Plädoyer für öffentlich-rechtliche Multi-Medien-Anstalten

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Wenn es doch mit Zeitungsverlagen weiter bergab geht, was spricht dagegen, sie mit öffentlich-rechtlichen Sendern zusammenwachsen zu lassen? Und sie mit öffentlichen Bibliotheken und öffentlich-rechtlichem Web-Lexikon in eine langfristige öffentlich-rechtliche Medien- und Bildungs-Strategie zu integrieren?

Vor wenigen Tagen verkündeten Saarländischer Rundfunk (SR) und Saarbrücker Zeitung eine Kooperation. Demnach finden sich TV-Beiträge der Sendeanstalt auf den Internet-Seiten der bekannten Tageszeitung. Solch eine Zusammenarbeit hatte vor einigen Monaten bereits die WAZ-Gruppe (Westdeutsche Allgemeine Zeitung u.a.) mit dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) sowie dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) vereinbart.

Natürlich beklatschten die neuen Partner sich gegenseitig, hoben Synergien und positive Effekte hervor. Die Verlagshäuser, auf der einen Seite, weil sie nicht ohne Weiteres eine eigene Produktion für Bewegtbilder aufbauen können. Den Sendeanstalten, auf der anderen Seite, wurden vor einigen Monaten per reformiertem Rundfunksstaatsvertrag deutliche Auflagen für ihre Webauftritte gemacht. Demnach haben die öffentlich-rechtlichen im Web erstens werbefrei zu bleiben, dürfen zweitens inhaltlich nur ihre Fernsehberichterstattung begleiten und müssen drittens einen Großteil ihrer Web-Angebote nach sieben Tagen wieder löschen.

Gleichwohl gibt es auch Kritik an diesen öffentlich-rechtlich-industriellen Medienkomplexen. Den privaten Fernsehanbietern sind die Webseiten der staatlichen Sender seit jeher ein Dorn im Auge: Während die Privaten sich die Bespielung der Internetkanäle sauer über Werbeeinnahmen verdienen müssen, würden die ARD-Anstalten dafür einfach nur in die gut gefüllte Gebührenschatulle greifen. Für viele Zeitungsverlage schreit die Kooperation nach Wettbewerbsverzerrung, wenn einige aus ihrer Riege von breit, weil gebührenfinanziertem Qualitäts-Content profitieren, aber eben nicht alle gleich.

Die BBC hat den den „Public Value“ zum Leitbild erhoben

Unter anderem deswegen schätzte der Berliner Medienwissenschaftler und -berater Robin Meyer-Lucht seinerzeit schon die Zusammenarbeit von WAZ und WDR/MDR als kritisch ein. Für die deutsche Medienordnung würde davon ein falsches Signal ausgehen, schrieb er und zählte (in Spiegel Online) „Zehn Argumente gegen den Netzklüngel“ auf. Er mahnte unter anderem eine „Selbstkommerzialisierung“ der ARD-Anstalten an und den Verlust der gegenseitigen Kritikfähigkeit der neuen Partner.

Seiner Ansicht nach könnten sich die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender – zumindest hinsichtlich ihrer Online-Angebote – ähnlich verändern wie es die BBC praktiziert. Der britische Staatssender hatte nach einer umfassenden Reform und weit reichenden Umbaumassnahmen den „Public Value“ zum Leitbild erhoben. Ausgehend von einer Verpflichtung zu „gesellschaftlichem Mehrwert“ will die BBC seitdem transparenter und effizienter arbeiten, selbstkritischer und verfügbarer agieren. (Mehr dazu in einer Studie von Meyer-Lucht für die Friedrich-Ebert-Stfitung: „Öffentlich-rechtliche Online-Angebote der nächsten Generation“, 2008, PDF).

Eine solche neue Stufe der „Ver-Öffentlichung“ von staatlichen Medieneinrichtungen sollte der deutschen Medienpolitik durchaus naheliegen. Meiner Meinung nach taugt die – nach wie vor breit akzeptierte – Konstruktion „öffentlich-rechtlicher“, gebührenfinanzierter Medien, wie wir sie haben, durchaus für mehr. Wenn wir sie denn kritisch prüfen, reformieren und neu aufstellen. Was spricht etwa wirklich dagegen, aus den Rundfunk-Anstalten öffentlich-rechtliche Multi-Medien-Anstalten wachsen zu lassen?

Wieso sollte es keine öffentlich-rechtlichen Zeitungsverlage geben?

Wenn es doch mit den (noch) so vielen regionalen Zeitungsverlagen, den lokalen Leitmedien, den tradierten und den tief verwurzelten Informations-Versorgern der Printwelt weiter so bergab geht, was spricht denn prinzipiell dagegen, dass sie mit den regionalen Institutionen für Nachrichten, Aufklärung und Meinungsbildung – und das sind nun mal die öffentlich-rechtlichen Sender – zusammengehen oder regelrecht zusammengewachsen werden?

Wieso sollte es keine öffentlich-rechtlichen Zeitungsverlage geben? Sie können doch genauso viel organisiert, beaufsichtigt und kontrolliert werden, und sie dürfen doch genau so wenig manipuliert, zensiert und drangsaliert werden, wie seit Jahrzehnten die öffentlich-rechtlichen Sender. Das System der gesellschaftlich repräsentativ besetzten Aufsichtsräte, der Landesmedienanstalten und der Kontrollgremien (KEK) liesse sich doch generell auch auf Print und Internet übertragen.

Die Trennung von Print, Rundfunk und „neuen Medien“ war gestern. Heute wachsen im Internet ohnehin alle Medien zusammen und werden zudem durch neue mediale Genres, Social Network/Communities und neuartige, offene publizistische Plattformen erweitert und bereichert. Und weil das System der Gebührenfinanzierung für öffentlich-rechtliche Medien stabil und durch die Breite Masse (noch) unangefochten ist, sollte doch, am besten wohl föderale organisierte öffentlich-rechtliche Multi-Medien-Anstalten nicht nur denkbar, sondern auch durchsetzbar sein.

Müssten dafür die Gebühren steigen? Vermutlich schon – und vermutlich hart bis an die gesellschaftlich akzeptierte Grenze. Das würde eine Schlacht werden, die es zu schlagen gälte. Sollte dabei über einen flächendeckenden Internetzugang für jeden via GEZ nachgedacht werden, der dann per Gebühreneinzug eine Flatrate enthält? Unbedingt sogar. Ist dann über die Regeln für Werbung in öffentlich-rechtlichen Fernseh-, Rundfunkt-, Print- und Online-Angeboten zu verhandeln? Sehr wahrscheinlich. Werbung gar auszuschliessen? Denkbar.

Mit der rundfunkstaatsvertraglich aufgebürdeten Fernseh-Isolation gelangen die öffentlich-rechtlichen sukzessive ins Hintertreffen

Privat-Verlage und Privat-Sender haben die unimediale Integration doch längst vollzogen: Am zentralen Newsdesk sitzen Redakteure, die längst nicht mehr nur in Zeilenlängen und Drucklegungsterminen einer einzigen Zeitung denken. Vielmehr beliefern sie mehrere Print-Titel des Hauses, versorgen Internetseiten, auf denen Video, Audio, Fotostrecken und interaktive Animations-Stücke zusammenlaufen, und auch zum Unternehmen gehörende Sender sind längst im „Focus“ der Unimedial-Redaktionen. Und vice versa.

Angesichts dieser Entwicklungen gelangen die öffentlich-rechtlichen Anstalten dank der rundfunkstaatsvertraglich aufgebürdeten Fernseh-Isolation sukzessive ins Hintertreffen. Und genau hier dürften die Motive für die strategischen Kooperationen von MDR, WDR und SR mit den privaten Zeitungsverlagen zu suchen sein. Öffentlich-rechtliche Medien, wie wir sie in Deutschland kennen und im Großen und Ganzen auch schätzen können, sie sind ein wertvolles Gut, dass es zu verteidigen – und gerade deshalb der modernen Medienlandschaft anzupassen gilt.

Öffentliche Bibliotheken: wahre Medienzentren, vielfältige Bildungsräume, längst schon Internetcafés – echte Begegnungsstätten von lokalen Communities

Im übrigen gehören für mich hier die öffentlichen Bibliotheken dazu, sie sind ein großartiger Ort, Internet hin und E-Books her. Sie sind – für denkbar geringe Gebühren und im Wortsinne barrierefrei – die wahren Medienzentren, vielfältige Bildungsräume, längst schon Internetcafés – und echte Begegnungsstätten von realen, lokalen Communities. Sie werden nur leider nicht hinreichend gepflegt. Stattdessen sind sie chronisch unterfinanziert, daher häufig von defizitärer Qualität und folglich angeschlagenem Ruf. Doch was liesse sich aus ihnen machen! Wir müssen nur wollen.

Und weil mir gerade nach kühnen Ideen ist, würde ich an dieser Stelle den aktuell diskutierten Casus Wikipedia (siehe Beiträge und Diskussion im Freitag) mit in die Überlegungen einbeziehen. Überlegungen, die einer langfristigen öffentlich-rechtlichen Medien- und damit Bildungs-Strategie folgen sollten. Ein öffentlich-rechtliches, offenes, gemeinschaftlich getragenes, gebührenfinanziertes Wissens-Lexikon im Web, flankiert durch die öffentlichen Biblio-/Media-/Surfotheken und deren wirklich sozialen Netzwerken, hätte das nicht was? Ja, doch: Zukunft!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

hest

Journalist, Autor, Referent, Lehrkraft, Freischreiber. Wanderer & Wunderer in Sachen Medienkultur

hest

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