. Grundvoraussetzung hierfür ist die vollständige Erfüllung der notwendigen Reformbedingungen.“ Dass die deutschen Politiker, auch die Sozialdemokraten, verstanden haben, hat Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier eindrücklich belegt. „Der deutsche Außenminister setzt die Agenda in der Ukraine; Frank-Walter Steinmeier – und nicht die EU-Chefdiplomatin Lady Ashton! – vermittelt ein Abkommen zwischen Regierung und Opposition“, so Jörg Kronauer in der Tageszeitung junge Welt am 26. Februar. „Berlin gibt seinen Segen, als die Opposition tags drauf das Abkommen bricht und per Umsturz die Macht an sich reißt.“ Wie weit das geht, beschreibt das Blatt an anderer Stelle: „Nach Monaten verdeckter Koordination mit ukrainischen Faschisten hat sich das Auswärtige Amt nun offen zu seiner Kooperation mit der Swoboda-Partei bekannt: Das Ministerium zeigt auf seiner Website ein Foto, das deren Führer Oleg Tjagnibok bei Verhandlungen mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier in den Räumen der deutschen Botschaft in Kiew zeigt.“

Verhebt sich der Westen an der Ukraine?

Inzwischen haben die Putschisten, die Janukowitsch stürzten, angekündigt, die Ukraine dem Westen auf dem Silbertablett zu servieren. Es gibt zwar noch keine berufene „Übergangsregierung“, aber eine solche wurde vom Westen schon vorbehaltlos anerkannt. „Der kommissarisch amtierende Finanzminister der Ukraine, Juri Kolobow, schlug in Kiew eine internationale Geberkonferenz für sein Land vor“, meldete u.a. die Deutsche Welle am 24. Februar. Spiegel online machte den Mann gleich zum richtigen Finanzminister und nannte ihn in Kobolow um. Solche Details scheinen aber unwichtig, bettelte er doch den Westen um Hilfe an: "Wir haben unseren internationalen Partnern vorgeschlagen, uns innerhalb der nächsten ein bis zwei Wochen Kredite zu gewähren." Die in den Berichten benannten notwendigen 25 bis 35 Milliarden Euro für die Ukraine sind doch deutlich weniger als der von Janukowitsch benannte "Preis" von 165 Milliarden Euro. Die Gegenleistung, die der gestürzte Präsident noch verweigerte, haben EU, USA und Internationaler Währungsfonds (IWF) auch schon klargemacht: Ein entsprechendes Abkommen „müsse einschneidende Reformen vorsehen, die das Land bisher nicht umgesetzt habe“, schrieb das Handelsblatt am 25. Februar. „Im Westen sorgt man sich bereits, daß bei ausbleibenden Rentenzahlungen, steigenden Lebensmittelpreisen und unbezahlbarer Energie ‚der Geist des Maidan schnell verfliegen könnte‘“, meinte Reiner Rupp in der Zeitung junge Welt am gleichen Tag. „An der Ukraine scheint sich die westliche Umsturzgemeinschaft verhoben zu haben“, so seine Einschätzung. Wenn der Kreml auf die Entwicklungen bisher ruhig und besonnen reagiert habe, "so dürfte das auch damit zu tun haben, daß er – was die Ukraine betrifft – am längeren Hebel sitzt". Der weitere Gang der Dinge wird zeigen, wer die Ukraine für zu leicht befand.

Nachtrag vom 6.3.14: "BRÜSSEL--Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk will das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union so schnell wie möglich unterzeichnen. "Wir sind fest davon überzeugt, dass die EU die Ukraine unterstützt, und wir sind auch überzeugt, dass die EU und die Ukraine ein Assoziierungsabkommen unterschreiben werden", sagte der Politiker nach dem Treffen mit den EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel." (Quelle) In der Schule wurde das mit "w.z.b.w. = was zu beweisen war" abgeschlossen. Vor allem bei der unvollständigen Nachricht, bei der es noch heißt: "Der abgedankte Präsident Viktor Janukowitsch hatte das Abkommen Ende November unter den Tisch fallen lassen und damit die Massenproteste auf dem Unabhängigkeitsplatz ausgelöst, die schließlich zu seiner Absetzung führten." Da wird weggelassen, dass Janukowitsch nur Bedingungen für seine Unterschrift stellte und dass es am 12. Dezember 2013 u.a. beim ZDF hieß: "Der stellvertretende Regierungschef kündigte an, sein Land werde das Freihandels- und Assoziierungsabkommen mit der EU bald unterzeichnen - und dabei die nationalen Interessen berücksichtigen." Dann blockierte aber die EU, wie am 15. Dezember 2013 u.a. Spiegel online meldete: "Die EU-Kommission verliert die Geduld mit der ukrainischen Regierung. Die Arbeit an dem geplanten Partnerschaftsabkommen mit dem Land sei vorerst gestoppt, teilte der zuständige Kommissar mit." da hatten die Proteste auf dem Maidan-Platz längst ihren (gewünschten) Lauf genommen ...

aktualisiert am 6.3.14; 18:38 Uhr

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Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

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