1500 zu 16 – sagt mal, geht‘s noch?

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Darf ich mich bitte mal öffentlich wundern? Kürzlich meldete der „Tagesspiegel“, dass die „Berliner Journalistenschule“ (BJS) im Jahr 2010 wahrscheinlich keine Ausbildung mehr anbieten kann, weil ihr das Geld dafür fehlt. Wohlgemerkt, es fehlen die Mittel, nicht etwa das Interesse. Ganz im Gegenteil: Um die 16 Plätze der BJS bewarben sich etwa 1500 junge Männer und Frauen – und das, obwohl die verlags- und senderunabhängige Ausbildungseinrichtung bereits in diesem Jahr gar keine Ausbildung anbieten konnte, weil sie schon vor etwa 12 Monaten das Finanzierungsproblem hatte.

Was an dieser Meldung verwunderlich sein soll? Zunächst einmal die Dimension: Eintausendfünfhundert Bewerbungen auf 16 Plätze – sagt mal, geht‘s noch? OK, bei Studienplätzen für Medizin, Biotechnologie oder auch Rechtswissenschaften, wo die Numerus Clausus-Latte mitunter auf 1,1 oder noch tiefer gelegt wird, gibt es extremere Quoten. Gleichwohl gibt es bei den allermeisten Medien- und Journalismus-bezogenen Ausbildungsgängen, Studiengängen sowie Fort- und Weiterbildungen einen seit Jahren anhaltend grossen Zulauf. 93 Bewerber auf einen Ausbildungsplatz ist guter Durchschnitt. Die Frage ist nur: Warum eigentlich?

Ich meine, nimmt nicht der gesellschaftliche Stellenwert von Journalisten kontinuierlich ab, sind Medienleute etwa noch besonders hoch angesehen oder beneidet? Stecken „die Medien“ etwa nicht in einer Dauerkrise? Sie entlassen immer wieder massenhaft Mitarbeiter, verdichten die Arbeit und dünnen ihre inhaltlichen Angebote aus, was Tiefe und Vielfalt betrifft. Und entwickelt sich die soziale Lage von freien, von „festen freien“ und selbst von (weitgehend) fest beschäftigten Medienarbeitern etwa nicht weiter zum Schlechteren, weil an Honoraren und Recherchekosten gespart wird? Zu prekären Zuständen von in der Medienbranche Tätigen hat der freie Journalist Tom Schimmeck jüngst bei einer Rede auf einer Medienkonferenz viel Wahres und Warnendes gesagt.

Kurzum: Sind sie – als Berufsfeld – nicht ziemlich unattraktiv, „die Medien“? Weshalb dennoch Tausende und Abertausende „irgendwas mit Medien“ im Generellen, und davon immer noch Tausende etwas mit Journalismus im Speziellen als Beruf ergreifen wollen, wird mir zunehmend unverständlicher.

Verheissen „die Medien“ womöglich immer noch den schnellen Weg zu Ruhm und Geld? Naja, wenigstens irgendwie ins Umfeld jener, die es in, mit oder durch Medien „geschafft haben“. Viele (private) Medienunternehmen inszenieren ihre Produkte (Formate) ja sehr gezielt als Kultivierung eines Endlos-Trugbildes von Glanz und Gloria für jeden, der irgendwie bei den Medien dabei ist, denn dabei sein ist ja alles.

Vielleicht fühlen sich für einen Beruf „in den Medien“ auch deshalb so viele berufen, weil sie ja viel oder auch sehr viel Zeit mit Medien verbringen. Als Kinder, als Jugendliche, als junge Erwachsene und überhaupt: Medien zum Lernen, Medien zum Entspannen, Medien zum Unterhalten, Medien für den Diskurs, Medien für Flirts, Medien für Aggressionsabbau, Medien für die Triebabfuhr, Medien als Nanny, Medien für die Sozialisierung, Medien für die Zerstreuung. Mehr noch: Je multimedialer und interaktiver und konfigurierbarer die Medien werden, desto mehr glauben wir sie als Individuum bedienen, beherrschen und verstehen zu können. Wer in der Grundschule schon Programmierzeilen gepaukt, in der Sekundarstufe Referate als Powerpoint-Präsentation gestaltet und es für‘s Abi zum Googlekipedia-Rechercheur gebracht hat, wer kontinuierlich seine Profile in sozialen Netzwerken pflegt und füttert, der kennt Medien, der kann Medien– glaubt er. Es mag nahe liegen, dies als Affinität zu Medien und eben eigener Medienproduktion zu erkennen.

Vielleicht ist es aber auch andersherum: Wer viel Zeit, ja, sehr viel Zeit mit den modernen, interaktiven, audiovisuellen und individualisierbaren Medien verbringt, der spürt womöglich auch die Wirkungen dieses fortwährenden Rezipierens und Interagierens. Nur spüren heisst noch längst nicht verstehen. Es müssen ja nicht der süchtige Rollenspiel-Fanatiker oder die Dauer-Chatterin aus dem XYVZ-Netzwerk, es können auch die „normalen“ 3-5 Stunden-vor-der-Glotze-und-gleichzeitig-im-Internet-und-am-Handy-„Prosumenten“ sein, die irgendwann nach irgendwas mit Medienwirkungen fragen. Was liegt näher, als diesen Nebel „Medien“ per Studium oder Ausbildung lichten oder ergründen zu wollen.

Oder es drängt so viele in die Medienberufe, weil sie mit den vorhandenen Massen- und Leitmedien so unzufrieden sind und diese partout besser machen wollen. (Oops, jetzt fiel ich doch unwillkürlich in einen 5-Sekunden-Schlaf mit Tagtraum).

Betrachtet man es aber von der anderen Seite her – aus Sicht der Medienindustrie – stellt sich das Phänomen vermutlich ganz anders dar: Zehntausende wollen unbedingt bei uns arbeiten? Prima, dann können wir uns aus dem Markt die Besten heraussuchen, den Preis für die Arbeit drücken – und die Leute mit Verweis auf die grosse Bewerberschar gefügig halten. Wir können die Arbeitsplätze per se zu einem Privileg aufwerten und selbst schlecht bezahlte Praktika und Volontariate zu wichtigen Einstiegs-Chancen veredeln. Und mit der deshalb grossen Nachfrage nach Aus- und Weiterbildung lässt sich ja auch Umsatz erzielen, über ziemlich teure Weiterbildungen und exorbitant teure Master-Studiengänge an Privathochschulen.

Sieht so Marksteuerung und Bedarfslenkung aus? Eine kriselnde, man könnte auch sagen orientierungslose Medienbranche produziert ungehindert ein völliges Überangebot an Bewerbern, Arbeitskräften und Ressourcen – und will diese Marktausbeutung zugleich mit Leistungsschutzrechten gesetzlich absichern lassen. Und eine wurstelnde, man könnte auch sagen planlose Medienpolitik lässt sich beides von der Medienindustrie gefallen, hofft auf irgendwas mit Selbstbereinigung des Marktes.

Vielleicht ist 1500 zu 93 ja auch bald der Durchschnittswert von arbeitslosen zu beschäftigten „irgendwas-in-den-Medien“. Dann wunder ich mich nicht mehr.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

hest

Journalist, Autor, Referent, Lehrkraft, Freischreiber. Wanderer & Wunderer in Sachen Medienkultur

hest

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