Nachdenken über 'le Kärcher'

Frankreich Sarkozys Äußerung zu den Unruhen in den Pariser Banlieus 2005 gewinnt weitere Dimensionen, wenn man temporär in Frankreich lebt und dort die Straßenreinigung betrachtet

„Dès demain, on va nettoyer la cité des 4000 au Kärcher“ – „Ab morgen werden wir die cité des 4000 mit dem Kärcher reinigen“. Obwohl schon einige Jahre her, erinnern sich wohl die meisten an die Antwort des damaligen Innenministers Nicolas Sarkozy am 19. Juni 2005 auf den Tod eines Elfjährigen nach einer Schießerei im Pariser Banlieu La Courneuve.

Weit über Frankreich hinaus hagelte es damals berechtigte Kritik über Sarkozys Äußerungen. Auch mir stieß diese Aussage damals übel auf, war die Botschaft doch, wie gering er die dort lebenden Menschen schätzte und dass nur die repressivsten Mittel genutzt werden sollten, um das Viertel von diesem „Gesindel“ („racaille“) zu säubern. Neu in Erinnerung wurde sie mir aber erst gerufen, nachdem ich eine Zeit lang in Frankreich gelebt hatte: Sarkozys Formulierung gewann für mich Dimensionen, die ich vorher noch nicht gesehen hatte.

Zuerst einmal die Frage, wie Sarkozy damals überhaupt auf dieses Bild kam. Was damit gemeint ist, versteht jeder. Viel plastischer wird die Vorstellung allerdings, wenn man sieht, wie in Frankreichs Städten täglich die Straßen gereinigt werden: per Hochdruck-Komplettreinigung.

Grund dafür ist das hohe Aufkommen an Hundekot und tierischem und menschlichem Urin, das in manchen südfranzösischen Städten sämtliche Vorstellungsgrenzen sprengt. Um derartigem Dreck Herr zu werden, bleibt da quasi nur der gute alte Hochdruckreiniger.

Genau diese Praktik war es dann jedoch wohl auch, die viele Franzosen vor Augen hatten, nachdem sie Sarkozys Äußerungen hörten. Der Ton seiner Aussagen gewinnt so jedenfalls noch einmal an Schärfe hinzu. Wird der Vergleich von Menschen mit Dreck doch im wahrsten Sinne des Wortes noch ekelhafter, wenn es sich bei dem damit implizierten Dreck vor allem um eine seiner unschönsten Formen handelt: Fäkalien.

Wie grässlich die Aussagen auch sein mögen: Sie haben Einzug in die französische Sprache gehalten. Und auch in Aussagen von Politikern kommen sie – im Sinne Sarkozys oder der ihm entgegneten Kritik – wieder vor. Zwar nicht oft, aber häufig genug, dass sich Kärcher Frankreich vor den Präsidentschaftswahlen 2007 dazu veranlasst sah, alle Kandidaten darum zu bitten, von derartigen Äußerungen abzusehen. Gleichzeitig wurde eine mediale Großkampagne geschaltet. Die (vorgeschobene?) Empörung war bei Kärcher scheinbar groß. Geschadet hat ihnen die ganze Aufmerksamkeit jedoch sicherlich nicht.

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Studiert in Berlin Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie.

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