Gewalt in Syrien und die Rolle des Westens

Syrien Die Kakophonie der Gewalt in Syrien geht weiter.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das nächste mutmaßliche Massaker wurde gemeldet. Die Opferzahlen unterscheiden sich je nach Quelle deutlich. Eines soll aber klar sein: Die syrischen Regierungstruppen haben wieder Zivilisten massakriert. Und: Nun muss der Westen endlich auf Seiten der Rebellen eingreifen.

Ich habe schon im April in einem Kommentar geschrieben: „Merken Sie eigentlich, dass erstaunlicherweise genau jetzt diese Nachrichten kommen, die gebraucht werden, um den Waffenstillstand zu torpedieren? Ich kann Ihnen versichern, diese Nachrichten werden so lange kommen, bis die USA ihre UN-Resolution bekommen, die ihnen formal das Zuschlagen erlaubt, in welcher konkreten Form auch immer.“ Solche Prophezeiungen sind auch nicht schwer angesichts der Lage und der Entwicklung in Syrien. Bei Hula war klar, das es leider nicht das letzte Gräuelereignis bleiben wird, wie unter anderem Professor Fawaz A. Gerges feststellte. Interessant ist, dass der UN-Menschenrechtsrat bei seinem Bericht zu Hula sich nur auf eine Quelle aus dem Oppositionslager stützte. Da war das Ergebnis vorher bestimmt: Präsident Bashar al-Assad und die syrische Regierung sind Schuld. Dafür wird auch ignoriert, dass der Chef der UN-Mission in Syrien, General Robert Mood, am 27. Mai feststellte: „Es ist noch zu früh, die genauen Umstände zu bestimmen, die zu diesen tragischen Tötungen führten.“ Erst wenn er im Besitz aller beweiskräftigen Erkenntnisse sei, werde er die entsprechenden Schlussfolgerungen in einem Bericht formulieren.

Die USA arbeiten auf eine UN-Resolution zur Gewaltanwendung gegen Syrien hin, wird prompt erneut gemeldet. "Wenn Syrien keine substantiellen Fortschritte (bei der Umsetzung des Friedensplans des UN-Sondergesandten Kofi Annan) verzeichnet, werden die USA und einige andere Länder bald entsprechende Handlungen gegen das Regime in Damaskus beschließen. Im Notfall auch solche, die vom Kapitel 7 der UN-Charta vorgesehen sind." Das hat US-Finanzminister Timothy Geithner laut RIA Novosti gesagt. „Hillary Clinton denkt inzwischen laut darüber nach, im Rahmen eines UN-Mandats militärisch in Syrien einzugreifen. 'Jeder Tag, der vergeht, stärkt die Argumente dafür'", erklärte die amerikanische Außenministerin laut sueddeutsche.de zuvor schon und warf Russland vor, zu einem Bürgerkrieg beizutragen. Schon mehrfach war aus Washington zu hören, dass die USA für einen Schlag gegen Syrien die UNO nicht brauchen.

Wie gehabt wird die syrische Regierung dafür verantwortlich gemacht, dass die Gewalt trotz des Friedensplanes von Kofi Annan nicht endet, sondern eher ausufert. Für diese Sicht werden auch alle gegenläufigen Fakten, auf die ich schon mehrmals hinwies, ignoriert. Selten, aber dennoch sind Berichte zu lesen, die den Schluss zu lassen, dass gerade die syrische Regierung sich bemüht, den Friedensplan einzuhalten. Einen brachte die Neue Zürcher Zeitung am 6. Juni. Weil er zeigt, dass die Lage vielleicht anders ist als sie laut der schnellen Vorverurteilungen nach dem nächsten Massaker zu sein scheint, sei daraus ausführlich zitiert: „Damaskus hat sich allerdings erneut zum Friedensplan der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga bekannt, der den Machtkampf in Syrien entschärfen soll. Nach einem Treffen mit dem Kommandanten der Uno-Beobachter im Land, dem Norweger Robert Mood, sagte Vizeaussenminister Makdad, Syrien werde für den Erfolg des Annan-Plans arbeiten. Mit fast 300 Beobachtern ist die Uno-Mission im Land nun vollständig.
Der Annan-Plan hat laut diversen Statistiken von Oppositionsgruppen im Vergleich zu den Vormonaten zu einer Verminderung der Opferzahlen um rund ein Drittel geführt. Da seit dem Inkraftsetzung des Annans-Plans sowohl laut der Opposition wie dem Regime Zusammenstösse zwischen Regierungstruppen und Rebellenverbänden zugenommen haben, drängt sich der Schluss auf, dass heute ein grösserer Anteil der Toten Militärs sind und die Zahl der zivilen Opfer zurückgegangen ist.
Das liegt wohl daran, dass die Sicherheitskräfte heute ihre Stellungen gegen die militärisch gerüsteten Aufständischen verteidigen oder die Rebellen aus Dörfern und Quartieren vertreiben müssen, in denen sie sich festgesetzt haben. Zur Repression von Kundgebungen, die in den ersten Monaten des Aufstands am meisten Tote gefordert hatte, fehlen der Armee heute die Mittel. Die Sicherheitskräfte haben laut der Opposition in den letzten Wochen aber die Suche nach Aktivisten und Anführern des Widerstands verstärkt und Hunderte von ihnen festgenommen.“

In dem Zusammenhang ist interessant bzw. passend, was der schon erwähnte Professor Gerges in New Statesman schreibt: "Syrien ist in den Klauen eines bewaffneten Konflikts und es ist kein Ende in Sicht. Chaos und Gewalt haben sich ausgeweitet, darunter Entführungen, Morde und Autobomben. Die staatlichen Behörden in Damaskus haben nicht länger das Monopol, Gewalt anzuwenden, und sie sind unfähig, das Land zu kontrollieren. Immer mehr Regimegegner haben zu den Waffen gegriffen; die Freie Syrische Armee ist nur eine unter vielen bewaffneten Einheiten, die unabhängig voneinander operieren. Der Zerfall hat begonnen."

Die bewaffneten „Rebellen“ unterschiedlicher Herkunft in Syrien hatten nie die Absicht, den Annan-Friedensplan zu beachten. Sie sind sich von Anfang an sicher, dass der Westen ihr Hauptziel teilt: Assad muss weg. Sie wissen um diese politische und mediale Rückendeckung. Warum sollten sie dann die Waffen niederlegen, nur weil Annan sagt: „"This message of peace is not only for the government but for everyone with a gun." Sie wissen doch auch, dass die “Freunde des syrischen Volkes” längst die Zeit nach Assad planen: „Wir sind gemeinsam mit unseren Partnern auf die Vorbereitung der Machtübergabe in Syrien konzentriert“, so der Sprecher des Weißen Hauses Jay Carney laut RIA Novosti. Und die Rebellen versuchen alles, die USA dahin zu bekommen, diesen Regimewechsel zu beschleunigen.

Das Ziel des Annan-Friedensplanes, Syrien zu stabilisieren, teilen die inneren und äußeren Gegner Assads nicht, solange der syrische Präsident an der Macht ist. Alle Bekenntnisse westlicher Politiker für eine friedliche Lösung sind geheuchelt. Das und die Unterstützung für die bewaffneten „Rebellen“-Gruppen zeigen, dass der Westen mitverantwortlich ist für die ausufernde Gewalt in Syrien. Die Analyse von Joachim Guilliard „Syrien – Der gefährliche Mythos einer „friedlichen Revolution““ lässt den Schluss zu, dass der Westen vielleicht auch die Hauptverantwortung für die gewalttätige Entwicklung des syrischen Konfliktes trägt.

Zur Frage, ob Assad vielleicht in einer Art Untergangsstimmung sein Land einer Intervention der "internationalen Staatengemeinschaft" preisgibt, passt vielleicht indirekt ein Text von Robert Fisk aus dem Jahr 2003: "Würde Präsident Assad eine Cruise Missile in seinen Palast einladen?" Da gibt es einige interessante Textstellen ...

aktualisiert 20.14 Uhr; erneut aktualisiert am 8.6.12, 1.26 Uhr

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden