Über die Falltüren politischer Kommunikation

Rassismus In der Debatte um Hahns Äußerungen über Röslers „asiatisches Aussehen“ ist einiges durcheinander geraten. Versuch einer Einordnung

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Über die Falltüren politischer Kommunikation

Foto: Hoang Dinh Nam / AFP / Getty Images

Das Land, zumindest größere Teile derjenigen seiner Bewohner, die sich aus beruflichen Gründen oder freiem Antrieb mit der Medienlandschaft auseinandersetzen, ächzen noch unter den Debatten über Antisemitismus und Sexismus, welche aufmerksamkeitsökonomisch in den letzten Wochen vordere Plätze belegten. Einiges an Aufwand bedurfte es, Aufgeregtheit, Geltungsdrang und bloße Polemik zu unterscheiden von sachlicher Argumentation oder zumindest dem Bemühen darum. Nun sieht sich das nächste Kapitel notwendiger gesellschaftlicher Kontroverse – Rassismus, in diesem Fall mit einer Akzentuierung hinsichtlich des politischen Feldes – der Bedrohung ausgesetzt, durch Scheindebatten, selbstgerechte Ignoranz und politische Instrumentalisierung argumentativ verramscht werden.

Aktives Missverstehen als Instrument der politischen Auseinandersetzung

Gegen die akute Verramschungsgefahr könnte eine Vorabklärung der Frage helfen, worüber die sich zu Wort meldenden Akteure eigentlich zu sprechen gedenken. Mindestens zwei verschiedene Aspekte werden in der Diskussion miteinander verknüpft: Das Rassismusproblem selbst sowie die Frage, ob, wie oder wann ein Politiker solch ein Thema in der Öffentlichkeit ansprechen sollte. Der Verknüpfung beider Sachverhalte mag die Absicht zugrunde liegen, dem jeweiligen politischen Gegner zu schaden, denn man kann über das eine sprechen (Hahn bedient rassistische Klischees bzw. ist selbst ein Rassist), während eher das andere existiert (Hahn hat auf die falsche Art eine relevante Frage aufgeworfen). Oder das eine und das andere in umgekehrter Reihenfolge, je nach politischem Lager. Doch egal, worüber jeweils gesprochen wird, Kritik kann sich stets des Mehrheitsgefühls sicher sein, dass Jörg-Uwe Hahn etwas falsch gemacht hat und mit zustimmendem Applaus belohnt werden. Tatsächlich aber liegen Welten zwischen dem Vorwurf, er sei ein Rassist und der Beurteilung, er habe sich politisch naiv verhalten.

Das beschriebene Prinzip und seine Auswirkungen haben wenig Begrüßenswertes an sich, sind aber Teil der politischen Realität. Von den Akteuren selbst dürfte ein Einblick in die Funktionsprinzipien ihres Geschäftes kaum zu erwarten sein, lebt es doch nicht zuletzt von der Verschleierung derselben. Anrecht auf mediale Verdopplung indes besteht nicht, ganz im Gegenteil, denn diese Art politischer Kommunikation schadet der sachlichen Auseinandersetzung mit wichtigen gesellschaftlichen Fragen. Die hier verhandelte Differenz zwischen Rassismus und politischer Naivität ist eminent wichtig und muss gegen ihre Einebnung geschützt werden. Aus diesem Grund sollen zwei Thesen formuliert werden, die zu banal erscheinen mögen, um das mediale Spiel hinsichtlich Aufmerksamkeit erfolgreich zu bedienen. Doch könnten sie den Problematiken Rassismus und Funktionsweise des politischen Feldes gegenüber aufschlussreich sein:

1. Die Frage, ob und in welchem Maße Rassismus bei der Beurteilung politischer Akteure eine Rolle spielt, ist absolut angebracht, jedoch fällt es eher in den Aufgabenbereich von Wissenschaftlern und Journalisten, sie zu stellen.

2. Dies nicht bedacht zu haben, darf man guten Gewissens als falsches politisches Handeln seitens Jörg-Uwe Hahn kritisieren.

Die normative Qualität von Kommunikation in der Politik

Hahns Aussage war unklug aus einem einfachen Grund: Wortmeldungen von Politikern werden selten deskriptiv, sondern meist normativ aufgefasst. Ihre Äußerungen gelten in der Beurteilung durch die politischen Gegner, die Wähler und die Journalisten nie als wertungsfreie Beschreibung eines Ist-Zustandes, sie werden vielmehr als mit wünschender Tendenz versehene Soll-Aussagen gelesen. Die Psychologie kennt das Prinzip des Priming, welches hier greift und besagt, dass bestimmte Reize (z.B. die optische Wahrnehmung Röslers) in ihrer kognitiven Verarbeitung (Wie ist sein Aussehen zu beurteilen?) davon beeinflusst werden, welche unbewussten Gedächtnisinhalte zuvor aktiviert wurden („asiatisches Aussehen“ und die Funktion als deutscher Vizekanzler passen nicht zusammen).

Die Formulierung von Jörg-Uwe Hahn, dass er gerne wissen würde, „ob unsere Gesellschaft schon so weit ist, einen asiatisch aussehenden Vizekanzler auch noch länger zu akzeptieren", wird demzufolge dahingehend interpretiert, dass Hahn sich selbst nicht sicher ist, ob man solch einen Parteivorsitzenden akzeptieren könnte oder ob die deutsche Wählerschaft den FDP-Parteichef Rösler akzeptieren sollte. Aus seiner im Prinzip beschreibenden Feststellung wird so eine Legitimation dafür abgeleitet, Rösler aufgrund seines „asiatischen Aussehens“ weniger zu schätzen als Politiker, auf die solch eine Beschreibung nicht zutrifft. Dies war von Hahn sicher nicht beabsichtigt, dennoch hat er seine Worte kontraproduktiv und unverantwortlich gesetzt. Für einen erfahrener Politiker sollte es zum Einmaleins seiner Arbeit zählen, sich des normativen Charakters seiner Aussagen bewusst zu sein, und vor diesem Hintergrund ist gerade solch eine verkürzte und irrlichternde Aussage, wie er sie getätigt hat, unverantwortlich. Ein Ausweg aus diesem Dilemma – Aussagen von Politikern werden stets normativ gelesen – läge in der detaillierteren Erläuterung ihrer Absichten, denn es kann keineswegs im Sinne der politischen Kultur sein, das beschriebene Funktionsprinzip widerspruchslos zu akzeptieren. Dafür bräuchte es den Willen der Politiker, ausführlicher zu sprechen, Raum durch die Medien, jenseits von Zuspitzung differenzierte Erklärungen zuzulassen und das Verständnis der Bürger für den Umstand, dass die Welt außerordentlich komplex ist und wichtige Sachverhalte nicht ohne weit reichende Verzerrung in drei Hauptsätzen darzulegen sind.

So wäre es an Hahn gewesen, zunächst seine Aussage bezüglich Rösler zu tätigen, dann darauf hinzuweisen, dass er sich seiner Verantwortung als Politiker bewusst sei und ihm klar wäre, dass seine Aussage nicht automatisch beschreibend - so wie er es gemeint hätte - aufgefasst würde, sondern möglicherweise normativ. Auch auf die Gefahr hin, aus genannten Gründen missverstanden zu werden, so hätte er formulieren können, sei es ihm jedoch ein Anliegen, auf das Unterscheidungsmerkmal von ethnischer Differenz hinzuweisen, welches in der offiziellen Lesart der politischen Landschaft keine Rolle spiele, da es keine Rolle spielen dürfe. Jedoch sei kein Mensch völlig frei gegenüber dieses Kriteriums, er selbst auch nicht, und deshalb würde eine regelmäßige Reflexion, sei sie individuell, sei sie gesellschaftlich, über die tatsächlichen Motive von größerer oder geringerer Sympathie gegenüber bestimmten Politikern gut tun. Als Kenner der Materie, der er als Minister u.a. für Integration sein sollte, hätte Hahn dabei auf Studien hinweisen können, welche seine Aussage unterstützen. Auch das hat er versäumt. Aus dem Umstand jedoch, dass Hahn die Vermutung ausspricht, ethnische Kategorien könnten bei der Beurteilung von Politikern eine Rolle spielen, abzuleiten, er selbst sei Rassist, da nur jemand, der selbst so denke, annehmen könne, dass andere ebenso denken, ist kompletter Unsinn. Man denke nur an Wissenschaftler, welche über Rassismus oder Delinquenz forschen oder an Schriftsteller, in deren Romanen Verbrechen beschrieben werden, um sich der Absurdität dieses Gedankens bewusst zu werden.

Wo die Rassismusfrage hingehört

Das Problem ethnisch bedingter Vorbehalte ist zweifellos von hohem Interesse für einen Sozialwissenschaftler oder einen Meinungsforscher, beide könnten sich der Frage auf theoretischer Ebene und mithilfe passender empirischer Befragungen widmen. Auf diesem Wege sollte es gelingen, zum Themenbereich rassistischer Tendenzen in der deutschen Bevölkerung eine fundierte Antwort zu finden, die hinausgeht über das bloße Meinen, Glauben oder Wünschen. Auch Journalisten stünden im Zuge der Recherche bereits existierende wissenschaftliche Erkenntnisse zur Verfügung, die z.B. eine Reportage über Wahlkampfauftritte Philipp Röslers ergänzen könnten. Dies sind die Bereiche, an welche das Problem zu delegieren wäre und Politiker könnten, sich darauf beziehend und ihrer Verantwortung bewusst, in kluger Weise lenkend eingreifen.

Wie man es besser macht

Ein Blick über den deutschen Horizont hinaus vermag einsichtig werden lassen, dass auch Präsident Obama ein Stück seiner Bedeutung aus eben diesem Kontext zog, allerdings mit dem Unterschied, dass die ethnische Zugehörigkeit in Obamas Fall wesentlich offensiver thematisiert worden war und noch wird. Dies ist der richtige Weg, um Sprech- und Denkverbote zu umgehen und einen reflektierteren Umgang mit ethnischen Differenzen zu erreichen. In den Momenten, wo Obama davon redet, dass ein Afroamerikaner Präsident werden konnte und ihn dies mit der Hoffnung erfüllt, in den USA würden ethnische Grenzen früher oder später keine Rolle mehr spielen, hat er seine normative Kraft als Politiker produktiv eingesetzt. Oder wie es Martin Luther King seinerzeit formulierte: „I have a dream that my four little children will one day live in a nation where they will not be judged by the color of their skin but by the content of their character.“

Dass damit ethnische Vorurteile nicht aus der Welt sind, liegt auf der Hand, doch kluges politisches Reden vermag seine Beitrag dazu leisten. Ebenso wie unkluges Reden Gräben zu vergrößern in der Lage ist.

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