Für Champagnersozialismus!

Umwelt Aus den Supermärkten verschwinden seit Jahren die Naturkorken. Das schont nicht etwa die Umwelt, sondern schadet ihr. Trinkt dagegen an! Lasst die echten Korken knallen!

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Für Champagnersozialismus!

Foto: Al Bello/ AFP/ Getty Images

Die Deutschen haben was gegen Kork. Sie tragen zwar noch Birkenstock, aber aus der Nähe des Alkohols wird das Naturprodukt zunehmend verbannt: Zwei Drittel der 2009 verkauften Wein- und Sektflaschen hatten Schraub- oder Plastikverschlüsse, Tendenz steigend. Die Weinhersteller haben damit die kostengünstigsten Alternativen gewählt, und für die anderen wird Kork noch teurer. Viele Konsumenten denken, die sinkende Nachfrage nach dem Naturprodukt nütze der Umwelt. Das stimmt aber nicht. Sie hat verheerende Folgen.

Ökologisch, ökonomisch und sozial

Korkeichen wachsen vor allem in Zentralportugal und Spanien. Die teilweise 600 Jahre alten Bäume stellen dort eine wichtige Lebensgrundlage dar - für die Menschen, aber auch für Tiere.
Die traditionelle Arbeit wird gut bezahlt und hat einen hohen landwirtschaftlichen Stellenwert. Ganze Dörfer leben schon lange fast nur von der Korkernte. Die Korkeichenwälder (Montados) prägen die Landschaft und sind für viele Tierarten überlebenswichtig. Seltene, vom Aussterben bedrohte Arten, eine Adler- und eine Luchsart, haben hier einen ihrer letzten Lebensräume.
Ein weiterer wichtiger Umwelteinfluss: Eine regelmäßig (ca. alle 10 Jahre) abgeerntete Korkeiche bindet 5 Mal mehr CO2 als andere Bäume. Sie wird als einzige Baumart beim Abschälen der Rinde nicht beschädigt.
(Zur Erinnerung: Die Schraubverschlüsse sind aus Alu. Gemessen an der CO2-Bilanz ist das so ziemlich die mieseste Alternative. )

Als erstes macht sich in den Dörfern die sinkende Nachfrage aber ökonomisch bemerkbar. Der WWF schrieb schon vor über 10 Jahren: "Der Vergleich ist einfach: ohne der Nachfrage nach Kork verlieren die Wälder ihren ökonomischen Wert, womit ihr Überleben in Gefahr wäre. Dies wird dadurch erschwert, dass die Bevölkerung, vor allem die jüngeren Generationen, das Land verlassen."
Das ist ein riesiges Problem. Denn die Landflucht zieht eine wahre Kettenreaktion nach sich. Durch die zerfallenden Dorfgemeinschaften gibt es weniger Herden, die in den Montados grasen. Das Gras wächst im ohnehin schon waldbrandgefährdeten Portugal höher als zuvor. Hinzu kommt, dass die Korkeichenwälder oft durch weniger nachhaltige und vor allem weniger feuerresistente Alternativen ersetzt werden, auch Pinien- und Eukalyptuswälder. Diese brennen besonders schnell.

Lieber Korken knallen lassen

Die Konsequenz darf hier aber natürlich nicht lauten, keinen Kork mehr zu sammeln. Die Korksammelstellen verwandten das gesammelte Material allerdings nicht zum erneuten Verschließen von Flaschen, sondern es wurde vorsortiert und verschrotet, um Dämmmaterial daraus zu fertigen - übrigens durch die Inititative der Diakonie Kork, einem Epilepsiezentrum im Ortsteil Kork (kein Witz!) in Baden-Württemberg. Die Patienten halfen laut Diakonie beim Entladen, Überprüfen und Vorsortieren der eingetroffenen Korken. Ein soziales Projekt mit 12 Arbeitsplätzen für Menschen mit verschiedenen Behinderungen - das Anfang dieses Jahres eingestellt wurde. "Wegen der zurückgehenden Nachfrage und des zurückgehenden Korkenaufkommens".

Was könnte die Lösung sein? Nachfrage. Sekt mit Korken kaufen. Aber reicht das?
Es gäbe auch politische Instrumente. Die EU könnte den Anbau von Korkeichen in den betroffenen Gebieten stärker subventionieren (statt Pinien und Eukalyptus, wie aktuell), sich eine Lösung für den Verkauf einfallen lassen (Anreize setzen, Kork statt Plastik oder Aluminium einzusetzen), eine Korkkampagne fahren, wie jetzt schon gegen die Plastiktüten. Das wäre doch eine Alternative: Mehr Champagnersozialismus wagen! Korken knallen lassen für die Umwelt - das klingt doch gar nicht schlecht. Privat wie politisch: Es wäre nicht nur viel sinn-, sondern auch noch stilvoller als Schraubverschlüsse.

In diesem Sinne: Saúde!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Helke Ellersiek

Freie Journalistin. Leipzig, Köln, Berlin.Twitter: @helkonie

Helke Ellersiek

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