„Möglichst viel Wasser verdunsten“

Stadtökologie Sven Benthin hat ein Bewässerungssystem für Balkon und Hof entwickelt. Im Interview eklärt er, wie es zur Idee kam und was die generellen Ansätze hinter dem Projekt sind

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Stadtökologe Sven Benthin, Foto: Nancy Kelch

schreibstoff.com: Sven, Du hast das Bewässerungssystem SÖREN entwickelt. Wie bist Du auf die Idee gekommen?

Sven: Ich hatte Kontakte zu kubus, dem Wissenschaftsladen und Kooperations- und Beratungsstelle für Umweltfragen an der TU Berlin. Über die habe ich erfahren, dass einer ihrer Projektpartner gerne einen grünen Hinterhof hätte: Der Berliner Büchertisch in Kreuzberg. Ich hatte dann die Idee eine Projektwerkstatt zu initiieren. In einer solchen arbeiten Studierende selbstorganisiert an ökologischen und sozialen Fragestellungen. Und so entstand „Begrünung in Modulen“. Gemeinsam mit weiteren Studierenden konnten wir dann praktische Lösungen für den Berliner Hinterhof erarbeiten.

Wie entstand dann daraus dein Bewässerungssystem?

Der Hinterhof des Berliner Büchertischs ist ein typischer Berliner Hinterhof, also unterkellert, versiegelt und das Regenwasser wird über die Kanalisation abgeführt. So entstand in der Projektwerkstatt die Idee, ein leichtes, mobiles System zu entwickeln. Zum einen war die Kellerdecke nicht sonderlich tragfähig und zum anderen sollten auf dem Hof auch Veranstaltungen stattfinden, wofür ein Verschieben der Module möglich sein musste. Optimalerweise sollte dann das System auch noch bewässert werden. Aber zunächst wollte niemand zum Thema Bewässerung arbeiten. Ich habe mich dann dafür eingesetzt, dass wir überhaupt die Frage der Bewässerung mit in unser Konzept integrieren. Als Stadtökologie-Student bin ich mit dem städtischen Wasserhaushalt vertraut und weiß welche Probleme damit einhergehen. Zum Beispiel der urbane Hitzeinseleffekt. So habe ich fortan zum Thema Bewässerung gearbeitet und das System entwickelt.

Urbaner Hitzeinseleffekt, kannst Du das näher erklären?

Urbaner Hitzeinseleffekt ist der Effekt, dass in stark versiegelten und bebauten Gebieten wie dem Innenstadtbereich die mittlere Jahrestemperatur erhöht ist im Vergleich zum Umland. Man spürt es vor allem nachts ganz deutlich, wenn man aus den Randbezirken zum Beispiel zum Alexanderplatz fährt. Dieser Effekt wird zum einen durch die Baukörper, also Gebäude verursacht. Die Baumassen heizen sich auf und geben nur ganz langsam ihre Wärme wieder ab. Auf der anderen Seite haben wir in der Stadt kaum Flächen für Vegetation zur Verfügung, weil alles zugebaut ist. Regenwasser wird also oberflächlich abgeleitet oder direkt in die Kanalisation abgeführt. Von dort gelang es mitunter direkt in Seen, Flüsse oder Kanäle.

Wie kann dieser innerstädtischen Erwärmung entgegen gewirkt werden?

Jeder kennt das Kältegefühl, wenn man sich nach dem Duschen nicht direkt abtrocknet. Das Wasser auf der Haut verdunstet und entzieht der Umgebungsluft Energie. Die Temperatur sinkt und es wird kalt. Wird nun aber das Regenwasser vom Dach in jedem Gebäude gespeichert, könnten damit Pflanzen auf den Dächern, Balkonen, auf dem Hof, oder an der Fassade versorgt werden. Die Pflanzen würden das Wasser verdunsten, genau wie es nach dem Duschen auf der Haut passiert. Der Innenstadtbereich ließe sich so also kühlen.

Kann man also sagen, dass die Bewässerungsmethode SÖREN über die reine Versorgung der Pflanzen in der Urlaubszeit hinaus einen Nutzen hat?

Unbedingt! Letztendlich geht es darum, möglichst viel Wasser in der Stadt verdunsten zu lassen. Vielleicht sogar Hausgemeinschaften, Wohnungsbaugenossenschaften oder Firmen davon zu überzeugen, den Dachabfluss zur Vegetationsversorgung zu nutzen und damit nicht nur stadtklimatisch einen Effekt zu erzielen. Auch die Biodiversität ließe sich innerstädtisch steigern. Und die Entsorgungsgebühren für das Regenwasser würden durch eine Bewässerungsmethode wie SÖREN auch gesenkt. Es ist immer so eine Sache der Kommunikation, wie man seine Ideen am besten umsetzen kann. Mit einer Urlaubsbewässerung erreicht man einfach viele Menschen, weil es eben viele betrifft.

Hast Du in diesem Bereich schon Erfolge erzielt?

Ja, wir hatten das System, wie gesagt, als Projektwerkstatt beim Berliner Büchertisch aufgebaut. Da musste es jedoch leider wegen geplanter und bisher nie umgesetzter Bauarbeiten wieder verschwinden. Dafür wurde die Weiterentwicklung des Bewässerungssystems jetzt bei der Bundeszentrale des Naturschutzbund Deutschland (NABU) auf der Dachterrasse aufgebaut. Die wollen wir im kommenden Frühjahr in Betrieb nehmen. Die Weiterentwicklung des Bewässerungssystems fand jedoch außerhalb der Projektwerkstatt statt und ist ein wesentlicher Bestandteil der Planungsgemeinschaft grüne Stadt.

Was verbirgt sich hinter der Planungsgemeinschaft grüne Stadt?

Die grüne Stadt-Planungsgemeinschaft habe ich mit fünf Kommilitonen initiiert, die alle mehr oder weniger über die Projektwerkstatt „Begrünung in Modulen“ zusammengekommen sind. Da haben wir gemerkt, dass die Zusammenarbeit in studentischen Projekten funktioniert und wir ähnliche Ziele verfolgen. Für uns geht es in gemeinsamen Projekten nun konkret um das Schließen von Stoffkreisläufen, um Bildung für nachhaltige Entwicklung, nachhaltige Stadtentwicklung und letztendlich um die Steigerung des Gemeinwohls.

Aus welchen Fachbereichen kommt Ihr?

Es sind ganz verschiedene Disziplinen. Geographie, Landschaftsarchitektur, Pädagogik, erneuerbare Energien, Landschaftsplanung, Eingriffsregelung, internetbasierte Geoinformationssysteme und andere. Dabei haben wir festgestellt, dass es ganz unterschiedliche Sachen sind, mit denen wir uns beschäftigen. In einzelnen Projekten lassen sich diese jedoch gut miteinander kombinieren. Die Idee ist, dass wir ein Projekt realisieren und entweder selbst entscheiden, wer sich von uns mit einbringen will, oder Projektträger an uns herantreten und sagen: „Wir brauchen die und die Kernkompetenzen. Wen habt ihr dazu in eurer Planungsgemeinschaft?“ Oder: „Wir wollen mit ihr und ihm aus eurem Team zusammen arbeiten.“ Wir sind dadurch was die Kompetenzen angeht viel breiter aufgestellt und haben eine Art Label, unter dem wir gemeinsam arbeiten. So haben wir bisher ein gutes Leitbild und eine Leitvision entwickelt. Darauf wollen wir jetzt aufbauen und dies in konkrete Projekte münden lassen.

Welche weiteren Projekte sind das?

Da gibt es unter anderem eine Austauschplattform für Ressourcen innerhalb eines Unternehmensnetzwerkes, bei der es darum geht, dass der Reststoff von einem Unternehmen zur Ressource eines anderen Unternehmens wird. Ansonsten veranstalten wir auch Workshops mit Schulen. Zum Beispiel darüber wie man sich in der Stadt gesund ernähren kann und woran man überhaupt Obst, Gemüse oder Kräuter unterscheidet und erkennt. Der letzte dieser Workshops war ziemlich spannend, weil tatsächlich Kinder bei einer gemeinsamen Pflanzaktion die Pflanzen verkehrt herum in die Erde pflanzen wollten. Da wussten wir sofort, warum wir diesen Workshop gemacht haben.

Und wieso verfolgst Du die Idee SÖREN open source?

Weil ich merke, dass immer wenn ich ein Produkt kaufe, es relativ schnell kaputt geht, oder es nicht meinen Ansprüchen genügt. Da denke ich einfach, dass das nicht sein muss. Wenn man mich in die Produktentwicklung mit einbezogen hätte, wäre ich als Kunde zufriedener. Wenn also jeder seinen Bedarf und seine Idee kommuniziert und mit in dieses Produkt einarbeiten kann, erhalte ich letztendlich ein gutes Produkt, was sein Geld wert ist. Das funktioniert eben nur, wenn ich die Menschen partizipieren lasse und Produkte leicht veränderbar gestalte. So kann sich jetzt eben jeder seinen eigenen SÖREN bauen.

Wie siehst Du die Chancen, dass Eure Ideen und Projekte in Zukunft noch mehr Leute erreichen?

Ich sehe sehr gute Chancen dafür, weil ich merke dass wir schon ein großes Netzwerk haben. Ein bisschen schade ist aber, dass das Netzwerk momentan eher hochschulintern ist. Dennoch haben wir über den Wissenschaftsladen kubus viele Ansprechpartner. Das führt dazu, dass man in der Öffentlichkeit einfacher wahrgenommen werden kann. Und weil eben dieses interne Netzwerk so groß ist, denke ich, wird auch die Außenwirkung in den nächsten Jahren steigen. Ich sehe da Potential, weil wir eben an Projekten arbeiten werden, die von allgemeinem Interesse sind

Im Zusammenhang mit einer wachsenden Urban Gardening-Bewegung in Berlin oder anderen deutschen Städten. Denkt Ihr, dass auch Eure Projekte und Ideen Teil eines größeren gesamtgesellschaftlichen Wandels sind?

Ja, denke ich auf jeden Fall. Daher bin ich eben auch nicht nur in der grüne Stadt-Planungsgemeinschaft tätig, sondern auch in einem Projekt vom ZALF, dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung, tätig. „Urban Gardening 2.0“ nennt sich das und es geht eben genau darum, wie man Nachhaltigkeitsaspekte in der Urban Gardening-Bewegung kommunizieren kann. Wie macht man deutlich, dass auch Forschung in dem Bereich stattfindet? Was haben diese Forschungsergebnisse für Auswirkungen auf mein Tun als Gärtnerin oder Gärtner? Denn viele wollen gärtnern. Darum geht es bei „Urban Gardening 2.0“. Auch diesen Bereich haben wir als „grüne Stadt-Planungsgemeinschaft“ auf der Agenda. Wir sind uns definitiv bewusst, dass es ein größeres Thema werden wird.

Und Du glaubst, dass sich die Gesellschaft für dieses Thema noch mehr öffnen wird?

Absolut. Wir werden dafür arbeiten, dass sie das tun wird. Nur gemeinsam lässt sich heute ein Leben organisieren, was auch übermorgen noch Bestand hat.

Sven Benthin ist Stadtökologe und Mitgründer der Planungsgemeinschaft grüne Stadt, die sich mit ihren Projekten für nachhaltige urbane Entwicklung einsetzt. Derzeit nimmt er mit seinem Projekt SÖREN am Start-Up-Ideenwettbewerb Challange Accepted teil. Dafür braucht er noch weitere Unterstützung, die man hier mit einem like, tweet oder google-Plus ganz einfach leisten kann.

Mehr zum Thema urbanes Gärtnern finden Sie bei schreibstoff.com.

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Geschrieben von

hierundjetzt

Studiert in Berlin Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie.

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