Matussek und die Meinungsfreiheit

Homophobie Was tun im Anblick von Publizisten, die bei hoher Auflage Stimmung gegen Minderheiten machen und sich dabei als Märtyrer der unterdrückten Mehrheitsmeinung darstellen?

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Wie geht man mit homophoben Bekentnissen um, die in einer Zeitung mit einer Auflage von fast 230.000 als Selbstlob der furchtlosen Meinungsfreiheit verkauft werden? Die Frage habe ich mir gestern Morgen gestellt, als ich meinen Morgenkaffee beinahe über meinen Computer gehustet habe. Grund dafür war der Artikel von Matthias Matussek, auf dessen Namensnennung mein Herzschrittmacher ohnehin immer sofort in Bereitschaft springt. Er hat einen Artikel in der Welt geschrieben, Titel: "Ich bin wohl homophob. Und das ist auch gut so."

Und hier beginnt gerade schon Teil meines Problems. Ich würde den Artikel eigentlich verlinken, aber ich sehe irgendwie nicht ein, einem solchen Artikel womöglich auch noch weitere Klickzahlen zu bescheren.

Also eine kurze Inhaltsangabe: Er klagt darin über die letzte Ausgabe Menschen bei Maischberger. Titel der Sendung war "Homosexualität auf dem Lehrplan: Droht die "moralische Umerziehung"?"
(Dem Sendungstitel fehlten anfangs die Anführungszeichen. Nachdem Stefan Niggemeier das scharf kritisiert hatte, wurden sie später hinzugefügt.)

Im Laufe der Sendung "schnappte die Falle zu, und einer meiner besten Freunde war als homophob entlarvt.", schreibt Matussek, und steigert sich im Laufe seines Textes in den Gedanken hinein, von der Gesellschaft, äh, Entschuldigung, den "Gleichstellungsfunktionären", dem spanischen Staat und "unser[em] gesellschaftliche[n] Über-Ich" "platt" gemacht zu werden. Zu seiner Argumentation, dass Homosexualität defizitär sei, zieht er Aristoteles herbei, und stellt sich dann der Meute, die ihn ja schon immer mundtot machen wollte. Dieser mutige Mann!

Die Bekenntnis Matusseks ist ein Symptom einer selbsternannten gesellschaftlichen "Mitte" in einer Reihe mit Sarrazin, Bild, AfD, die ihre dabei aber meist rechte Meinung (-sfreiheit) bei gleichzeitig großzügiger Auflage gefährdet sehen will. Zu meinem persönlichen Highlight des Artikels gehörte dabei folgender Abschnitt:

"So, und nun lasse ich mich gerne dafür steinigen, dass ich Spaemann und Aristotels zustimmend zitiere. Oder auch dafür, dass ich keine Lust habe, mich von den Gleichstellungsfunktionären plattmachen zu lassen, egal wie oft sie mir vorhalten mögen, dass es auch in der Natur bei irgendwelchen Pantoffeltierchen Homosexualität gäbe und dass meine Haltung mittelalterlich sei.

Ich lasse mir meine Gedankenfreiheit nicht nehmen, das gehört zu meinem Stolz als Publizist."

6918 Personen haben bisher (14.2., 23:50) diesen Artikel bei Facebook empfohlen.

Ich kann nicht sagen, ob das eine neue Strömung ist oder ob das schon seit Jahren so ist. Tatsache ist, dass eine Zeitung wie die Welt kein Problem damit hat, zumindest der Stimmungsmache gegen diese Minderheit eine Plattform und die publizistische Legitimation zu geben, und offenbar schimmelt es auch nicht einfach nur ungelesen im digitalen Nirvana herum. Das Problem, das sich mir damit stellt, hat Volker Beck von den Grünen auf den Punkt gebracht:

"Was müssen wir uns eigentlich alles gefallen lassen. Und wo bleibt die Reaktion der Zivilgesellschaft?"

Das ist eine wichtige Frage, und ich habe keine Antwort darauf. Es gibt einige berechtigte Einwände:

- Jede Verbreitung des Artikels beschert Matussek mehr Aufmerksamkeit und...

- ...Klickzahlen.

- Ist die Welt relevant genug außerhalb ihres ihr zugeneigten Publikums, ("das sowieso nicht zu retten ist", wie ein User kommentierte), als dass man sich überhaupt damit beschäftigen müsste?

- Gibt man Matussek mit einem Shitstorm oder einer Massenbeschwerde beim Presserat nicht die Bestätigung, die er haben wollte, dass er ein Opfer der "Gleichstellungsfunktionäre", der Gutmenschen, der kognitiv dissonanten Öffentlichkeit ist, für deren gedankliche Freiheit er doch so edel kämpft?

Dagegen ist auf jeden Fall zu sagen, dass eine Zeitung, noch dazu mit einer Reichweite von 1,42 Mio (nach eigenen Angaben) die öffentliche Meinung mitprägt und dementsprechend eine hohe Verantwortung trägt. Die Welt ist deshalb schließlich auch genau so Pressekodex-relevant wie Spiegel und Bild.

Auch sollte eine Öffentlichkeit, die sich ohnehin nicht selten weit entfernt der veröffentlichten Meinung wiederfindet, gerade bei offensichtlichen Ressentiments gegen Minderheiten eine merkbare Reaktion zeigen. Ein Signal senden, dass das nicht die öffentliche Meinung repräsentiert und Diskriminierung nicht wortlos akzeptiert wird. Ich halte die Signalwirkung für sehr wichtig, nicht nur für den Publizisten, der seine Stellung missbraucht, sondern auch für andere Medien und den Blick auf unsere politische Kultur aus dem Ausland - gerade in Zeiten, in denen ohnehin schon ein Rechtsruck in Europa droht, ist es wichtig, mit gutem Beispiel voranzugehen, und nicht auch noch nachzuziehen. Freunde von mir, die im Ausland leben, schicken mir in letzter Zeit immer öfter Artikel wie den von Matussek mit Sätzen wie "Was passiert da bitte zu Hause?"

Es geht dabei auch noch nicht einmal darum, dass diese Art von Artikeln nicht geschrieben werden sollen. Das fände ich natürlich schön, mein Herzschrittmacher auch, aber aus guten Gründen wirkt der Presserat erst im Nachhinein auf die Veröffentlichung ein. Vollkommen richtige Vorgehensweise. Aber wenn die Artikel geschrieben werden und die Reaktion darauf ausbleibt und die Klickzahlen für Welt Online ganz unabhängig von der Wertung durch die Decke gehen, halte ich das für das eindeutig falsche Signal.

Also was tun? Konstruktivargumentstorm? Massenbeschwerde beim Presserat? Oder doch ignorieren?

Ein gutes Zeichen für den Restverstand der Welt ist für mich die Veröffentlichung einer Gegenrede eines Redakteurs. Die Signalwirkung der veröffentlichten Meinung ist damit und anderen Gegenreden eine ziemlich positive.

Aber wie könnte die öffentliche Gegenrede aussehen?

(Nachtrag 0:19 Uhr: Niggemeier hat zu diesem Dilemma einen kurzen Eintrag mit dem Titel "Ignoring Matussek" geschrieben, wie immer sehr lesenswert - genau wie der Blogverweis darin.)

Autorin Helkonie hat nicht wirklich einen Herzschrittmacher, braucht aber noch vor ihrem 20. Geburtstag einen, wenn sie weiter nicht nur den Freitag lesen will.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Helke Ellersiek

Freie Journalistin. Leipzig, Köln, Berlin.Twitter: @helkonie

Helke Ellersiek

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